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Welche Erziehung ist besser?: Die Lästermäuler

Ob im Netz oder auf dem Spielplatz: Mütter kritisieren oft andere Mütter und deren Erziehungsstil. Eine Gruppe von Bloggerinnen und Unternehmerinnen ruft zu mehr Toleranz auf.

Vor einiger Zeit postete die Elternbloggerin Janina Wesphal auf ihrem Blog „Oh-wunderbar“ ein Foto mit den Entenfüßen ihres Sohnes. Das Kind hatte, mit Absicht, die Schuhe verkehrt herum angezogen. Was sie selbst als lustig empfand, bereute sie wenig später. 120 Kommentare ploppten kurz darauf in ihrem Postfach auf. Darin wurde sie dafür gerügt, dass sie ihrem Kind die Schuhe nicht richtig herum angezogen hatte.

Als Mutterbloggerin sollte man sich ein dickes Fell zulegen, doch auch jede andere Frau merkt schnell, dass, sobald sie ein Kind hat, sich plötzlich Fremde und Bekannte ungefragt in die eigene Lebensgestaltung einmischen, mit Kritik oder wohlgemeinten Ratschlägen. Da ist die ältere Frau, die man auf der Straße trifft, die meint, das Baby müsse auch im Hochsommer eine Mütze tragen, oder die Bekannte, die sich darüber empört, weshalb das anderthalbjährige Kind „schon“ im eigenen Bettchen schlafen soll. Andersherum geht es natürlich auch: Würde man dem Kind die Mütze auch im Sommer aufsetzen oder das Kind noch bis zum zweiten Lebensjahr im Elternbett schlafen lassen, fänden sich genug andere Kommentatoren, die wiederum genau das zu kritisieren hätten.

Die beiden Gründerinnen des Berliner Babynahrungsherstellers „Löwenzahn Organics“ Liz Sauer Williamson und Carmen Lazos Wilmking – beide selbst Mütter – redeten mit Freundinnen und Bekannten viel über dieses Phänomen, das bei Twitter auch als #momshaming bezeichnet wird. Sauer Williamson ist gebürtige Australierin, Lazos Wilmking Mexikanerin. „Wir alle hatten das Gefühl, dass wir auf Spielplätzen oder anderswo kritisch beäugt wurden und uns für den Umgang mit unseren Kindern rechtfertigen mussten“, erzählen sie. Da sie wissen wollten, ob dahinter mehr als nur ein persönliches Gefühl der Mütter aus ihrem Umfeld steckt, gaben sie (auch um ihre Produkte zu vermarkten) eine repräsentative Forsa-Umfrage in Auftrag. Befragt wurden 1010 Mütter mit Kindern im Alter von bis zu vier Jahren.

77 Prozent wurden in ihrer Rolle als Mutter kritisiert

Das Ergebnis fiel für sie dann doch „sehr überraschend" und „deutlich schlimmer als erwartet" aus, wie die beiden Gründerinnen auf einer Veranstaltung in Berlin erzählen: Heraus kam nämlich, dass 77 Prozent der Befragten mindestens einmal für den Umgang mit ihrem Kind kritisiert worden waren. Wiederum 72 Prozent davon fühlten sich deshalb schon mal als schlechte Mutter. Zusammengenommen bedeutet das, dass 55 Prozent der Befragten sich wegen der Kritik durch andere in ihrer Mutterrolle unwohl fühlten. Gleichzeitig wünschten sich 86 Prozent mehr Toleranz und Unterstützung von Müttern untereinander. Liz Sauer Williamson und Carmen Lazos Wilmking wünschten sich dies auch und starteten deshalb die Kampagne #coolmomsdontjudge, um über das permanente Mütter-Bashing im Netz und anderswo aufmerksam zu machen – und um alle Beteiligten dafür zu sensibilisieren.

Zu der Kampagne gehört auch ein Web-Film, in dem verschiedene Frauen von ihren persönlichen Erfahrungen berichten. Eine von ihnen ist Camilla Rando, Herausgeberin des Magazins „Mummy Mag“. Sie vergleicht in dem Film die Rolle einer Mutter mit der des Trainers einer Fußballnationalmannschaft: „In dem Moment, in dem du Mutter wirst, habe ich das Gefühl, dass alle mitreden können“, sagt sie in dem etwa vierminütigen Spot.

Diesen Satz wiederholte sie auch kürzlich bei einer Diskussionsveranstaltung über das Thema Mom-Shaming in Prenzlauer Berg. Viele weitere der Gesichter aus dem Web-Film sind hier ebenfalls zu sehen. Eingeladen haben die Initiatoren der Kampagne, die beiden Löwenzahn-Organics-Gründerinnen Liz Sauer Williamson und Carmen Lazos Wilmking. „Wir möchten die Frauen darin bestärken, ihre Entscheidungen alleine zu fällen und ein besseres Selbstwertgefühl im Umgang mit ihren Kindern zu entwickeln“, sagt Carmen Lazos Wilmking zum Anlass der Veranstaltung.

Sie schämte sich dafür, dass sie nicht stillen konnte

Das Treffen findet im Wunderhaus statt, einer Art Privatklub für Familien, in dem es grüne Smoothies und Latte macchiato in Einmachgläsern zu trinken gibt. Der Raum ist gut gefüllt. Viele Zuhörerinnen sind gekommen, alle etwa zwischen 30 und 45, adrett gekleidet und hübsch geschminkt. Manche haben auch ihre Kleinkinder mitgebracht, die sie auf dem Schoß festhalten oder in Tragehilfen um den Bauch geschnallt haben.

