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Zentrale des DDR-Geheimdienstes: Die andere Seite der Stasi-Platte

Roland Jahn, Chef der MfS-Unterlagenbehörde, möchte die frühere Stasi-Zentrale zum Campus der Demokratie machen, sieht das Areal als lebendigen Ort und träumt von den Stones auf dem Dach.

Roland Jahn spekuliert auf die Wirkung des Ortes. Der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen hat einiges vor mit dem Gelände des Ministeriums für Staatssicherheit an der Ruschestraße in Berlin-Lichtenberg. Immer noch wirkt das ehemalige Geheimdienst-Hauptquartier ganz eigenartig, nämlich anziehend und abstoßend zugleich. Hochhäuser, wie gigantische Bauklötze neben- und aneinandergestellt, 50er-Jahre-DDR-Moderne neben der Plattenbaugleichförmigkeit der Siebziger, dazwischen Koniferen in Betonblumenkübeln: So stellt sich die Unterdrückungs- und Überwachungsmaschine der DDR heute dar, so zieht sie jeden an, der sich einen Eindruck von ihrer Größe, ihrer Selbstgefälligkeit und ihrer Macht verschaffen will. Und so wird sie noch immer alle abstoßen, die zu DDR-Zeiten von der Stasi ausgeforscht, genötigt, erpresst und eingesperrt worden sind.

Ein Ort, findet Roland Jahn, an dem man über die Abschaffung der Freiheit genauso viel lernen kann wie über deren Gewinn und über Demokratie. Da steht der grauhaarige Mann, der beim Sturm auf Mielkes Ministerium im Januar 1990 mit dabei war, auf dem großen Innenhof, hat „Haus 1“ mit dem Büro des Stasi-Ministers im Blick, das frühere Offizierskasino im Rücken und das Archiv mit den Aktenmassen rechts von sich und spricht vom „Dreieck“, das den Campus der Demokratie umrahmen könnte: Das schöne Wort, das aufs erste Hören so wenig zur graubraunen DDR-Rauputz-Stimmung des Geländes passt, transportiert Jahns Pläne mit dem Gelände und den Anspruch seiner Idee: Bildung, Forschung, Diskussion in drei Gebäuden, an einem Ort.

Baulich ist der Rahmen da, inhaltlich existiert er teilweise, und Jahn will ihn vervollständigen. Haus 1 mit seiner Ausstellung verschiedener Überwachungsmethoden und -Techniken steht für den Aufklärungs- und Bildungsimpuls. Jahn will über erreichbare Besucherzahlen nicht spekulieren, erinnert aber an die 6000 Menschen, die zur Wiedereröffnung der Ausstellung vor ein paar Monaten an einem Wochenende kamen. Damals konnte man sehen, dass das Interesse an Mielkes Hauptquartier Jungtouristen aus Spanien oder Italien ebenso an den Ort zieht wie Väter mittleren Alters mit ihren halbwüchsigen Kindern. Gemeinsam mit den Mitgliedern und Mitarbeitern der ASTAK (Antistalinistische Aktion Berlin-Normannenstraße), die seit 1990 im Haus 1 eine Forschungs- und Gedenkstätte unterhalten, soll eine neue Ausstellung entstehen. Deren Ansatz solle ein „biografischer“ sein, sagt Jahn: Wie die Stasi funktionierte, soll an Lebensläufen gezeigt werden, an denen der Opfer, aber auch an denen der Täter.

Jahn hält dies für die beste Methode, um Jugendliche und junge Leute zu erreichen, die die DDR nur aus dem Unterricht kennen. Wenn man zeige, wie die Stasi die Rockband „Renft“ in den Blick fasste, inklusive musizierendem Spitzel, erreiche man damit junge Leute, sagt Jahn.

