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Wer zieht ins Frankfurter Rathaus ein? Die drei Kandidaten der bevorstehenden Oberbürgermeisterwahl Martin Wilke, Katja Wolle und Stefan Ludwig (v.l.n.r.).

© Patrick Pleul/lbn

Von Sandra Dassler: Die Kandidaten der „Kommunalen Front“

Ein gemeinsamer Kandidat von SPD, CDU und FDP. Eine Sozialdemokratin, die gegen ihre Partei antritt. Ein Linker, der nicht antreten wollte. Sonntag ist OB-Wahl in Frankfurt: Ausgang völlig offen

Von Sandra Dassler

Frankfurt (Oder) - Die Sonne taucht zuerst die Dächer im polnischen Slubice in ein freundliches Licht, dann kriechen ihre Strahlen über die Oder und streicheln den Marktplatz von Frankfurt. Hier steht das Lieblingscafe von Katja Wolle und wenn sie in der Mittagspause vom Rathaus herübereilt, muss sie derzeit viele Hände schütteln. „Wir wählen Sie“, sagen viele: „Jetzt erst recht.“

Das „erst recht“ bezieht sich darauf, dass Katja Wolle zwar seit 2002 für die SPD Bürgermeisterin und Dezernentin für Jugend, Kultur, Soziales, Schulen, Sport und Gesundheit in Frankfurt ist, ihre Partei sie aber für die Wahl des Oberbürgermeisters am morgigen Sonntag nicht aufgestellt hat. „Die machen hier lieber wie in der DDR einen auf Nationale Front“, sagt die zierliche 54-Jährige verächtlich: „Eine Schande ist das.“

Tatsächlich hat sich die Frankfurter SPD im Dezember gegen Katja Wolle und für den parteilosen Kandidaten Martin Wilke ausgesprochen. Der wurde 1957 in Frankfurt geboren und ist Geschäftsführer des Investorcenters Ostbrandenburg, einer Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Stadt. Er wirbt damit, dass er „echter Frankfurter ist und die Welt kennt“ und möchte zumindest zweiter Geschäftsführer bleiben, auch wenn er zum Oberbürgermeister gewählt wird.

Wenig später erklärte die CDU, dass sie auf einen eigenen Kandidaten verzichtet und ebenfalls Wilke unterstützt. Die FDP, das Bürgerbündnis und die „Frauen für Frankfurt“ schlossen sich an. Nur die Linke stellte mit dem ehemaligen Bürgermeister von Königs Wusterhausen, Stefan Ludwig, einen eigenen Kandidaten auf. Und Katja Wolle ignorierte die Parteiausschluss-Drohungen einiger ihrer Genossen und tritt als Einzelkandidatin an.

Chancenlos dürfte sie mit ihrer Betonung von sozialen und kulturellen Themen nicht sein. Sie nennt ihren Einsatz um den Erhalt städtischer Arbeitsförderprogramme, Kultur- und Sportstätten „engagiert“, für andere ist er „unrealistisch“. Wolle habe durch ihre „Egozentrik“ wesentlich zum Unfrieden im Rathaus beigetragen und pragmatische Lösungen blockiert, heißt es beispielsweise im Umfeld des jetzigen CDU-Oberbürgemeisters Martin Patzelt. Der hatte schon 2006 einen Abwahlantrag gegen seine Stellvertreterin Wolle gestellt, weil er keine Chance mehr auf Zusammenarbeit sah, und war gescheitert. Dass nun die SPD selbst Wolle nicht für das Oberbürgermeister-Amt aufstellt, ist eine späte Genugtuung für Patzelt.

Er wäre gern noch weitere acht Jahre im Amt geblieben, ist aber laut märkischem Kommunalwahlgesetz zu alt dafür. Dass seine Partei keinen eigenen Kandidaten aufstellt, erfüllt ihn mit Gram. „Auch wenn ich Martin Wilke für einen guten Mann halte, hatte ich doch immer Nachfolger aus meiner eigenen Partei im Blick“, sagt er. Und meint vor allem den ehemaligen brandenburgischen Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns, der aus Frankfurt kommt und nach dem Ende der rot-schwarzen Koalition im Land als idealer Nachfolger Patzelts galt. Aber Junghanns wollte das Amt ebenso wenig wie Patzelts Kämmerer Markus Derling.

Auch bei den Linken in Frankfurt gab es Streit um mögliche Kandidaten. Einer, der wollte, durfte nicht wegen möglicher Stasi-Verstrickung. Was in Frankfurt zwar nicht unbedingt ein Hinderungsgrund gewesen wäre, aber nach den wochenlangen Debatten im Land hätten weder die Linke noch die Landesregierung eine erneute Stasi-Diskussion ertragen.

So musste einer ran, der anfangs überhaupt nicht wollte: Stefan Ludwig, von 2002 bis 2009 Bürgermeister von Königs Wusterhausen kandidierte 2009 erfolgreich für den Landtag, war maßgeblich an den Koalitionsverhandlungen zur Bildung der rot-roten Landesregierung beteiligt und galt sogar als Minister-Kandidat.„Ich wollte, dass jemand aus Frankfurt antritt, aber es gab keinen Geeigneten“, sagt der 42-Jährige. Im Wahlkampf hat Ludwig den Frankfurtern schonungsloser die Wahrheit gesagt als die anderen Kandidaten. Die Wahrheit ist, dass die Probleme in der drittgrößten Stadt Brandenburgs nicht kleiner werden – auch, wenn nicht mehr ganz so viele Menschen abwandern und Hunderte Jobs durch Callcenter und Solarfirmen geschaffen wurden. „Viele dieser Arbeitsplätze sind aber nicht existenzsichernd“, sagt Gewerkschaftssekretär Volker Kulle: „Das will Ludwig ändern. Während Herrn Wilke egal ist, was für Jobs er in die Stadt holt.“ Kulle muss für Ludwig sein, schließlich sitzt der 1991 vom Niederrhein gekommene langjährige SPD-Mann jetzt für die Linke in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung. „Die etablierten Parteien haben einen gemeinsamen Kandidaten aufgestellt, um weiter ihre Pfründe zu sichern“, sagt er: „Ich nenne das die Kommunale Front.“ Auch der Ex-Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, Henning Krüger, fragte kürzlich öffentlich, „ob die Präsentierung eines gemeinsamen Kandidaten nicht die demokratische Direktwahl des Oberbürgermeisters durch die Bürger untergräbt.“ „Wenig praxistauglich“ sei, so CDU-Chef Derling, diese Kritik, der er allenfalls demokratietheoretisch etwas abgewinnen könne. Aber so ist das mit Theorie und Praxis an der Oder. Theoretisch müsste das Rennen zwischen dem Kandidaten der Linken und dem der restlichen Parteien entschieden werden. Praktisch ist denkbar, dass die Frankfurter am Wahlsonntag etwas ganz anders tun. Befürchtet jedenfalls Noch-Oberbürgermeister Martin Patzelt: „Katja Wolle hat es geschafft, so eine Art Mythos aufzubauen“, sagt er. Und sie sei gegen eine Straßenbahn nach Slubice, was viele Frankfurter gut finden, aber die polnischen Nachbarn verärgert.

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