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Umstrittener Trend. Die Anlage Prenzlauer Gärten (großes Bild) zählt zu den bekanntesten der Stadt. Die ersten Townhouses entstanden am Hausvogteiplatz (rechts Mitte) zwischen Gendarmenmarkt und Außenministerium, auf dem Gelände des Alten Schlachthofs entstehen bald 80 weitere (darunter). Michael Pietsch und seine Frau leben hier bereits (links unten).

©  Mike Wolff, Georg Moritz(2), promo

Von Sebastian Leber: Mittendrin und ausgegrenzt

Sie leben im Zentrum Berlins, mit Reihenhaus und eigenem Garten. Doch im Kiez haben es Bewohner der Townhouses nicht leicht

Berlin - Sie kamen mit Masken und Papiertröten. Sie sahen nicht aus wie typische Kunden. Der Makler wies noch darauf hin, dass drinnen aber nicht geraucht werden dürfe. Er wusste nicht, dass die Gäste bloß Konfetti werfen, Transparente enthüllen und eine Liste mit Kundendaten klauen würden. An dem Tag, an dem die Demonstranten kamen, wurde kein Townhouse verkauft.

Auch mehr als eine Woche danach will das zuständige Maklerbüro nicht über den Vorfall auf dem alten Schlachthofgelände an der Grenze zwischen den Berliner Stadtteilen Prenzlauer Berg und Friedrichshain sprechen. Es verweist auf laufende Ermittlungen der Polizei. Die Demonstranten sind da weniger verschwiegen, sie verkünden im Internet, was ihre Aktion sollte: „Das Townhouse ist der Typus des Privaten – eine gewisse Gesellschaftsschicht wird innerstädtisch überprivilegiert.“

Townhouse. Allein der Name klingt fürchterlich versnobt. Aber „Reihenhäuser in der Stadt“ sagt niemand. Glaubt man den Kritikern, verändern die neuen Bauten Berlins Stadtbild, bedrohen das soziale Gleichgewicht. Sicher ist: Es werden immer mehr. Vor allem in Prenzlauer Berg und Mitte, aber auch in Weißensee und Treptow, bald sogar in Dahlem. Mehr als 20 Anlagen befinden sich derzeit in der Bauphase. Für die Stadtplaner des Senats sind sie eine Möglichkeit zur Belebung des Zentrums und um zu verhindern, dass junge Besserverdienende ins brandenburgische Umland ziehen, dort ihre Steuern zahlen. Für viele andere sind sie: Yuppie-Festungen, Bonzen-Magneten, betongewordenes Spießertum.

Man gewöhnt sich an die Beschimpfungen, sagt Michael Pietsch, 36. Vor einem Jahr zog der Online-Werber mit seiner Frau ins Entwicklungsgebiet Alter Schlachthof, eine Querstraße entfernt von dem Musterhaus, das gerade gestürmt wurde. Pietschs Reihenhaus hat 120 Quadratmeter, drei Etagen, kleiner Garten, große Dachterrasse. Die Straße heißt „Zur Börse“. Passt ins Klischee. Bis vor wenigen Jahren war hier eine riesige Brache, das Hundeauslaufgebiet für den Samariterkiez. Die Fläche schrumpft nun beständig, gleich sechs Investoren bieten Townhouses an, im September wurde der Bau von 80 weiteren bekannt gegeben.

Als sich Pietsch vor zwei Jahren für sein Grundstück entschied, war er so begeistert, dass er einen Blog einrichtete, in dem er über den Baufortschritt schrieb: die „Townhouse Chronicles“. Inzwischen schreibt er nicht mehr. Es gibt böses Blut, sagt Pietsch. Direkt angepöbelt wird er nicht. Aber es passiert, dass Fremde an seinem Haus vorbeiziehen und ihrem Hund Sätze zurufen wie: „Komm mal weg von diesen Scheiß- Yuppies mit ihren Schuhkartonhäusern!“ In der Nachbarschaft gab es Farbbeutelattacken, auch Autos brannten. „Die Leute haben absurde Vorstellungen davon, wer hier wohnt“, sagt Pietsch. „In unserer Straße gibt es niemanden, der sein Erbe verprasst. Wir gehen alle hart arbeiten, um unsere Raten abzubezahlen.“ Die meisten seien auch nicht zugezogen, sondern stammten aus nahen Vierteln.

Die Feinde der Townhouses fürchten, dass sozial Schwächere aus dem Zentrum der Stadt verdrängt werden. „Die Exklusivität kurbelt die Mietspirale an“, hieß es in der Rechtfertigung der Demonstranten.

