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Von Sebastian Leber: Verbotene Farbe

Sie nennen sich „Trainwriter“, klettern nachts in Berlin in Schächte und besprühen illegal U-Bahnen Zwei Filmemacher haben jahrelang recherchiert – und die Frage gestellt: Warum tut man so etwas?

Berlin - Man kann es kaum glauben, was der Mann mit Hut sagt, der sich Fino nennt: Es gehe darum, anderen eine Freude zu machen. Er sagt wirklich „Freude machen“. Ein gelungenes Werk zeichne sich dadurch aus, dass man sein Herzblut in etwas gesteckt habe, das anderen gefällt. Fino meint das nicht ironisch.

Sie nennen sich Skim, Azur, Roy oder eben Fino. Sie kennen sich untereinander und vertrauen nur wenigen. Trifft man sie spätnachts auf der Straße, wollen sie selten auf eine Party.

„Trainwriter“ heißen die jungen Männer – es sind fast ausschließlich Männer – die nachts in U-Bahn-Schächte einsteigen und Wagen besprühen. Etwa hundert gibt es in Berlin. Die Filmemacher Henrik Regel und Björn Birg haben sieben Jahre lang in der Szene recherchiert, Kontakte geknüpft, Interviews geführt, Bildmaterial gesichtet. Herausgekommen ist „Unlike U“, ein Dokumentarfilm, der in das Innenleben einer Gemeinschaft eintaucht, die für Außenstehende bisher kaum nachvollziehbar war. Am Mittwoch hat der Film im Berliner Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte Premiere, die Veranstaltung ist seit Wochen ausverkauft.

Der Film zeigt viele Originalaufnahmen illegaler Sprühaktionen, man sieht auch Verfolgungsjagden, ertappte Sprüher, herbeieilende Polizisten. Das Beeindruckende an dieser Dokumentation ist aber, dass sie keine Taten beschönigt, sondern einzig der Frage nachgeht: Warum tut man das wohl?

Denn eigentlich spricht alles dagegen. Die Sprüher müssen damit rechnen, bei ihren Straftaten erwischt und verurteilt zu werden, es drohen bis zu zwei Jahre Haft. Sie verdienen kein Geld, sondern müssen im Gegenteil sehr viel ausgeben für neue Farbe. Anerkennung bekommen sie nur innerhalb einer kleinen, abgeschotteten Szene. Und die Fotos und Videos, die sie machen, können sie nicht mal zu Hause aufbewahren. Das Risiko wäre zu groß.

Ein maskierter Sprayer im Film nennt es „Sucht“, ein anderer „Zwang“, ein dritter gibt zu, dass ihn schlicht das Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei reize. Tagsüber leben die Sprüher komplett unauffällig, sagt Regel. Er hat bei seinen Recherchen Studenten, Grafiker und Köche kennengelernt, sogar einen Anwalt. Gemeinsam ist ihnen höchstens die ständige Müdigkeit, denn vor jeder Aktion müssen sie nächtelang beobachten, damit sie wissen, wo Kameras stehen, wann Wachleute patrouillieren.

Die Interviews wurden in Bars, zu Hause und an verlassenen Orten geführt. Es gab kein großes Budget für „Unlike U“, für Werbung schon gar nicht. Trotzdem bekommen die Macher inzwischen Anfragen aus den USA und Australien, ab wann man den Film denn endlich sehen könne. Dabei hatten sie nur einen kurzen Trailer auf Youtube gestellt. Regel und Birg werden jetzt immer gefragt, ob sie selbst dieser Szene angehören. Nein, gehören sie nicht. Um Missverständnissen vorzubeugen, blenden sie zu Beginn der Dokumentation einen Schriftzug ein, mit dem sie sich von jedweder Kriminalität distanzieren. „Trotzdem rechnen wir mit Anfeindungen“, sagt Birg.

Bei der Premiere am Mittwoch werden nicht nur zahlreiche Sprüher im Publikum sitzen, sondern auch Vertreter der „Gemeinsamen Ermittlungsgruppe Graffiti“ der Berliner Polizei, kurz Gib. Rund 20 Beamte hat die Dienststelle, und selbst die Sprüher im Film sagen, dass die Polizisten gute Arbeit leisten, Graffitis leicht zuordnen können.

Trotzdem musste allein die BVG (Bus, U-Bahn, Tram) im vorigen Jahr 670 000 Euro ausgegeben, um Sprühfarbe und Kratzer an ihren Waggons zu entfernen. Außerdem weitere 1,6 Millionen für Graffiti in Bahnhöfen, dazu kommen die Kosten für Sicherheitspersonal und technische Überwachungstechnik wie Bewegungsmelder und Nachtsichtkameras. Werden Graffiti an Wagen entdeckt, nehmen BVG und S-Bahn sie möglichst schnell aus dem Verkehr, um den Sprayern nicht die Befriedigung zu geben, dass ihr Werk weithin sichtbar durch die Stadt fährt.

Wer „Unlike U“ gesehen hat, wird seine Meinung über die Sprayer nicht unbedingt ändern, sagt Regel. Aber eines kann man ihnen nicht mehr unterstellen: blinde Zerstörungswut. Es ist eine „Art Kunst“, sagt ein Mann namens Wesp, der schon seit 20 Jahren sprüht. Im Film sitzt er in einer Bar in Schöneberg und raucht, er gestikuliert, kann sich ausdrücken. „Es ist Kaligraphie, nur im großen Stil.“ Die Macher haben Wesp nachträglich die Augen verpixelt, und trotzdem wirkt er nicht wie ein Krimineller, sondern wie einer, der ein Anliegen hat. Das muss man sich als Zuschauer eingestehen. „Schmiererei“ kann man es trotzdem noch nennen.

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