zum Hauptinhalt

Brandenburg: „Wir suchen nach Konzepten, diese Dörfer zu erhalten“ Linke-Fraktionschefin Kaiser über Kohledebatte, Wende-Enquete und ein Leitbild für ihre Partei

Warum ziehen Sie sich plötzlich aus der Enquete-Kommission zum Umgang mit der SED-Diktatur im Nachwende-Brandenburg zurück?Die Fraktion hat jetzt, in der Mitte der Legislatur, andere Aufgaben.

Warum ziehen Sie sich plötzlich aus der Enquete-Kommission zum Umgang mit der SED-Diktatur im Nachwende-Brandenburg zurück?

Die Fraktion hat jetzt, in der Mitte der Legislatur, andere Aufgaben. Die Arbeit der Enquete dauert länger, als ich dachte. Ich will mich jetzt auf politische Konzepte zur Zukunft des Landes konzentrieren, nämlich auf das neue Leitbild „Brandenburg 2020“. Das hat Vorrang vor dem Rückspiegel.

Trotzdem, man kann es als Provokation werten. Warum dieses Signal, die Enquete-Kommission abzuwerten?

Zunächst: Es gibt keinen Rückzug aus der Beschäftigung mit Geschichte, keinen Schlussstrich. Es wird für mich immer ein Thema bleiben, auch aus meiner persönlichen Biografie heraus. Ich bin damals in einer zugespitzten Situation, als es zu Beginn der rot-roten Regierungsverantwortung auch um die Glaubwürdigkeit der Linken ging, selbst in die Enquete gegangen. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass wir die Zuspitzung, die auch an unserer Verantwortung lag, nicht ernst nehmen. Künftig sitzt dort die Vize-Fraktionsvorsitzende.

Die Chefin geht, weil Sie die Gefahr für die Linke nach den Stasi-Enthüllungen als gebannt ansehen?

Natürlich besteht die zugespitzte Situation nicht mehr. Entscheidend ist aber: Diese Koalition wird von den Brandenburgern am Ende der fünf Jahre daran gemessen, was sie für Politik gemacht, welche Veränderung sie in der Bildung, im Sozialen, auf dem Arbeitsmarkt, im Klimaschutz geschafft hat, für eine neue Politik, für Weichenstellungen. Ich sage klar: Ich werde vor Ort niemals zu meiner Position in der Enquetekommission zum Umgang mit der Vergangenheit gefragt. Die Leute fragen mich: Wie geht es weiter mit Bildung, mit Kita? Hat es Sinn, dass meine Kinder hier studieren, hier die Familie planen oder doch in den Westen gehen?

Nach dieser Logik könnte die Enquete-Kommission die Arbeit einstellen!

Ich befürchte, dass die Enquete, so wie sie funktioniert, nicht dazu beigetragen hat, im Land tiefer gehendes Interesse für die Auseinandersetzung mit diesen Fragen zu wecken. Leider hat sich gezeigt, dass sie für tagespolitische Auseinandersetzungen missbraucht wird.

Sie wollen sich um die Erarbeitung des neuen Leitbildes der Linken kümmern. Ist das Abstimmungschaos – Pardon! – sind die Koordinierungsnöte zwischen Partei, Fraktion, Regierungsmannschaft, so groß, dass das ausgerechnet die Fraktionsvorsitzende machen muss?

Noch einmal: Das sind Zukunftsfragen, das sind strategische Fragen. Es geht um die Ausrichtung der Regierungspolitik. Die Bedingungen haben sich geändert, wir müssen unsere Konzepte, unser Profil schärfen. Das hat für mich Priorität.

In der Energiepolitik läuft das innerhalb der Linken mit heftigen Auseinandersetzungen. Wie wollen Sie den Konflikt lösen, wo steht die Fraktionschefin im Streit um Klimaschutzziele und ein neues Braunkohlekraftwerk?

Es gilt, fair miteinander umzugehen und bei der Sache zu bleiben. Zur Kohlepolitik hat sich schon die PDS als Oppositionspartei sehr emotional gestritten. Ein ökologisches Profil gehört zur Identität, zum Selbstverständnis der Linken. Keine Frage ist: Wir wollen die Klimaschutzziele einhalten. Wir haben Vorrang für erneuerbare Energien nicht nur versprochen, sondern setzen das mit dem Wirtschaftsminister um. An diesem Kurs will niemand etwas ändern. Welche Einzelfragen in den nächsten zehn Jahren zur Entscheidung stehen, das ist mit dieser Strategie auch vorgezeichnet.

Vielleicht entzündet sich der Konflikt ja im Kern deshalb scharf, weil man die Klimaschutzziele nicht mehr einhalten kann?

Widerspruch, das ist nicht entschieden. Ich gehe davon aus, dass der Koalitionsvertrag steht. Meine Fraktion sieht für sich ganz klar die Aufgabe, dass die bisher formulierten Klimaschutzziele, Ausgangspunkt für die neue Energiestrategie sind. Noch einmal: Wir wollen sie einhalten. Die Klimaschutzziele stehen für die Linke nicht zur Disposition.

Die Aussagen von Landeschef Thomas Nord und seinem Nachfolgekandidaten Stefan Ludwig klangen anders. Also sollte man doch notfalls eher auf ein neues Kohlekraftwerk verzichten?

Warten wir doch erst einmal ab, die Strategie liegt noch gar nicht vor. Es gibt verschiedene Szenarien, Gaskraftwerke, ein mögliches Ersatz-Kraftwerk nach 2020 unter drastischen Einschränkungen des Kohlendioxidausstoßes. Das muss man sich seriös angucken, sehen was im Bund, in Polen, in Europa passiert. Neben den Klimazielen müssen wir den Leuten im Land Versorgungssicherheit und bezahlbaren Strom garantieren.

Kann der Konflikt zur Zerreißprobe für Fraktion, Partei und Koalition werden?

Das sehe ich nicht. Die Linke ist geübt darin, die Kohlefrage zu klären, es gab schon in den 90er Jahren Parteitage, wo es hoch herging, etwa um die Abbaggerung von Horno. Und ich bin nach wie vor der Auffassung: Im 21. Jahrhundert sollte es nicht mehr notwendig sein, für die Kohleverstromung Dörfer zu opfern, noch dazu im sorbischen Siedlungsgebiet. Da sollten wir andere Wege suchen.

Für Sie ist das letzte Wort bei den drei Dörfern, die jetzt bedroht sind, noch nicht gesprochen?

Ich gebe eine Zusicherung: Meine Fraktion und ich suchen intensiv nach Konzepten, die Klimaschutzziele einzuhalten und diese Dörfer nicht zu opfern.

Das Interview führte Thorsten Metzner

Kerstin Kaiser (51) studierte Russische Sprache und Literatur; war bis 1995 stellvertretende PDS-Bundesvorsitzende; ist Fraktionschefin der Linkspartei im brandenburgischen Landtag

Zur Startseite