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Medaillenreif. Der spektakulärste Dopingfall bei den Olympischen Winterspielen war ausgerechnet der eines Curlers. Auch wenn unserem Autor Andreas Hartmann nach seinem Probetraining nicht ganz klar war, wieso man dopen muss, wenn man rutschend Steine gleiten lässt – einen Muskelkater hatte er am Tag danach.

© Kai-Uwe Heinrich

Brandenburg: Wischen für Anfänger

Olympia sei Dank: Plötzlich wollen ganz viele den Wintersport Curling ausprobieren. Unser Autor war beim Probetraining

Berlin - Schon beim Betreten des Eises wird klar: So einfach, wie man sich das mit dem Curling vorgestellt hat, wird das hier nicht. Man bekommt eine Art Rutschsohle unter den linken Schuh geschnallt, einen sogenannten Slider, ohne den die typischen Curler-Bewegungsabläufe auf dem Eis gar nicht möglich wären. Und darf sich damit erst einmal ein paar Minuten auf dem gefrorenen Grund bewegen. An echtes Curling mag man zur eigenen Betrübnis überhaupt noch gar nicht denken, wenn man vor allem damit beschäftigt ist, sein Gleichgewicht nicht zu verlieren.

Einfach mal Curling ausprobieren – diese Vorstellung hat einen zum Probetraining des ursprünglich aus Schottland kommenden Wintersports in die Eissporthalle PO9 in Charlottenburg geführt. Zur einzigen Curling-Möglichkeit in Berlin und ganz Brandenburg überhaupt, wie Obmann Jörg Manasse aufklärt, „der nächste Curling-Verein befindet sich in Hamburg“, sagt er.

Natürlich ist man hier wegen der gerade erst zu Ende gegangenen olympischen Winterspiele. Curling, in Deutschland sonst ein so gut wie unsichtbarer Sport, lief rauf und runter bei den Olympia-Übertragungen aus dem südkoreanischen Pyeongchang. Manasse sagt, er kenne diesen Olympia-Effekt schon, nach Sotschi vor vier Jahren sei es auch so gewesen – direkt nach den olympischen Winterspielen trudelten zig Anfragen nach einem Probetraining bei ihm ein. Fragt man ein paar der fast ein Dutzend Curling-Novizen, die hier gerade neben einem mit ihren Slidern unter den Schuhsohlen unbeholfen auf dem Eis herumrutschen, hört man dann tatsächlich unisono: Die Übertragungen der Curling-Wettkämpfe bei Olympia habe sie in die gerade mal zehn Grad warme Eishalle geführt.

Es ist ja auch tatsächlich so, dass es kaum einen für den Fernsehzuschauer faszinierenderen Wintersport als Curling gibt. Bei den meisten anderen Wettbewerben geht es um ein Höher, Schneller, Weiter. Curling wirkt da im Vergleich geradezu meditativ – und kann einen aus verschiedenen Gründen dennoch mehr packen als jeder vermeintlich viel spektakulärere Skicross-Wettbewerb.

Aber worum geht es eigentlich?

Zwei Mannschaften versuchen ihre sogenannten Steine im sogenannten Haus zu platzieren. Die Mannschaft, deren Steine am Ende besser liegen, gewinnt. Darum geht's. Einfach eigentlich und doch so komplex. Das Spiel ist geprägt von zig taktischen Manövern, die man als Laie kaum durchschaut, weswegen es auch gerne „Schach auf Eis“ genannt wird. Und dann noch diese Wischer in jedem Curling-Team, die manisch mit einem Besen das Eis bearbeiten, auf dem die Steine dann besser gleiten sollen: Wie verrückt sieht das denn bitte aus!

Curling-Obmann Jörg Manasse lässt durchblicken, dass er das Interesse, das sein Sport während Olympia erregt, begrüßt. Auch weil er sich erhofft, ein paar Neulinge für seinen mit ungefähr 30 Mitgliedern nicht besonders großen Verein zu gewinnen. Er sagt aber auch, dass sich viele Curling-Begeisterte vor dem Fernsehbildschirm eine falsche Vorstellung von der ganzen Sache machen würden. „Da ruft dann schon mal jemand an und fragt, ob er mit einer Gruppe von zehn Leuten mal eine Runde bei uns curlen könne. Statt Bowling sozusagen. Dann muss ich immer erklären, dass das so einfach nicht geht.“

Und tatsächlich ist man nach zwei Stunden Probetraining gerade mal so weit, seinen Stein mit Müh und Not ein paar Meter in Richtung Haus bewegen zu können – ohne dabei auf dem Eis auszurutschen. Von Schach auf Eis kann da noch nicht einmal ansatzweise die Rede sein. Und wenn man es dann mal als Wischer probiert und das Eis mit dem Besen bearbeitet, muss man sich von Jörg Manasses Co-Trainer anhören: „Das ist kein Wischen, was du da machst, das ist Fegen.“

Zu einiger Prominenz hat es der Sport dieses Jahr aber geschafft bei Olympia: Der spektakulärste Dopingfall in Pyeongchang war der eines russischen Curlers, woraufhin alle Welt eifrig diskutierte, warum sich bitte ausgerechnet ein Curler hat dopen lassen. Wenn man selbst das Eis mit aller Kraft wischt und dafür nur ein spöttisches Lächeln erntet, bekommt man zumindest eine grobe Ahnung davon, warum auch in diesem Sport gedopt wird.

Jörg Manasse beobachtet den potentiellen Curling-Nachwuchs ganz genau. Steffy und Andreas Gädicke sind eigentlich Ruderer, die es nun mal mit einem Wintersport versuchen wollen. Der Gleichgewichtssinn, den man als Ruderer haben müsse, so Manasse, erkenne er bei dem Ehepaar auch auf dem Eis wieder. Die beiden stellten sich bereits recht geschickt an, findet er. Die Gädickes sagen, ihnen gefalle es hier auf dem Eis ganz gut, und sie würden vielleicht noch einmal wiederkommen, auch wenn Andreas Gädicke nach einem Wischeinsatz mit dem Besen meint: „Das ist ja anstrengender als Rudern.“

Verlockend beim Curling, so Manasse, seien auch die sportiven Möglichkeiten, die dieses biete. Es gebe in den etwa 20 Curling-Vereinen gerade mal 700 aktive Curler in ganz Deutschland, sagt er. Das ermögliche es selbst ihm, der mit seinem Verein nur einmal in der Woche in der Eissporthalle trainieren könne, sich bei Turnieren mit den Besten der Besten messen zu können. Gegen das Curling-Team, das vor vier Jahren in Sotschi für Deutschland angetreten ist, habe er jedenfalls auch schon um einen Pokal gespielt. „Das ist dann ein wenig so, als könnte eine Freizeitmannschaft im Fußball bei einem Turnier gegen den FC Bayern antreten.“

Jetzt will er mit seinem Team jedoch erst mal möglichst weit bei seinen Vereinsmeisterschaften kommen, die gerade noch laufen. Und dann, Ende März, wenn der Frühling einzieht, muss er mal wieder ganz tapfer sein: Dann endet die Curling-Saison und die Eissporthalle schließt bis Anfang September. Bleibt noch festzuhalten: Der Satz „Den Muskelkater habe ich mir beim Curling geholt“ mag ein wenig uncool klingen – er muss an dieser Stelle aber genau so niedergeschrieben werden.

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