zum Hauptinhalt
Brandenburgs Verfassungsschutz-Chef Jörg Müller.

© Soeren Stache/dpa

Zunahme des Rechtsextremismus: Brandenburgs Verfassungsschutz warnt vor "einsamen Wölfen"

Die Zahl der Rechtsextremisten in Brandenburg hat einen neuen Höchststand erreicht. Das liegt auch an Teilen der AfD und Ausnutzung der Pandemie. Sorgen bereiten den Behörden potenzielle Einzeltäter.

Potsdam - Ein Foto im Internet zeigt den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. Im Text dazu wird der „Wellenbrecher-Lockdown“ als das „neueste Gesellschaftsexperiment“ bezeichnet. „Damit degradieren Diktatoren wie Merkel, Betrüger wie Drosten und Psychopathen wie Lauterbach die Bürger zu Laborratten.“ Der Post in sozialen Netzwerken vom Oktober 2020 stammt von der AfD Müncheberg (Märkisch-Oderland) und ist ein Beispiel aus dem Brandenburger Verfassungsschutzbericht für die Instrumentalisierung der Corona-Pandemie.

Müller: "Christoph Berndt ist Rechtsextremist" 

Denn anders als in Bundesländern wie Nordrhein- Westfalen oder Baden-Württemberg spielt in Brandenburg die sogenannte Querdenker-Szene aus Sicht des Verfassungsschutzes keine Rolle. „In Brandenburg nutzen bekannte Akteure, vor allem aus dem rechten Spektrum, die Pandemie für verfassungsfeindliche Zwecke“, sagte Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller am Mittwoch bei der Vorstellung des Berichts seiner Behörde für 2020. Auch der in Südbrandenburg aktive, rechtsextremistische Verein „Zukunft Heimat“ um den Brandenburger AfD-Fraktionschef Christoph Berndt (Zitat Müller: „Christoph Berndt ist ein Rechtsextremist“) und das in Werder/Havel herausgegebene Compact-Magazin, vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft, gehörten zu den „zentralen Entgrenzungsakteuren“ in Brandenburg. 

AfD-Fraktionschef Christoph Berndt.
AfD-Fraktionschef Christoph Berndt.

© dpa

Corona-Skepsis mischt sich mit demokratiefeindlichen Einstellungen 

„Die politischen Ränder unserer Gesellschaft geraten zusehends in Bewegung“, sagte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU). Der Rechtsextremismus mit einer weiter wachsenden Anhängerschaft bleibe die Hauptherausforderung. „Durch gezielte Entgrenzung und politische Bestrebungen versuchen bestimmte Kräfte, den Rechtsextremismus mit der Mitte der Gesellschaft zu verzahnen.“ Corona-Skepsis mische sich hier gefährlicher Weise mit einer grundlegenden demokratiefeindlichen Einstellung, betont auch der CDU-Innenpolitiker im Landtag, Björn Lakenmacher. Die Rechtsextremisten „nutzten dabei auch vorhandene Ängste und Sorgen der Menschen in ihrem Sinne aus“, sagte der Vorsitzende des Brandenburger Innenausschusses, Andreas Büttner (Linke). 

Die rechtsextreme Szene hat 2860 bekannte Anhänger 

Entgegen dem Bundestrend, wonach deutschlandweit auch die linksextremistische Szene wächst, sind die Verhältnisse in Brandenburg speziell: Das rechtsextremistische Personenpotenzial unter der Berücksichtigung des Verdachtsfalles AfD – der Landesverband ist Mitte 2020 als solcher eingestuft worden – erreichte im Jahr 2020 mit 2860 Anhängern und einem Plus von 95 Personen einen Höchststand in der Landesgeschichte. Auf die AfD inklusive ihrer Jugendorganisation „Junge Alternative“ entfallen hierbei 780 Personen. 680 davon werden dem völkisch-nationalistischen „Flügel“ zugerechnet, der sich nach eigenen Angaben aufgelöst hat, hinter den Kulissen nach Einschätzung des Verfassungsschutzes aber immer noch die Strippen zieht. Für „praktisch handlungsunfähig“ erklärt der Nachrichtendienst in Brandenburg die NPD, deren Mitgliederzahl um zehn auf 250 gesunken ist. Die mit 45 Mitgliedern zwar deutlich kleinere Organisation „Der dritte Weg“ hingegen sei „massiv neonationalsozialistisch ausgerichtet“ und habe Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in Brandenburg genutzt, um verfassungsfeindliche und verschwörungstheoretische Parolen zu verbreiten.