Für das, was nach dem Sehen kommt, das Reden, Diskutieren und vielleicht das Lesen, hat Jahn „Haus 22“ vorgesehen. Das ehemalige Offizierskasino, in dem noch die DDR-Lampenmode von der Decke strahlt, könnte ein „Lesecafé“ werden sagt Jahn. Der Betonbau verfügt über eine schöne große Terrasse und ein paar Säle, und der Behördenchef sieht hier schon Leute lesen und reden, er stellt sich vor, dass im Sommer viel Betrieb auf dem großen Innenhof ist, den vor 24 Jahren womöglich Erich Mielke misstrauischen Blicks vom Büro aus kontrollierte. Dort solle „eine Atmosphäre entstehen, wo man offen ist, sich zu bilden und lebendig zu diskutieren“, sagt Jahn, und so, wie er sich die Zukunft des Hauses 22 vorstellt, folgt man ihm gern dabei.

Teil drei des Rahmens, Haus 7 mit dem Archiv der Behörde, enthält die 111 Kilometer Akten. Auch wenn man die Zahl schon öfter mal gehört hat, ist der Anblick der Papiere in Aktendeckeln auf Regalmetern faszinierend: Papier gewordene Sammelwut, zum „Vorgang“ gemachtes Misstrauen gegenüber den Bürgern des eigenen Landes. Für Jahn sind sie ein „Monument des Überwachsens“. In diesem und dem damit zusammenhängenden Haus 8 will Jahn die Forschung und die mit dem Archiv zusammenhängende Öffentlichkeitsarbeit der Stasi-Unterlagenbehörde unterbringen. Noch arbeiten die Forscher in einem großen Bürogebäude an der Karl-Liebknecht-Straße nicht weit vom Alexanderplatz. Jahn möchte die Forscher und ihr Material auf dem Gelände an der Ruschestraße zusammenbringen. Das ist auch der Ausgangspunkt für seine „Campus-Idee“: Als Behördenchef versuche er im Sinne des Stasi-Unterlagengesetzes so effektiv wie möglich zu organisieren, was die Behörde leisten soll, unter anderem die Erforschung der Akten und die Information der Öffentlichkeit. Dass Forscher leichter arbeiten können, wenn ihr Material nicht stets kilometerweit transportiert werden muss, versteht sich.

Der Umzug der Forscher in die Normannenstraße, die Einladung an die Robert-Havemann-Gesellschaft, ebenfalls dort hinzukommen und auf dem Gelände ihre Ausstellung über die friedliche Revolution zu zeigen, die eine Zeit lang auf dem Alexanderplatz zu sehen war – das sind Impulse, die Roland Jahn geben kann. Und die Arbeit des Archivs ist auch nicht nur staubig und trocken: Jahn erzählt von der Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik: Auf der Basis vorsortierter Aktenschnipsel entwickelt das Institut ein Verfahren zur Rekonstruktion zerrissener Akten – mit der Zerstörung zahlloser Vorgänge hatten Stasi-Mitarbeiter ihre letzten Arbeitstage verbracht, während das DDR-Regime im Spätherbst ’89 friedlich unterging. Wenn das Fraunhofer-Verfahren mal funktioniert, könnte es in einem anderen Gebäude auf dem Areal angewandt werden.

Auch die Arbeit mit den Akten interessiert die Leute. Jahn begrüßt vor dem Archivgebäude im Vorübergehen eine Besuchergruppe aus Taiwan. Auch dort interessiert man sich für den Umgang mit der Hinterlassenschaft einer Diktatur, was mit Taiwans gigantischem Nachbarn, der Volksrepublik China zu tun hat. Das Gelände, sagt Jahn, sei eben ein Ort der Repression und der Befreiung davon. Das kann einen auf viele interessante Ideen bringen. Drüben auf dem flachen Dach von Haus 18, dem Versorgungsgebäude für die Stasi-Mitarbeiter, könnten doch die „Rolling Stones“ mal spielen, sagt er. Die Aussicht von Mielkes Dächern ist gigantisch.

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