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Brandenburg: Zukunftsfragen für die Lausitz

Ist der Energieträger Braunkohle auf dem Rückzug? Eine Bestandsaufnahme

Essen/Cottbus – „CO2-Schleuder“ oder Energiegarant – die Braunkohle wird immer kontroverser diskutiert. Unlängst hat der schwedische Staatskonzern Vattenfall Verkaufspläne seiner Braunkohlesparte in der Lausitz ins Gespräch gebracht. Kommt nach dem Atomausstieg jetzt viel schneller als gedacht auch der Braunkohleausstieg?

Ein Viertel des deutschen Stroms stammt weiter aus Braunkohlekraftwerken – trotz der Milliardeninvestitionen in erneuerbare Energien und aller Klagen von Umweltschützern über die „CO2-Schleudern“. Doch seit einigen Monaten rückt die Politik ab von dem schon lange umstrittenen, aber verführerisch billigen Energielieferanten: Im Frühjahr beschloss die NRW-Landesregierung überraschend die Verkleinerung des größten deutschen Braunkohlereviers Garzweiler II am Niederrhein. In der vergangenen Woche kündigte der schwedische Energiekonzern Vattenfall an, einen Verkauf seines Braunkohlereviers in der Lausitz zu prüfen.

Warum ist Braunkohle umweltschädlicher als Gas und Steinkohle?

Braunkohle hat bis zu 60 Prozent Wasseranteil. Der Heizwert ist deutlich niedriger als bei Steinkohle oder Gas. Deshalb muss für die Energieerzeugung wesentlich mehr Material verbrannt werden. Der CO2-Ausstoß liegt auch bei den modernen Braunkohleanlagen im rheinischen Revier mit rund 900 Gramm CO2 pro Kilowattstunde etwa doppelt so hoch wie bei Gaskraftwerken. Alte Braunkohlekraftwerke emittieren sogar 1000 Gramm und mehr. Hinzu kommt die Landschaftszerstörung beim Braunkohleabbau, für den ganze Dörfer umgesiedelt werden müssen.

Was spricht für die Technik?

Braunkohle als Energielieferant ist deutlich preiswerter als Steinkohle und Gas. Steinkohle wird in Deutschland aus über 1000 Meter Tiefe gewonnen, Gas muss meist über weite Strecken per Pipeline hergeführt werden. Die Braunkohleressourcen liegen zu 100 Prozent im eigenen Land und reichen noch für viele Jahre – ein wichtiger Punkt angesichts der Ängste um die Gasversorgung wegen des Ukrainekonflikts und der Kämpfe und Unruhen in erdölerzeugenden Staaten.

Warum rückt die Politik dennoch von der Braunkohleförderung ab?

Deutschland bekommt zunehmend Probleme mit seinen Klimaschutzzielen. Zwei Jahre hintereinander ist der CO2-Ausstoß gestiegen statt gefallen. Die geplante Reduzierung der Treibhausgase um 40 Prozent bis 2020 wird nach jetzigem Stand deutlich verfehlt. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat zum Entsetzen der Energiebranche jetzt sogar eine Schließung älterer Kohlekraftwerkskapazitäten ins Gespräch gebracht.

Was bedeutet das für die Versorger?

Der Börsenstrompreis ist unter anderem wegen der zusätzlichen Wind- und Sonnenstrommengen seit Jahren rapide gefallen und liegt nur noch bei etwa vier Cent pro Kilowattstunde. Das liegt unter den Produktionskosten vieler Gaskraftwerke. Braunkohlekraftwerke, deren Produktionskosten auf rund drei Cent pro Kilowattstunde geschätzt werden, sind damit – neben der auslaufenden Atomkraft – die letzten verlässlichen Gewinnbringer der Versorger in der Stromerzeugung.

Aber ist das Klima und das künftige Überleben nicht wichtiger als alle Berechnungen?

Ja, sagen die Umweltschützer – schon längst. Dass RWE noch in jüngster Vergangenheit Milliarden für zwei 2012 eröffnete Braunkohlekraftwerksblöcke in Grevenbroich am Niederrhein investiert hat und am Projekt eines weiteren Blocks festhält, halten sie für völlig verfehlt. Die Kohlebranche verweist dagegen schlicht auf den Anteil von rund 45 Prozent von Stein- und Braunkohle an der Stromerzeugung. So viel Kapazität sei nicht in kurzer Zeit zu ersetzen, wenn gleichzeitig die Atomkraft mit aktuell immer noch gut 15 Prozent abgeschaltet wird.

Und wenn sich überhaupt kein Interessent für Vattenfalls Braunkohlesparte findet? Springen dann womöglich die Länder Brandenburg und Sachsen ein?

Das ist völlig unklar. Die beiden Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) und Stanislaw Tillich (CDU) warnen auch mit dem Verweis auf Tausende Arbeitsplätze vor einem raschen Ausstieg und dringen auf eine schnelle Entscheidung von Vattenfall, damit Klarheit herrscht. Woidke schließt einen Einstieg von Brandenburg ins Braunkohlegeschäft zumindest nicht kategorisch aus. Die Frage, ob Braunkohle unter Umständen in Landeshand kommen könnte, beantwortete er am Mittwoch vor Journalisten so: „Das ist eine Frage, die sich momentan überhaupt nicht stellt.“ Er fügte zugleich aber hinzu: „Das wird eine Frage sein, die man prüfen muss, wenn entsprechende Verkaufsabsichten detaillierter dargelegt werden.“

Wer könnte sonst einstiegen?

Deutschlands größter Braunkohleförderer RWE will die Braunkohleanlagen des Konkurrenten Vattenfall in der Lausitz nicht übernehmen. Es gebe keine diesbezüglichen Pläne, sagte eine RWE-Sprecherin. Der Essener Konzern hatte derartige Gedankenspiele schon mehrfach deutlich dementiert. Vergangene Woche hatte Vattenfall angekündigt, eine neue Eigentümerstruktur seiner Braunkohlesparte in der Lausitz zu prüfen. Im zweitgrößten Braunkohlerevier Deutschlands in Ostdeutschland arbeiten etwa 8000 Menschen. Schwedens neue rot-grüne Regierung will mit ihrem Staatskonzern Vattenfall stärker auf erneuerbare Energien setzen und sieht die Zukunft offensichtlich nicht in der Braunkohle. RWE ist mit weit über 30 Milliarden Euro hoch verschuldet und kaum in der Lage zu einer großen Übernahme. Investitionen hat das Unternehmen stark zurückgefahren. Die noch vorhandenen Mittel sollen in erneuerbare Energien fließen, hatte das Unternehmen mehrfach mitgeteilt. Als ein Interessent für die Vattenfall-Braunkohlesparte gilt der tschechische Energiekonzern EPH. EPH besitzt bereits die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft Mibrag in Sachsen-Anhalt. Rolf Schraa, Anna Ringle-Brändli

Rolf Schraa, Anna Ringle-Brändli

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