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Brandenburg: Wie Amri den Behörden entging Attentäter war als Top-Gefährder bekannt

Berlin - Die Liste der Pannen und Versäumnisse im Fall Amri wird länger: Die Behörden in Nordrhein-Westfalen hätten den Attentäter Anis Amri in Abschiebehaft nehmen können. Mehr noch: Es wurde nicht einmal der Versuch unternommen, einen entsprechenden Antrag vor Gericht zu stellen.

Von Sabine Beikler

Berlin - Die Liste der Pannen und Versäumnisse im Fall Amri wird länger: Die Behörden in Nordrhein-Westfalen hätten den Attentäter Anis Amri in Abschiebehaft nehmen können. Mehr noch: Es wurde nicht einmal der Versuch unternommen, einen entsprechenden Antrag vor Gericht zu stellen.

Nach der Zeugenaussage des damaligen Leiters der Abteilung für Flüchtlingsangelegenheiten im NRW-Innenministerium, Burkhard Schnieder, vor dem Amri-Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus wurde am gestrigen Freitag klar, dass Amri den Behörden sehr wohl als Top-Gefährder bekannt war. Außerdem wurde deutlich, dass sein Name auf jeder monatlichen Sitzung der NRW-Sicherheitskonferenz genannt wurde und dass die Behörden „aus der Rückschau“, wie der Ausschussvorsitzende Burkard Dregger (CDU) es formulierte, damals eben nicht jedes Mittel versucht hatten, „um Gefährder aus dem Verkehr zu ziehen“.

Amri sei „auf einer Skala von eins bis acht mit sieben“ als Gefährder eingestuft worden, sagte Schnieder. Der Tunesier war in den Sicherheitskonferenzen „ständiges Thema“. Die Behörden hätten „im Rekordtempo“ Amris Asylantrag bearbeitet. 13 Monate dauerte 2015 in NRW ein Asylverfahren, bei Amri seien es sechs Monate gewesen. 

Eine Delegation des Bundeskriminalamtes sei sogar nach Tunis gereist, um die Identität von Amri bestätigen zu lassen. Denn: Tunesien sei bei Abschiebeverfahren damals ein „schwieriger Verhandlungspartner“ gewesen. Sehr direkt sagte Schnieder, dass Marokko, Algerien und Tunesien wenig Kooperationsbereitschaft gezeigt hätten. „Es war klar, dass es nicht möglich ist, innerhalb von sechs Monaten Ersatzpapiere zu bekommen.“ Und Tunesien fordert zur Identifizierung als einziges Land nicht nur Fingerabdrücke, Fotos, sondern auch einen Handflächenabdruck.

Diese Panne ist im Fall Amri schon bekannt: Die Abdrücke lagen vor, doch wusste die zuständige Ausländerbehörde in Kleve nichts davon. Die Zentrale Ausländerbehörde in Köln, die sich nach einem Amtshilfeersuchen eingeschaltet hatte, bat das tunesische Generalkonsulat nach Kenntnis der Abdrücke um Ausstellung von Passersatzpapieren. Am 20. Oktober kam die Antwort, man könne Amri nicht als tunesischen Staatsbürger identifizieren.

In einem BKA-Vermerk vom 24. Oktober jedoch, der dieser Zeitung vorliegt, bestätigte ein Abteilungsleiter der tunesischen Kriminalpolizei einem BKA-Verbindungsbeamten, dass Amri 1992 in Tunesien geboren wurde und auf ihn 2009 eine Identifikationskarte ausgestellt wurde. Trotzdem entschieden sich die NRW-Behörden aufgrund der hohen rechtlichen Hürden, Amri nicht in Abschiebehaft zu nehmen. „Ein großes Versäumnis“, kritisierte der FDP-Abgeordnete Marcel Luthe. Luthe und Hakan Tas (Linke) monierten, dass dem Ausschuss noch immer angeforderte Akten aus dem Bundesinnenministerium und der Innenverwaltung fehlten. Benedikt Lux (Grüne) fordert wie der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Kurt Beck, einen Untersuchungsausschuss im Bundestag. Warum die Abschiebung von Gefährdern nicht dem Bund übertragen werde, wollen der SPD-Abgeordnete Frank Zimmermann und Hanno Bachmann (AfD) auf Landes- und Bundesebene diskutieren. Sabine Beikler

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