Ein Teil der Rechtsextremisten ist nicht in Strukturen eingebunden 

Sorgen bereiten den Sicherheitsbehörden auch unstrukturierte Rechtsextremisten – „einsame Wölfe“, die laut Innenminister Stübgen erst spät auf dem Radar der Behörden zu erkennen seien und sich vor allem im Internet radikalisierten. Von 1585 „einsamen Wölfen“, 20 mehr als 2019, ging der Verfassungsschutz im Vorjahr aus. Damit ist ein erheblicher Teil der bekannten Rechtsextremisten nicht in Parteien oder anderen Strukturen wie Kameradschaften, Bruderschaften oder Vereinen eingebunden. Um diesen Personenkreis schneller aufzuspüren, bräuchten die Behörden mehr Möglichkeiten, sagte Stübgen. „Hass und Gewalt bekämpft man nicht mit wohlfeilen Sonntagsreden.“ Innerhalb der rot-schwarz- grünen Koalition sei man sich aber nicht einig über die Ausweitung der Befugnisse, weshalb sich Brandenburg am Freitag bei der Abstimmung im Bundesrat über das neue Verfassungsschutzgesetz, das unter anderem mehr Möglichkeiten der digitalen Überwachung vorsieht, enthalte. Die Grünen etwa setzen auf „gute Bildungsangebote und die Unterstützung einer wehrhaften Zivilgesellschaft“, so die innenpolitische Sprecherin ihrer Landtagsfraktion, Marie Schäffer.
Insgesamt betrachtet, heißt es im Verfassungsschutzbericht, seien rechtsextremistische Bestrebungen im Süden des Landes weiterhin stärker als in anderen Landesteilen. „Dort existiert eine gewachsene, verdichtete und verzahnte Mischszene“, zu der Neonazis, Rocker, Mitarbeiter des Bewachungsgewerbes, Kampfsportler, Hass-Musiker, Parteimitglieder, Bekleidungs- sowie Musiklabels und Hooligans zählen. Insgesamt 45 Prozent aller dem Verfassungsschutz bekannten märkischen Rechtsextremisten gelten als gewaltorientiert. 

[Was ist los in Potsdam und Brandenburg? Die Potsdamer Neuesten Nachrichten informieren Sie direkt aus der Landeshauptstadt. Mit dem neuen Newsletter Potsdam HEUTE sind Sie besonders nah dran. Hier geht's zur kostenlosen Bestellung.]

Auch die Zahl islamistischer Extremisten steigt 

Seit 2013 steigt auch die Zahl islamistischer Extremisten . 2020 wurden 200 Personen, zehn mehr als 2019, gezählt. Der Zuwachs sei auf ein steigendes salafistisches Personenpotenzial zurückzuführen, so Verfassungsschutzchef Müller. Hinzu komme die Ausdehnung islamistisch-legalistischer Bestrebungen, ein für Brandenburg neues Phänomen. 

Zahl der Linksextremisten leicht rückläufig 

Im Vergleich zum Rechtsextremismus sei der Linksextremismus in Brandenburg deutlich weniger relevant. Nachdem das Personenpotenzial über mehrere Jahre wuchs, war es 2020 mit 640, einem Minus von zehn, leicht rückläufig. Die Zahl gewaltorientierter Autonomer lag unverändert bei 240. Der Verein „Rote Hilfe“, der Straftäter unterstütze und damit Gewalt rechtfertige, zählte unverändert 360 Mitglieder. „Es ist mehr als nur bedenklich, wenn Brandenburger Abgeordnete für diesen Verein Werbung machen“, sagte Jörg Müller. Unter anderem der Linken-Bundestagsabgeordnete Norbert Müller, der im Potsdamer Wahlkreis 61 gegen die Kanzlerkandidaten von Grünen und SPD, Annalena Baerbock und Olaf Scholz, antritt, ist Mitglied.

Auch die extrem linke Szene instrumentalisiert die Pandemie 

Dass auch die linksextremistische Szene Corona für sich nutzt, zeigte Verfassungsschützer Müller an folgendem Beispiel: „Du hast Corona? Dann sei doch so nett und stecke einen Bullen, einen Politiker oder einen Richter an. Damit mehr von denen, die uns unserer Freiheit berauben verrecken!“, hieß es im März 2020 in einer linksextremistischen Publikation aus Brandenburg.

Zur Startseite