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Der verstorbene Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag Brandenburg, Klaus Ness.

© Ralf Hirschberger/dpa

Zum Tod von Klaus Ness: Der Stratege der SPD

Er war über Jahre einer der einflussreichsten und prägendsten Politiker in Brandenburg – und ein political animal, Kettenraucher. Nun ist Klaus Ness im Alter von nur 53 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Etwas stimmte nicht. Er gab nichts darauf. Heute Abend müsse er einmal zeitiger ins Bett, hatte Klaus Ness gesagt, nur ein paar Stunden vorher. Das war für ihn, den Vollblutpolitiker, immer unter Strom seit zweieinhalb Jahrzehnten, rund um die Uhr, schon ungewöhnlich. Er telefonierte da mit Matthias Platzeck, dem Freund und engsten politischen Weggefährten. Beide deklinierten die Großwetterlagen der Politik durch, im Bund, im Land, ehe sie ihr Gespräch unterbrochen hatten: Ness musste in den Landtag.

Kurz darauf, am Donnerstagabend, brach er dort nach der letzten Plenarsitzung dieses Jahres mitten beim parlamentarischen Abend zusammen. Es waren dramatische Szenen, die sich abspielten: Zwei Ärzten, dem CDU-Abgeordneten Michael Schierack, Orthopäde, und der Grünen Ursula Nonnemacher, Notärztin, gelang es zwar, Ness noch einmal wiederzubeleben, bis der Rettungsdienst kam. Doch in der Nacht zum Freitag ist der 53-Jährige im Potsdamer Klinikum „Ernst von Bergmann“ verstorben.

Eine Schockwelle ging durch Brandenburgs Politikbetrieb

Die Nachricht vom plötzlichen Tod von Ness, SPD-Fraktionschef im Landtag, lange Jahre Generalsekretär der Landes- SPD, einer der wichtigsten und prägendsten Politiker des Landes, verbreitete sich am Morgen danach in der kleinen, eher familiären Politikgesellschaft Brandenburgs wie eine Schockwelle. „Es ist so unfassbar, so unvorstellbar“, sagte Ex-Regierungschef Platzeck, der noch in der Nacht im Krankenhaus war und mit der Gattin Martina Gregor-Ness, mit Ministerpräsident und SPD-Landeschef Dietmar Woidke und Landtagspräsidentin Britta Stark persönlich Abschied nahm. „Wir sind zwei Jahrzehnte jeden Schritt gemeinsam gegangen“, sagte Platzeck.

Klaus Ness, verstorben im Alter von nur 53 Jahren, der in der Landespolitik immer dazugehörte, immer da war? „Ich denke, ich trete damit niemandem zu nahe“, sagte Platzeck. „Er war der klügste Kopf der Brandenburger SPD.“ Ja, Brandenburgs Sozialdemokraten, die seit 1990 hier ununterbrochen die Regierungschefs stellen, haben diesen Erfolg maßgeblich auch ihm zu verdanken.

Wie ihn seine Jugend geprägt hat

Ness muss man anhand seiner Jugend verstehen: 1962 geboren, Arbeiterkind, aufgewachsen in der niedersächsischen Stahlstadt Peine, Lehrerstudium – und SPD-Eintritt schon mit 15 Jahren, mitten im „Deutschen Herbst“, als die RAF Deutschland mit Terror überzog. Ness erlebte auch den Niedergang der Stahlindustrie in seiner Heimat, wie Arbeiter ihren Job verloren, wie Gewissheiten und bekannte Strukturen in sich zusammenbrachen. Das hat ihn geprägt.

1991 kam er nach Brandenburg, war erst bis 1994 Mitarbeiter, dann Landesgeschäftsführer der SPD in Brandenburg. Als Platzeck Bundesvorsitzender wurde, wechselte er mit ihm nach Berlin ins Willy-Brandt-Haus – und als Platzeck aus gesundheitlichen Gründen das Amt wieder abgab, kehrte er mit ihm wieder zurück nach Brandenburg und wurde Generalsekretär der Landes-SPD. Als Platzeck 2013 nach einem Schlaganfall als Regierungschef zurücktrat, übernahm Ness unter dem neuen Regierungschef Woidke die Landtagsfraktion.

