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Oliver Günther, Präsident der Universität Potsdam.

© PNN / Ottmar Winter

Exklusiv

Kontroverse um Ärzte-Ausbildung in Brandenburg: "Wir brauchen eine Hochschulmedizin, nicht zwei"

Potsdams Uni-Präsident Oliver Günther lehnt eine zusätzliche Fakultät in der Lausitz ab - und macht einen überraschenden Vorschlag zur BTU.

Das Land Brandenburg will die Lausitz als Ausgleich für den Verlust des Braunkohletagebaus unter anderem mit einer neuen Medizinerausbildung an der Brandenburgisch-Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) aufwerten. Pläne dazu verkündete das Land im Juli.

Jetzt warnt der Präsident der Universität Potsdam vor teuren Doppelstrukturen. Grundsätzlich halte er das Vorhaben für richtig, sagte Oliver Günther dem Tagesspiegel. Allerdings müsse das Medizinstudium mit den vorhandenen Strukturen eng verzahnt werden.
Bereits seit 2018 besteht eine gemeinsame Fakultät für Gesundheitswissenschaften (FGW) der Potsdamer Uni, der privaten Medizinischen Hochschule Brandenburg (MHB) und der BTU. Dass angesichts der Pläne für die Lausitz sämtliche landesweit verfügbaren Ressourcen gebündelt werden müssten, um in Brandenburg eine auch international wettbewerbsfähige Medizinerausbildung auf den Weg zu bringen, liege auf der Hand, sagt Günther.

„Wir brauchen eine Hochschulmedizin in Brandenburg, nicht zwei.“ Vorstellungen von einer separaten Medizinischen Hochschule in der Lausitz, neben der in Nord-Brandenburg erfolgreichen tätigen MHB und der „Dauerbaustelle BTU“ würden in die Irre führen.

Vorhaben soll 650 Millionen Euro kosten

Konkret plant das Land Brandenburg mit Strukturgeldern für den Kohleausstieg eine Medizinerausbildung in Cottbus. Sie könne beispielsweise an die BTU angeschlossen werden oder sogar als eine eigenständige Hochschule entstehen. Hier könnten rund 1500 Studierende lernen, finanziert werden soll das Vorhaben mit 650 Millionen Euro. Wer dann die laufenden Kosten – Schätzungen reichen von mindesten 50 bis 100 Millionen Euro pro Jahr – tragen soll, ist noch offen.

[Was Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle zu den Medizin-Plänen für die Lausitz sagt, lesen Sie hier]

„Wir wollen nicht irgendeine Uni-Klinik. Wir wollen, dass die gesamte Region davon profitiert“, sagte Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) zu den Plänen. Brandenburg solle in Deutschland zum Modell für die Zukunft der Mediziner-Ausbildung werden. Das Cottbusser Carl-Thiem-Klinikum könne in diesem Zusammenhang zum digitalen Leitkrankenhaus werden. Für das Vorhaben werde aktuell ein Experten-Gremium zusammengestellt.

Gesundheitsforscher Michael Cassel an der Universität Potsdam.
Gesundheitsforscher Michael Cassel an der Universität Potsdam.

© UP/Sören Stache

Potsdams Uni-Chef Oliver Günther hält eine Parallelstruktur von MHB, der bestehenden Fakultät für Gesundheitswissenschaften und einer zusätzlichen Hochschulmedizin in der Lausitz für nicht finanzierbar. Wenn hingegen die in Nordbrandenburg, in Potsdam und in der Lausitz bereits laufenden Aktivitäten zusammengedacht würden, ließe sich mit überschaubaren finanziellen Zuwendungen viel für das Land erreichen.

Eine entsprechend erweiterte gemeinsame Fakultät könnte man mit einem jährlichen Haushalt in zweistelliger Millionenhöhe betreiben, deutlich unter den Kosten einer eigenständigen Medizinischen Hochschule, schätzt Günther. Dass sich der Arbeitsschwerpunkt der Fakultät in die Lausitz verlagern müsste, sieht auch Potsdams Uni-Chef so.

Von dort – in enger Abstimmung mit dem Carl-Thiem-Klinikum – solle die landesweite Ärzteausbildung betrieben werden, auch die angedachte Pharmazie hätte hier einen Platz. Die räumliche Verteilung einer solchen Fakultät zwischen Nord-Brandenburg, Potsdam und der Lausitz wäre zwar eine Herausforderung, gibt Günther zu. „Aber die jüngsten Erfahrungen mit der Onlinelehre zeigen, dass sich dies durch klugen Medieneinsatz meistern lässt.“

Fusion der Lausitz-Hochschulen sei Misserfolg

Die von BTU, MHB und Uni Potsdam gemeinsam getragene Fakultät für Gesundheitswissenschaften, erweitert um eine Ärzteausbildung und eine Pharmazie, sieht Günther als Forschungs- und Wachstumsmotor – gerade auch für die Lausitz. Der Potsdamer Wirtschaftsinformatiker, der 2012 von der Humboldt-Universität zu Berlin in die Landeshauptstadt wechselte, verknüpft seine Vorstellung allerdings mit der Forderung nach einer grundsätzlich neuen Weichenstellung für die BTU.

Es sei Zeit, sich einzugestehen, dass die Fusion der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus (BTU) mit der Fachhochschule Lausitz zur BTU Cottbus-Senftenberg 2013 nicht funktioniere. Dies sei nicht den aktuellen Akteuren, sondern der Konstruktion anzulasten.