Belegen lässt sich das nicht. Entsprechende Studien sucht man vergebens. Manfred Kühne, Abteilungsleiter Städtebau bei der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, weiß auch warum: Die Zahl der Anlagen ist viel zu gering, als dass sie Effekte auf die Stadt oder auch nur einzelne Quartiere haben könnten. Außerdem entstehen sie ja gerade auf Brachflächen. Da müssen keine Altbewohner umziehen, anders als bei Luxussanierungen von Altbauten mit anschließender Mietexplosion.

Das Imageproblem der Townhouses rührt daher, dass die Wohnform als elitär gilt – und daran sind auch die Vermarkter schuld. Sie bewerben ihre Objekte mit Sätzen wie: „Ihre Fassaden spiegeln den repräsentativen Stolz ihrer Bewohner.“ Laut Kühne muss man aber unterscheiden zwischen diffuser Ablehnung und konkreten Problemen zwischen Neubewohnern und deren Nachbarn. Beim Komplex „Marthashof“ in Prenzlauer Berg, der seine Bauten nicht Townhouses, sondern „Urban Villages“ nennt, störten sich die Anwohner vor allem an der Bauweise. Nach Protesten erklärte sich der Investor bereit, an der Hinterseite nicht sechs, sondern fünf Stockwerke zu bauen. Die Gärten der Nachbarn liegen trotzdem im Schatten.

Was es auch nicht einfacher macht: Die Townhouse-Bewohner stehen unter Generalverdacht, sich abschotten zu wollen, sogenannte „Gated Communitys“ zu bilden. Zum Beispiel durch verschließbare Eingangstore. Die gibt es zwar auch an jeder gewöhnlichen Altbau-Wohnanlage, doch im Fall der Townhouses wird stets unterstellt: Die wollen mit dem Rest der Stadt nichts zu tun haben – weil sie sich für etwas Besseres halten! Die Unwissenheit über die realen Verhältnisse ist so groß, dass sich sogar die Bewohner verschiedener Townhouse-Komplexe gegenseitig beschuldigen, in einer „Gated Community“ zu leben.

Am lautesten sind die Vorwürfe gegen die „Prenzlauer Gärten“ am Volkspark Friedrichshain. Seit 2008 leben hier 60 Familien in Reihenhäusern. Tatsächlich gibt es einen Zaun. Der ist aber so niedrig, dass sogar Kinder drübersteigen können, wohl auch deshalb müssen gelegentlich Graffiti-Sprüche von den Wänden entfernt werden, „Fuck Yuppies“ zum Beispiel oder „Willkommen in Bonzenhausen“. Ursprünglich war auch ein „Doorman“ vorgesehen. Kurz nach ihrem Einzug beschlossen die Bewohner aber gemeinschaftlich, dass der Wachmann nicht benötigt wird. Sie haben ganz andere Probleme: Auf den Balkonen und Dachterrassen wird im Sommer nachts lange gefeiert. Und weil die Häuser so schmal sind und dicht beieinander stehen, hören alle anderen den Lärm. Außerdem haben einzelne Bewohner inzwischen übertriebene Aufpasser-Mentalitäten entwickelt und kontrollieren, dass auf der Anlage langsam genug gefahren wird.

Die Bewohner der „Prenzlauer Gärten“ sind vor allem Künstler, Selbstständige und Ministerialbeamte. Manche bekamen von Freunden zu hören, das Leben im Reihenhaus sei doch extrem spießig. Dabei haben sie sich gerade deshalb für ein Townhouse entschieden, weil sie die Nähe zur Innenstadt, zu den Kneipen und Kulturangeboten nicht missen wollten. Die Makler wissen das und haben sich darauf eingestellt. Auffallend viele lassen bei Besichtigungsterminen beiläufig fallen, auch die Schauspielerin Heike Makatsch habe Interesse an einem ihrer Objekte Manchmal ist es aber auch die Tochter eines sehr bekannten deutschen Sängers. In jedem Fall stehe die Prominenz unmittelbar vor Vertragsunterzeichnung.

Und gelegentlich stellt sich erst vor Ort heraus, dass es sich gar nicht um ein echtes Townhouse handelt. Im östlichen Prenzlauer Berg etwa bewirbt ein Makler zwei übereinander liegende Wohnungen als Townhouse. Wer hingeht, muss feststellen, dass sie bloß durch eine Treppe im Garten verbunden sind.

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