Er ist der Chefdenker hinter den Wahlerfolgen

Ness war es, der zwei Jahrzehnte für die Regierungschefs Manfred Stolpe und Matthias Platzeck die erfolgreichen Wahlkämpfe konzipierte und organisierte. Unter Platzeck wurde er zum entscheidenden Strippenzieher und Chefstrategen, der nach der Landtagswahl 2009 den Wechsel von der Koalition mit der CDU zur rot-roten Regierung mit den Linken einfädelte.

Er disziplinierte nach innen, war dabei nicht zimperlich, stellte auch Genossen kalt, die er als Risiko für die Machtbasis der Partei ausmachte. Und er lieferte sich mit dem Gegner die härtesten Gefechte. Er galt als Zuchtmeister, als einer, der die Reihen unbedingt geschlossen halten wollte, selbst in der rot-roten Koalition, wo er die Linken oft genug belächelte wegen ihres Impetus, ihres Idealismus. Es sollte bloß nicht zu vielstimmig sein, bloß keinen Anschein von Uneinigkeit geben, immer auf Abwehr eingestellt, intern hart und nicht immer sauber gegen Abweichler und Opponenten.

Strukturkonservatismus gepaart mit sozialer Gerechtigkeit

Stets argumentierte er dabei mit der Bodenständigkeit, dem Eigensinn der Brandenburger, ihrer Abneigung vor allzu großen Veränderungen oder „dass ihnen eine Meinung von oben quasi übergeholfen werden soll“. Diesen Strukturkonservatismus pflegte Ness politisch, auch in der Koalition gegen die Linke. Und doch verband er ihn mit einem unbedingten Festhalten an dem Grundwert der Sozialdemokratie: soziale Gerechtigkeit. Nicht immer ging das auf.

Er sei ein „konzeptioneller Stratege, ein Intellektueller, mit einer großen Begabung für die praktischen Dinge der Politik“ gewesen, sagt Platzeck. Dabei war Ness nie beliebt, auch nicht in den eigenen Reihen. „Das will ich auch gar nicht sein“, hat er einmal gesagt.

Auch beim Gegner geachtet als aufrichtiger Typ

Und für die Konkurrenz war er oft ein rotes Tuch, weil er keilte und austeilte, scharfzüngig wie keiner sonst, ja, und dabei auch Grenzen überschritt, verwundete. Trotzdem wurde Ness, hinter dessen rauer Schale sich ein weicher Typ verbarg, respektiert, auch beim Gegner geachtet, als aufrichtiger Typ. Niemand hatte Zweifel, dass er es ernst meinte. Einer mit klaren Positionen, eine verlässliche Reibungsfläche. Und die Erfahrung, dass man sich auf sein Wort verlassen konnte, haben viele gemacht. Das mag erklären, warum etwa die Liberalen die Ersten waren, die am Morgen eine betroffene Erklärung verschickten, warum die CDU in der Nacht ihre Mitglieder per SMS über die „traurige Nachricht“ informierte.

Und doch ist auch bittere Ironie dabei, welche tragischen Läufe das Schicksal nehmen kann, dass gerade Schierack um sein Leben rang, den Ness in der Auseinandersetzung um die Koalitionsbildung nach der Landtagswahl 2014, um Arztpraxis und Kabinettsposten, besonders hart angegriffen und verletzt hatte. Ja, es wird Ness zugeschrieben, ein rot-schwarzes Bündnis mit der CDU, die er für regierungsunfähig hielt, verhindert zu haben.

