zum Hauptinhalt
Peer Jürgens (Linke).

© dpa

Vorwurf: Gewerbsmäßiger Betrug und Wahlfälschung: Betrugsprozess gegen Linke-Politiker Peer Jürgens

UPDATE: Der ehemalige Brandenburger Landtagsabgeordnete Peer Jürgens muss sich vor dem Amtsgericht Potsdam wegen Betrugs verantworten. Er soll fast 87.000 Euro zu Unrecht kassiert haben. Hinzu kommt der Verdacht der Wahlfälschung.

Potsdam - Brandenburgs Linke will am Freitagabend eigentlich feiern. Die Landesparteizentrale soll nach ihrem vor drei Jahren verstorbenen Übervater Lothar Bisky benannt werden. Doch die Feierstimmung wird überschattet durch einen Genossen, der ebenfalls ankündigt war, nun aber doch absagt hat.

Politisch ist es ein schwerer Schlag für die Partei: Ihrem langjährigen Landtagsabgeordneten Peer Jürgens wird ab dem 18. Oktober vor dem Amtsgericht Potsdam der Prozess gemacht. Am Donnerstag bekam Jürgens nach PNN-Informationen die Ladung des Gerichts – als Angeklagter.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Potsdam lautet auf gewerbsmäßigen Betrug und Wahlfälschung bei der Kreistagswahl in Oder-Spree im Jahr 2014. Das berichtet die „Bild“-Zeitung. Justizkreise bestätigten dies den PNN. Das Potsdamer Schöffengericht hat 34 Zeugen für die fünf Verhandlungstage geladen.

87 000 Euro vom Landtag - offenbar zu Unrecht

Jürgens soll seit 2004 und über zehn Jahre lang in seiner Zeit als Landtagsabgeordneter und Kreischef der Linken in Oder-Spree durch falsche Angaben zu seinem Hauptwohnsitz knapp 87 000 Euro zu Unrecht vom Landtag kassiert haben - aus Steuergeld. Es geht um 69 700 Euro Fahrtkosten durch falsche Angaben zu seinem Wohnort und 17 000 Euro an Zuschüssen für einen Zweitwohnsitz in Potsdam, nebenbei aber auch noch um Wahlfälschung bei der Kommunalwahl 2014 für den Kreistag Oder-Spree.

Statt in Erkner und Beeskow soll der „Genosse“ anfangs in Berlin-Friedenau, seit 2006 in Potsdam gewohnt haben, ab 2009 in einer Eigentumswohnung in Babelsberg, die er nicht meldete. Vom Gesamtschaden hat Jürgens bislang 7400 Euro an den Landtag zurückgezahlt. 2014 kam er nicht mehr in den Landtag, er ist in der Linksfraktion seither als Referent angestellt. Ob er den Job behalten kann, ist fraglich. Bislang hat sich die Fraktion nicht festgelegt. Es handle sich um ein laufendes Verfahren, Jürgens sei nicht verurteilt, hieß es.

Jeden Monat 680 Euro zusätzlich

Als Jürgens bei der Landtagswahl im September 2004 Landtagsabgeordneter wurde, teilte er der Landtagsverwaltung mit, er wohne in seinem Elternhaus in Erkner (Oder-Spree). Doch laut Anklage soll er zu dieser Zeit schon längst in Berlin-Friedenau gewohnt haben - nämlich schon seit 2002. Damit kassiert Jürgens vom Landtag eine Entfernungspauschale. Pro 30 Kilometer Entfernung bekamen die Parlamentarier damals 169 Euro. Jürgens kam so auf 679 Euro zusätzlich zu seiner Abgeordnetendiät - monatlich.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 36-Jährigen zudem vor, mit einer angeblichen Zweitwohnung in Potsdam sich weiteres Geld erschlichen zu haben. 250 Euro gab es monatlich obendrauf als Mietzuschuss für den Zweitwohnsitz. Laut Bild soll Jürgens die Adresse eines Mitarbeiters angegeben haben, der davon aber gar keine Kenntnis hatte.

Neue Eigentumswohnung offenbar nicht angezeigt

Nach Ansicht der Anklagebehörde soll der Linke-Politiker dann 2006 in der Tat nach Potsdam gezogen sein. Doch die - laut Bild - Neubauwohnung in der Jägerallee gab er als nur als neuen Zweitwohnsitz an, nicht als Hauptwohnsitz. Dadurch bekam er weiterhin Fahrkosten und einen Mietzuschuss. Als Jürgens 2009 erneut in den Landtag gewählt wurde, kaufte sich der „Genosse“ in Potsdam-Babelsberg eine Eigentumswohnung. Doch das soll er nicht bei der Landtagsverwaltung angezeigt haben. Stattdessen soll er weiterhin den Mietzuschuss für die Wohnung in der Jägerallee kassiert haben. Erst 2012 teilte er dem Landtag mit, dass er aus der Wohnung ausgezogen sei. Allerdings nicht ganz freiwillig, Anlass waren erste Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.

In der Zwischenzeit war der Fahrtkostenzuschuss des Landtags an Jürgens sogar noch einmal angehoben worden. Obwohl der Linke-Politiker eine Eigentumswohnung in Potsdam hatte, soll er 2011 der Landtagsverwaltung mitgeteilt haben, dass er seinen Hauptwohnsitz von Erkner nach Beeskow verlegt habe. Monatlich bekam Jürgens seither statt 679 Euro dann 820 Euro als Fahrtkostenzuschuss.

