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Nicht alles ganz normal. Auf den ersten Blick ist Berlin nichts anzumerken: Anziehungspunkte wie der Alexanderplatz (Foto), der Kurfürstendamm oder auch das Regierungsviertel sind trotz Terrorwarnung weiterhin gut besucht. Auffällig ist allein die allgegenwärtige Präsenz von Polizei und Sicherheitskräften.

© Kai-Uwe Heinrich

Von Sandra Dassler: Es bleibt ein ungutes Gefühl

Ab heute könnte es Anschläge in Berlin geben, warnt der Innenminister. Die Stadt wirkt wie immer – jedenfalls auf den ersten Blick.

Von Sandra Dassler

Berlin - Manchmal, am Abend oder wenn sie allein ist, fürchtet sich Meret. „Seitdem in einem Paket an die Kanzlerin eine Bombe versteckt war, habe ich Angst“, sagt die Neunjährige: „Man weiß ja nicht, ob die die so was nochmal machen – und dann vielleicht auch bei anderen Leuten.“ Meret steht mit ihrer Mutter und zwei jüngeren Geschwistern in einer der Schlangen vor den Kassen am Zoologischen Garten. Die Sonne scheint, viele Familien sind gekommen, Kinder toben herum, freuen sich sich auf die Tiere.

Es ist der Sonntag vor dem 22.November, dem Tag, ab dem laut Innenminister Thomas de Maizière ein Terroranschlag in der deutschen Hauptstadt möglich wäre. Aus dem Ausland rufen Journalisten an, fragen, wie die Berliner auf die Bedrohung reagieren. Gar nicht, könnte man auf den ersten Blick meinen, denn die Stadt ist so voll wie immer, die Besucherschlange vor dem Reichstag sogar länger als an den Wochenenden zuvor.

Auf den zweiten Blick oder bei Nachfragen stellt sich vieles differenzierter dar. „Man denkt schon an die Terrorwarnung, wenn man sich auf den Weg in die Innenstadt macht“, sagt Merets Mutter: „Ich komme aus Spandau, da fühle ich mich sicher. Aber dass meine Tochter manchmal richtig Angst hat, finde ich schlimm. Wir schauen oft Kindernachrichten von Logo, da wird alles sehr gut erklärt, aber das allein reicht wahrscheinlich nicht.“

Eine andere Frau in der Schlange vor dem Zoo erzählt, dass sie mit ihren beiden neun- und elfjährigen Söhnen noch nicht über die Terrorwarnung gesprochen hat. „Sie sollen so lang wie möglich in einer behüteten Welt leben.“,

Keinen Gedanken an Anschläge verschwenden die Gäste, die sich zum „Apres Ski“ in der österreichischen Hütte am Potsdamer Platz treffen und bei „Tränen lügen nicht“ oder „Ich bin wie Du“ lautstark mitgrölen. „Wir machen hier einfach nur Party“, freut sich André Merten aus Paderborn, der in Lederhosen erschienen ist: „Hier kommen keine Islamisten rein.“ Die beiden Bodyguards am Eingang sehen das nicht so locker: „Wir nehmen die Drohungen sehr ernst“, sagt einer. Jeder Gast werde seit vergangener Woche kontrolliert, auch die Taschen.

Ab Montag öffnen in der Stadt die Weihnachtsmärkte, sie gelten laut Sicherheitsexperten als gefährdete Orte – wie auch die Gegend rund um das Brandenburger Tor. Vor den Buden auf dem Potsdamer Platz herrscht seit Wochen dichtes Gedränge: „Ich glaube, die Berliner nehmen keine Rücksicht auf Terroristen“, sagt ein Schwabe. „Die öffnen ja auch ihre Weihnachtsmärkte schon am Totensonntag.“ Ein Socken-Händler belehrt ihn: „Das ist hier kein Weihnachtsmarkt, sondern die Winterwelt, mein Herr.“ Die Händler glauben nicht, dass die Geschäfte dieses Jahr schlechter laufen könnten. „Letztes Jahr hatten die Leute mehr Angst“, sagt die Frau am Käsestand. „Wegen der Schweinegrippe – es ist eben jedes Jahr was anderes.“ Schausteller Klaus Rose, der die letzten Vorbereitungen an seiner Glühweinbude auf dem Weihnachtsmarkt vor der Gedächtniskirche trifft, winkt ab: „Ick hab’ andere Probleme.“ Er müsse an seinem Stand „jeden Tag ums Überleben“ kämpfen. „Und wenn halt einer meint, er müsse sich hier hochjagen, um sich seine 33 oder sonst wie viele Jungfrauen zu sichern – da kann ich eh nichts tun. “

Pragmatismus ist wohl die verbreitetste Haltung. Michael Müller und Karin Hermes, die über den Ku’damm schlendern, sprechen für viele, wenn sie sagen: „Es kann überall passieren – in der S-Bahn, auf dem Weihnachtsmarkt, im Supermarkt.“ Und sich zu Hause einschließen, sei keine Alternative, dann „hätten die Terroristen erreicht, was sie wollen“. Manche haben ihre eigenen Methoden, mit der diffusen Bedrohung umzugehen: „Beten Sie! Beten hilft!“, sagt eine Frau im Rollstuhl.

Einige ertappen sich dabei, entgegenkommende Passanten genauer zu beobachten oder die Straßenseite zu wechseln. Eine Imbissverkäuferin am Potsdamer Platz sagt: „Ja, ich habe Angst. Ich bin gestern sogar in einen anderen S-Bahn-Wagen gestiegen, weil ein Mann mir komisch vorkam.“ Ihre Kollegen würden sie auslachen, fügt sie verschämt hinzu. Obwohl – ernst nehmen die meisten die Warnung. „Der Bundesinnenminister ist ein bedächtiger Mann, der macht das nicht ohne Grund“, sagt Claudia Werner aus Lichterfelde. Aber es gibt auch andere Meinungen: „Ich halte diese öffentliche Panikmache für ein makabres Politikum“, sagt ein Mann im Martin-Gropius-Bau: „Damit will man nur von anderen Sachen wie Irland ablenken.“

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