Kettenraucher, ein Getriebener, ein Workaholic

Am Tage nach seinem Tod hört man in Potsdam viele nachdenkliche Stimmen, nämlich über den Preis der Belastungen des Politikbetriebes. Ness sei einer gewesen, der für die Politik alles gegeben habe, einer der Kette raucht, ein Getriebener, ein Workaholic, ein political animal, heißt es. Der manchmal selbst vergaß, sich von seiner Frau zu verabschieden, in Gedanken bereits beim nächsten Termin war. „So ist er“, sagte Martina Gregor-Ness dazu, die bis 2014 im Landtag saß, eine bodenständige Lausitzerin, die Ness 2007 geheiratet hatte. Beide lebten in Senftenberg. Es war eine Beziehung, die Ness „endgültig zum Brandenburger werden ließ, die ihn erdete“, wie Freunde sagen. „Wer Ness näher kannte, wusste, dass sich hinter der rauen Schale ein sehr gebildeter, feinsinniger und nachdenklicher Mensch verbarg“, sagte auch sein Parteigenosse, Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter.

In den letzten Tagen, Wochen und Monaten hatte der verstorbene SPD-Politiker vor allem ein Thema, das ihn umtrieb. Jeder hat sein Spezialthema, sagte Ness erst vor wenigen Tagen in seinem Büro im Landtag. Bei ihm war es die tiefe Sorge, dass es auch in Brandenburg humanitäre Dammbrüche wie in Sachsen, Ausschreitungen gegen Flüchtlinge, ein weiteres Erstarken rechter Extremisten geben könnte. Das zu verhindern, war für ihn wichtiger als alles andere.

Harte Kante gegen Rechtsextremisten

Fast kein Gespräch, das nicht auf diesen Punkt kam. Und so gelang es Ness, dem früheren Polarisierer, im Landtag Brücken zu bauen, eine Allianz der demokratischen Parteien gegen die AfD zu schmieden. Damit verhinderte er, dass AfD-Abgeordnete mit rechter Vergangenheit in die parlamentarische Kommission zur Kontrolle des Verfassungsschutzes gewählt wurden.

Wer ihn kannte, der weiß, dass Ness auf einen Nachruf verzichtet hätte, auf den von Alexander Gauland, dem früheren Herausgeber und jetzigen Chef der AfD in Brandenburg, mit dem er früher ein literarisches Quartett veranstaltet hatte, dessen Stimmungskreuzzug gegen Flüchtlinge er zutiefst verabscheute und auf seine Art bekämpfte.

Er hinterlässt ein Machtvakuum

Ness hinterlässt in der SPD ein Machtvakuum, Dietmar Woidke hatte sich mit ihm ausgesöhnt, trotz der Verletzungen. Etwa als Ness ihn 2009 im Zuge der Landtagswahl zwischenzeitlich auf einen Landratsposten abschieben wollte. Oder als er dann bei der Bildung der ersten rot-roten Koalition Woidke, der ursprünglich nicht mit den Linken wollte und ihnen nicht traute, aus dem Kabinett beförderte und zurück in die Fraktion zwang.

Woidke, der nie zum engeren Führungszirkel um Platzeck, Ness und Rainer Speer gehörte, sich aber bewährte, durchhielt, bis kein Besserer in Sicht war, setzte dann als Regierungschef weiter auf Ness, an ihm kam er nicht vorbei. Er war für die Fraktion, für das interne Machtgefüge unverzichtbar. Auch wenn seine alten Muster, seine Genossen zu disziplinieren, nach der Landtagswahl 2014 nicht mehr griffen, die jungen Abgeordneten Freiräume suchten, eigene Initiativen starteten, gegen den Ruf der Fraktion als Abnickgruppe angingen. Dennoch: Das Ausmaß des Verlustes lässt sich nur erahnen. Das Machtgefüge ist komplett dahin. Nachfolger von Format? Kaum in Sicht. Das Personaltableau ist übersichtlich. Auch das ist das Erbe von Klaus Ness. Unter ihm konnte kaum einer in der SPD richtig groß werden. Dabei wollte Ness doch immer das: stabile Verhältnisse, für das Land, für die Macht.

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