Hinzu kommt Verdacht der Wahlfälschung

Hinzu kommt die Wahlfälschung. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hätte Jürgens 2014 in Oder-Spree nicht zur Kreistagswahl antreten dürfen. Tatsächlich kam er wie schon 2008 in den Kreistag. Weil er seinen Hauptwohnsitz in Potsdam gehabt haben soll, hätte er laut Anklagebehörde aber gar nicht erst zur Wahl antreten dürfen. Jedoch kann nur doch der Fall aus dem Jahr 2014 strafrechtlich verfolgt werden, die anderen sind verjährt.

Dass Jürgens unbeschadet aus der Sache herauskommt, glaubt in der Linkspartei niemand. Zumindest für einen Teil der Anklage sieht wohl selbst Jürgens kein Entkommen: Schon vor geraumer Zeit hatte er dem Landtag 7400 Euro zurückgezahlt. Es handelt sich um einen Teil des Zweitwohnungszuschusses für die Zeit ab 2009, als er bereits in eine Eigentumswohnung zog. Die Rückforderungen weiterer Summen wird der Landtag erst prüfen, wenn Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft vorliegen.

In der Wohnung gab es kein Geschirr und keinen Esstisch

Bemerkenswert ist, wie lange das Verfahren gegen Jürgens schon läuft. Die ersten Ermittlungen aus dem Jahr 2012 waren eingestellt und nach der Beschwerde der Grünen-Politikerin Sabine Niels 2014 wieder aufgenommen worden. Im Juni 2014 – wenige Monate vor der Landtagswahl - durchsuchten die Ermittler Jürgens Eigentumswohnung in Potsdam, wo er seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt hatte, aber auch die beim Landtag als Hauptwohnsitz gemeldete Wohnung in Beeskow. Laut Bild war sie 33 Quadratmeter groß, es soll keinen Esstisch und kein Geschirr gegeben haben – dafür aber eine Zeitschaltuhr für die Beleuchtung. Die Ermittler vermuten, dass Jürgens damit vortäuschen wollte, dass er in der Wohnung war.

Jürgens legte Beschwerde gegen die Razzia ein. Die 5. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam entschied Anfang September 2014, dass die Durchsuchung rechtswidrig und unverhältnismäßig war. Das Landgericht sah die Durchsuchung als äußerst schwerwiegend an, weil dadurch auch die Rechte des Parlaments berührt waren, da die Ausübung eines Landtagsmandats und das Mitglied eines Verfassungsorgans betroffen waren. Doch ein Verwertungsgebot für die Beweise erteilte es nicht.

Auffällig ist auch, wie lange es bis zum Prozessstart dauert. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft liegt schon seit Herbst 2015 beim Amtsgericht Potsdam. Doch erst jetzt entschied das Schöffengericht, dass die Anklage zugelassen wird und es zu einer Hauptverhandlung kommt. Im Hintergrund ging es zwischen Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft hin und her.

Kein Einzelfall

Jürgens ist nicht der erste Landespolitiker, der wegen Fahrtkosten ins Visier der Strafjustiz geriet: Die Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelt auch gegen Torsten Krause, bis zur Landtagswahl im Herbst 2014 Abgeordneter der Linken und seit November Büroleiter bei Sozialministerin Diana Golze (Linke). Krause wird beschuldigt, in den Jahren 2005 bis 2012 bei der Landtagsverwaltung nicht seinen tatsächlichen Wohnort angegeben zu haben. Statt an seiner offiziellen Meldeadresse im uckermärkischen Lychen soll Krause vor allem in Potsdam gelebt haben. Dadurch soll er sich über die Jahre eine Fahrtkostenpauschale vom Landtag erschlichen haben. Bislang ging es in den Ermittlungen um 70 000 Euro aus Steuergeldern. Die Landtagsverwaltung erwägt, nach Abschluss der Verfahren die Pauschalen zurückzufordern.

Auffällig am Fall Jürgens ist nun, dass die Staatsanwaltschaft Potsdam es auf einen öffentlichen Prozess anlegt. Jegliches Angebot – Einstellung gegen Geldzahlung oder Strafbefehl, also eine Verurteilung ohne Prozess – lehnte die Behörde zuvor ab. Der Grund: Jürgens wird gewerbsmäßiger Betrug vorgeworfen. Zum Vergleich: Bei dem CDU-Landtagsabgeordneten Danny Eichelbaum waren in einem vergleichbaren Fall die Betrugsermittlungen Anfang 2014 gegen Zahlung einer Geldauflage von 20 000 Euro eingestellt worden.

Eichelbaum soll mit falschen Angaben zu seinem Hauptwohnsitz überhöhte Fahrtkostenpauschalen des Landtags in Höhe von 20 305 Euro in Anspruch genommen haben – er gab Jüterbog als Hauptwohnsitz an, wohnte aber in Potsdam. Der CDU-Politiker zahlte neben der Geldauflage auch den Schaden an den Landtag zurück – insgesamt also 40 000 Euro. Bei dem Verfahren war Eichelbaum zugutegehalten worden, dass es damals im Landtag keine Kontrollen zur Angabe der Wohnsitze von Abgeordneten gab und die Praxis lax war. Die wurde mit dem neuen Abgeordnetengesetz verschärft. Nun müssen die Parlamentarier jede Fahrt einzeln aufzeichnen und abrechnen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false