zum Hauptinhalt
Bleiben sie? Ministerpräsident Dietmar Woidke (l.) bei der Vereidigung von Innenminister Karl Heinz Schröter 2014. Jetzt stehen beide unter Druck.

© R. Hirschberger / dpa

Brandenburg: Woidke beschwört die Basis

Der SPD-Landeschef versucht die Genossen mit einem Brief zu beruhigen und setzt auf Miteinander. Ob das für die Zukunft reicht?

Potsdam - Nicht wenigen ist unheimlich, wie es derzeit nach der Absage der Kreisreform durch Ministerpräsident Dietmar Woidke in der Brandenburger SPD, in der rot-roten Landesregierung und in der Landtagsfraktion zugeht. Alle warten, wer als erster aus der Deckung geht, sagte ein Mitglied der Fraktion. Es herrsche Wut und Fassungslosigkeit über Woidke, aber auch Sorge vor unkontrollierbaren und unwägbaren Risiken durch die Regierungskrise, wie ein anderer sagte.

Mit Spannung wird erwartet, ob Ministerpräsident und Landesparteichef Dietmar Woidke am Montag bei der Sitzung des Landesvorstands tatsächlich den Vize-Chef der Fraktion, Daniel Kurth, als neuen Generalsekretär, als Nachfolger für die zurückgetretene Klara Geywitz vorschlägt. In den sozialen Medien haben bereits mehrere Genossen angekündigt, ebenfalls ins Regine-Hildebrandt-Haus in Potsdam zu kommen, um ihren Unmut über das Agieren der Parteispitze und den desolaten Zustand der Brandenburger SPD zu äußern – die Sitzung ist jedenfalls offen für Mitglieder. Obendrein wird der neue Generalsekretär beim Parteitag der SPD am 18. November wohl nicht gewählt werden können, weil Satzungsfristen einzuhalten sind. Mitglieder des Landesvorstands denken nach PNN-Recherchen sogar über einen kompletten Rücktritt des Gremiums nach. Und überall ist zu hören: Ein neuer Führungsstil in der SPD ohne Männerrunden und Küchenkabinette sei nötig.

Die zentrale Frage ist, ob Woidke das alles durchsteht. Er selbst wandte sich nun in einem Brief an alle Mitglieder, um die Basis zu beruhigen und die Reihen zu schließen. Tatsächlich reagierten nicht wenige entsetzt auf das dreiseitige Schreiben, das den PNN vorliegt – weil Woidke erst Bedenken in der eigenen Partei gegen die Reform beiseite schob, durchregieren wollte, und nun Solidarität der Basis, in seinem Brief wörtlich mehrfach ein Miteinander bei seinem Kurswechsel einfordert.

Woidke bedauert in dem auf Donnerstag datierten Brief, dass der Stopp am Dienstagabend durch einen Bericht der PNN publik wurde, bevor Woidke dies mit „allen wichtigen Gremien“ ausführlich besprechen konnte. Er wisse sehr gut, wie schwierig es für die Genossen gewesen sei, die sich vor Ort für die Reform eingesetzt hätten. „Ebenfalls weiß ich, dass auch innerhalb unserer Partei über die Vorzüge oder Nachteile der Reform kontrovers debattiert worden ist“, schreibt Woidke. In den vergangenen Wochen und Monaten sei „unverkennbar geworden: Das Vorhaben hat Menschen im Land gegeneinander aufgebracht.“ Die Polarisierung „drohte die Bevölkerung zu spalten – bis in unsere eigene Partei hinein“. Die Durchsetzung der Reform würde „zu noch mehr Spaltung führen – gerade in einer Zeit, in der wir mehr Versöhnung, mehr Zusammenhalt und mehr Miteinander brauchen“.

Für ihn als SPD-Landeschef sei entscheidend, dass für die Partei stets das Verbindende im Vordergrund stehen müsse. Die SPD müsse wieder nach vorne schauen und jene Themen in Angriff nehmen, die für die Menschen „wirklich vordringlich sind“: Verkehr, Bildung, Sicherheit, schnelles Internet, gute Arbeitsplätze. Zugleich erklärte Woidke, angesichts der scharfen Auseinandersetzungen habe er sich oft an Regine Hildebrandts berühmter Satz erinnert: „Kinder, vergesst nicht, der eigentliche Sinn des Lebens liegt im Miteinander.“ Woidke dazu: „Das ist unser Brandenburger Weg – und diesen Weg sollten wir gemeinsam weiter gehen.“

Die Linke hofft darauf, dass sich die Lage bei der SPD beruhigt. Von einer desolaten Lage des Koalitionspartners ist bei den Linken die Rede. Auf den Fluren sogar von Lagerbildung – auch gegen Woidke. Von einem Lager um den zurückgetretenen Bildungsminister Günter Baaske. Von Personalwechseln, davon, dass der Bundesbevollmächtigte Martin Gorholt Staatskanzleichef werden könnte. Am meisten fürchtet die Linke aber Neuwahlen, Verluste, das Aus der Koalition.

Auch der Name von Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD), der zentral für die Reform zuständig ist, fällt immer wieder. In der Landtagsfraktion wird er für das Reformchaos verantwortlich gemacht und sein Rücktritt für nötig gehalten. Bekannt wurde inzwischen, dass Woidke mit Schröter, den Chefs der Kommunalverbände, Mittelmark-Landrat Wolfgang Blasig und Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (beide SPD), den Fahrplan für den Reformausstieg bereits am 2. Oktober verabredet haben soll. Umso mehr ist der Ärger in der Fraktion groß, dass Woidke zehn Tage später Abweichlern indirekt mit Neuwahlen gedroht hatte. Und dass Woidke nun erklärte, die Desaster-Anhörung im Innenausschuss eine Woche darauf habe ihn zur Abkehr bewogen.

Schröter jedenfalls zeigt sich dieser Tage im Ministerium ganz entspannt. In der nächsten Woche sind für ihn nur vier offizielle Termine vermerkt, einer am Montag bei der gemeinsamen Kabinettssitzung mit Berlin, am Freitag und Samstag drei. Er denkt jedenfalls nicht an Rücktritt, wie er der „Bild“-Zeitung sagte. „Ich fühle mich so medium“, erklärte er. „Meine Amtszeit endet in zwei Jahren. Ich gebe Verantwortung nicht ab, auch wenn sie schwer zu tragen ist.“ Wenn etwas schief gehe, werde als erstes die Schuldfrage gestellt. „Da sitze ich natürlich mit in der ersten Reihe.“ Über Woidke sagt er: „Wir vertrauen uns gegenseitig.“ Er werde am Mittwoch noch Minister sein. „Jetzt müssen wir erst mal Ruhe bewahren. Schnellschüsse sorgen nur für Verwirrung.“ Dem RBB sagte Schröter, dass er nun an einem Neustart für die Reform mitarbeiten wolle. „In jedem Abbruch ist auch irgendwo die Chance eines Neustarts, darüber ist jetzt nachzudenken.“

Auch wenn für Linksfraktionschef Ralf Christoffers die Reformabsage nicht gänzlich überraschend gekommen sei, frage er sich auch, ob man das Projekt eher hätte stoppen sollen, wie er dem „Neuen Deutschland“ sagte. Es bestehe weiter Reformbedarf, Woidke werde in seiner Regierungserklärung die nächsten Schritte deutlich machen. „Dabei geht es aber nicht um etwas, das binnen eines Jahres erreicht werden kann, sondern wir reden hier von einem längeren Zeitraum“, sagte Christoffers. Die Zeit bis zur Landtagswahl 2019 reicht offenbar nicht.

nbsp;Alexander Fröhlich

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false