Die Zahl der Studierenden gehe jährlich zurück, die Kosten würden jedes Jahr steigen, kritisiert Günther. Die Fusion sei ein großer Fehler gewesen, den es nun zu korrigieren gelte: „Das aktuelle Modell ist offensichtlich dysfunktional – die Fusion war ein Misserfolg.“ Günther schlägt die Aufteilung in zwei Hochschulen vor.

Neu entstehen könnte eine „kleine und feine“ medizinisch-technische Universität, die von der bereits bestehenden Fakultät für Gesundheitswissenschaften und den technischen Fakultäten getragen wird. Hier sei es auch wichtig, den Gegebenheiten im Flächenland Brandenburg Rechnung zu tragen, gerade Telemedizin und Versorgungsforschung seien hier ein wichtiges Thema.

Daneben schlägt Günther die Auskoppelung einer Lausitzer Hochschule für Angewandte Wissenschaften vor, die der anwendungsorientierten Forschung und dem spezifischen Stellenbedarf in der Region Rechnung trage. Dort sollten nach wie vor die Pflegewissenschaften eine wichtige Rolle spielen.

Campus an der Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg (BTU). 
Campus an der Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg (BTU). 

© Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

Warum eigentlich gibt es in Brandenburg bisher keine staatliche Universitätsmedizin? Sie wurde unter anderem aus Kostengründen für nicht notwendig gehalten, Ärztinnen und Ärzte für Brandenburg sollten nach der Wende an der Berliner Charité ausgebildet werden.

Heute herrscht im Land weitgehend Einigkeit, dass die Zeit für eine eigene Hochschulmedizin gekommen ist. Die Charité kann dem wachsenden Bedarf im sich dynamisch entwickelnden Flächenland Brandenburg nicht mehr gerecht werden.

Engere Anbindung an BTU und Uni Potsdam

Die 2014 gegründete private MHB mit Standorten in Brandenburg und Neuruppin habe sich fachlich sehr gut entwickelt, sagt Oliver Günther. Doch sei sie trotz Studiengebühren auf Dauer nicht finanziell nachhaltig zu betreiben, insbesondere wenn es um die Forschung gehe. Doch die MHB sollte nach Günthers Vorstellung bei der Zukunft der Brandenburger Medizin eine tragende Rolle spielen.

„Hier müsste eine Verstaatlichung der Hochschule und eine noch engere Anbindung an BTU und Uni Potsdam erwogen werden.“ Eine Verstaatlichung sei aus rechtlichen Gründen aber gar nicht möglich, sagt Eric Mülling, Sprecher des Brandenburgischen Wissenschaftsministeriums, auf Anfrage. Doch selbstverständlich werde die MHB bei der Konzeptionierung einer staatlichen Hochschulmedizin in der Lausitz mitgedacht.

Mit den im Nachtragshaushalt 2020 bewilligten Geldern erhält die MHB nach eigenen Angaben nun erstmals fünf Millionen Euro Landesmittel mit dem Ziel, die Forschungsleistung nachhaltig weiter zu verbessern. "Was jedoch nur mit einer Verstetigung und moderaten Steigerung der Landesmittel erreicht werden kann", sagte Gerrit Fleige von der MHB dem Tagesspiegel.

Die private Hochschule zähle nun darauf, dass die Landesregierung neben der Lausitz auch zukünftig das gesamte Land sowohl hinsichtlich Medizinerausbildung als auch universitärer Krankenversorgung im Blick habe.

Zur Bündelung der medizinischen Hochschulaktivitäten hatte das Land 2015 den Gesundheitscampus Brandenburg gegründet, ein Netzwerk aus Hochschulen, Instituten, Kliniken und einzelnen Akteuren. Eine medizinische Promotion wird in Kürze über die bestehende Fakultät für Gesundheitswissenschaften möglich sein.

Hinzu kommt noch eine weitere kleinere private Hochschule für den medizinischen Bereich, die Health and Medical University Potsdam (HMU), die aber nicht in die bestehende Fakultät eingebunden ist. Sie soll voraussichtlich zum Wintersemester 2020/21 ihren Studienbetrieb aufnehmen, Ausbildungskrankenhaus soll das Potsdamer Klinikum Ernst von Bergmann werden.

"Zeit für einen großen Wurf"

Eine Neugründung, die Oliver Günther nicht nachvollziehen kann. Für die Brandenburgische Hochschulmedizin sei jetzt vielmehr „Zeit für einen großen Wurf, den die jetzige Koalition leisten kann, ohne den Haushalt über Gebühr zu belasten“. Hier sei es wichtig, die Standorte zusammenzubringen – und auch das Ernst von Bergmann-Klinikum einzubinden.

Im Wissenschaftsministerium erwartet man indes keine Doppelungen mit der bestehenden Fakultät für Gesundheitswissenschaften. „Vielmehr träte mit einer staatlichen Medizinerausbildung in der Lausitz verstärkt medizinische Kompetenz hinzu“, sagte Sprecher Mülling.

Immerhin scheint es noch Bewegung zu geben. Aus dem Ministerium hieß es am Dienstag, dass nun unter anderem auch die Variante einer gemeinsamen Struktur mit den bestehenden Gesundheitswissenschaften geprüft werde.

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