Vor ihnen sitzen acht Frauen, darunter Bloggerinnen, Gründerinnen, eine Buchautorin, eine Hebamme, eine Stillberaterin und Carmen Lazos Wilmking von Löwenzahn Organics. Alles Mütter, alle gut aussehend, stilvoll gekleidet und sicher in ihrer Ausdrucksweise. Was sie über sich erzählen, ist sehr persönlich und passt nicht ganz zu dem Bild der so selbstbewusst erscheinenden Frauen. Ungewohnt offen erzählen sie davon, wie sehr bös gemeinte Kommentare, Blicke und abfällig gemeinte Bemerkungen anderer Mütter sie in der Vergangenheit verletzt hätten – bei Twitter, Facebook, auf dem Spielplatz oder im Familienkreis.

„Ich habe mich immer geschämt, meinem Kind die Flasche in der Öffentlichkeit zu geben“, erzählt zum Beispiel die Hebamme Maria Ehrenstraßer. Wenn ihr Baby Durst hatte, versteckte sie sich meist beim Füttern im Auto, so sehr fürchtete die junge Mutter hämische Bemerkungen und schiefe Blicke anderer Personen, weil sie ihr Kind nicht voll stillen konnte. Eine andere wurde wiederum dafür kritisiert, dass sie ihr Kind in einem Museum an die Brust legte.

Bei zwei weiteren Frauen ist es der Kaiserschnitt: Ihnen werde immer der Eindruck vermittelt, sie hätten sich bei der Geburt nicht genug angestrengt, denn schließlich hieße es ja auch „Geburtsarbeit“, wie eine der Frauen bemerkt. „Ich habe immer das Gefühl, ich habe underperformed, weil ich keine natürliche Geburt hatte“, sagt Susann Hoffmann, Gründerin des Online-Frauenmagazins „Edition F“, die auch bei den Diskutierenden sitzt. Auch Camilla Rando vom „Mummy Mag“ berichtet von Bemerkungen zum Thema Nicht-Stillen und Kaiserschnitt, die sie „extrem verletzt“ hätten.

Gewünscht hätten sich die Frauen alle mehr Mitgefühl statt ständiger Belehrungen. Und auch was das Thema Kindererziehung betrifft, fühlten sie sich schnell in eine Ecke gedrängt. Trotzt das Kind in der Öffentlichkeit, werden sie mit bösen Blicken gerügt. „Immer wird einem das Gefühl vermittelt, man habe sein Kind nicht richtig im Griff“, meint Miriam Wiederer, Bloggerin von „Echte Mamas“: „Ich habe die Kinder vielleicht wirklich nicht im Griff, trotzdem wäre mir ein etwas herzlicherer Umgang damit lieber.“

Die Frauen wünschen sich mehr Toleranz und Mitgefühl

Häufig geht es bei den Frauen aber auch um das eigene Gedankenkarussell, in dem sie sich ständig in ihrer Mutterrolle hinterfragen und das sie nicht abstellen können.

So fühlt sich die eine schlecht, wenn sie auf dem Spielplatz nur herumsitzt, während die anderen Mütter mit auf dem Klettergerüst herumturnen. Die andere entschuldigt sich regelmäßig dafür, dass sie dem dreijährigen Kind immer noch den Schnuller gibt. „Warum eigentlich?“, frage sie sich selbst immer häufiger.

Doch warum sind es eigentlich ausgerechnet Frauen, die anderen Müttern das Leben so schwer machen? Die Erziehungsstile der anderen stets bewerten müssen? Vermutlich liege es an der großen Verunsicherung, die viele Mütter von Erstgeborenen mit sich herumtragen, meint Hebamme Maria Ehrenstraßer: „Die Frauen lesen heute sehr viel.“ Wenn nun aber eine Mutter ihren eigenen richtigen Weg in Erziehungsgrundsätzen gefunden habe, müsse sie lernen zu akzeptieren, dass eine andere Mutter einen ganz anderen Weg gehen kann. Der „trotzdem richtig“ sei. „Wir sollten lernen, dass dieses Bewertungssystem nicht automatisch angeschaltet werden muss“, appelliert sie an alle, die bei der Diskussion im Wunderhaus anwesend sind.

Ob das Mütter-Bashing ein speziell deutsches Phänomen ist, darüber diskutieren die Teilnehmerinnen auch – und sind sich uneinig. In anderen Ländern gebe es das auch, meinen die meisten. „In Skandinavien gibt es allerdings eine größere Vielfalt, was die Mutterrolle betrifft“, wendet Buchautorin Malin Elmlid ein. Dort müssten sich Frauen weniger dafür rechtfertigen, wenn sie bald nach der Geburt wieder zu arbeiten anfingen, könnten aber auch genauso gut ein paar Jahre zu Hause bleiben. Vielleicht liege es aber auch am hiesigen Perfektionismus, dass wir uns alle gegenseitig so kontrollieren würden, meint Susann Hoffmann von „Edition F“. Der Druck sei jedenfalls enorm groß, als Frau und Mutter tadellos zu funktionieren.

Ist es also ein spezielles Frauenproblem? Männer scheinen weniger moralisierend im Umgang mit den Erziehungsstilen anderer umzugehen. Da sind sich alle Anwesenden einig. „Väter finden viel häufiger, dass das, was sie machen, genau richtig ist.“ Frauen neigten dazu, mehr an sich selbst zu zweifeln, meint Camilla Rando: „Wir müssen uns das von den Männern abschauen.“

Was sich die anwesenden Frauen für die Zukunft außerdem vornehmen: häufiger anlächeln, ins Gespräch kommen, sich gegenseitig auf die Schulter klopfen und sich eher darin bestärken, wie gut sie den Alltag mit ihren Kindern meistern, anstatt sich gegenseitig aus Neid oder eigenem Kummer niederzumachen.

Die Studie und das Video zur Kampagne #coolmomsdontjudge findet man unter www.loewenzahnorganics.com.

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