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Behinderte Frau im Rollstuhl im Warteraum einer brandenburgischen Behörde.

© ZB

Von Matthias Matern: Windeln per Beschluss

Schwerer Alltag für Menschen mit Behinderung in Brandenburg

Von Matthias Matern

Cottbus/Döbern - Die vierjährige Michelle liegt in ihrem Bett zwischen Plüschtieren und elektrischen Geräten. Sie scheint tief zu schlafen. Ein Zustand, in dem sich das Mädchen aus Döbern (Spree-Neiße) seit drei Jahren befindet. Es leidet an einem Wasserkopf und liegt im Koma, erklärt ihre Mutter Adriane Hermann.

„Wir wollen, dass Michelle ein würdevolles Leben hat.“ Vor allem die ständigen Auseinandersetzungen mit Ämtern und Behörden stehen diesem Wunsch oft im Weg und sind kräftezehrend. „Jede Kleinigkeit muss erstritten werden, vom Sauerstoff bis zu den Windeln“, sagt Adriane Hermann. So solle Michelle per Beschluss mit vier Windeln am Tag auskommen, für mehr gewährt die Krankenkasse keinen Zuschuss. „Wer legt fest, dass ein Mensch nur viermal am Tag auf die Toilette darf?“, fragt die Mutter.

Der GKV-Spitzenverband, ihm gehören die gesetzlichen Krankenkassen an, erläutert die Haltung der Kassen. „Die einzelnen Krankenkassen orientieren sich an Erfahrungen und vereinbaren auf dieser Basis die Vergütungen der Hilfsmittellieferanten in Verträgen. Darüber hinaus ist bei der Versorgung aber auch immer der individuelle Bedarf des Versicherten zu berücksichtigen“, sagt Verbandssprecher Florian Lanz.

Der Wettbewerb im Gesundheitssystem hatte 2008 zur Folge, dass einige Kassen den Zuschuss für Windeln, von etwa 73 Euro auf 27 Euro senkten und neue, günstigere Windel-Firmen mit der Belieferung beauftragten. „Nachdem wir endlich eine gute Windel gefunden hatten, ging alles von vorn los. Wir bekamen Billig-Produkte mit schlechter Qualität. Sie hielten nicht, ständig war das Bett nass“, berichtet Adriane Hermann. Oft kamen die Windeln gar nicht oder in der falschen Größe. Die zuständige Firma war schwer erreichbar, die Krankenkasse stellte sich lange Zeit taub.

Eine Erfahrung, die auch Familie Maresch aus Cottbus kennt. Ihr Sohn Erik ist seit Geburt mehrfach schwerstbehindert. Der 20-Jährige sitzt im Rollstuhl. „Der Alltag ist nicht immer einfach“, sagt seine Mutter Silke. „Trotzdem ist Erik eine große Bereicherung für uns.“ Umso wichtiger wäre es, wenn die Zusammenarbeit mit Behörden funktionieren würde, der Mensch und nicht das Geld im Mittelpunkt stünde und die Mitarbeiter mehr Einfühlungsvermögen zeigten.  Auch deshalb ist ihr Mann Jürgen in die Politik gegangen. Er ist Landtagsabgeordneter der Linkspartei und Sprecher für Menschen mit Behinderung.

„Viele kümmern sich aufopferungsvoll um ihre Angehörigen, haben dann aber nicht mehr die Kraft, für jede Kleinigkeit zu kämpfen“, sagt Jürgen Maresch. Dabei sei es wichtig, auf die Grundrechte zu bestehen.

Etwa 220 000 Menschen in Brandenburg sind behindert, „nur jeder 20. von Geburt an, es kann also jeden treffen.“ Lanz sagt: „Bei Problemen mit der Hilfsmittelversorgung sollten Betroffene unbedingt die Krankenkassen informieren.“ Genau das haben Adriane Hermann und Silke Maresch getan - unaufhörlich und manchmal täglich. „Ich habe angerufen, ich habe geschrieben und bin mit Erik vorstellig geworden, damit sich die Bearbeiter selbst ein Bild von der Situation machen können“, berichtet Silke Maresch.

Auch Adriane Hermann hat ihre Kasse immer informiert, wenn etwas nicht stimmte. Der Einsatz hat sich gelohnt. Beide Familien bekommen nun wieder die Windeln, die sich für ihre Kinder als die besten herausgestellt haben. „Das zeigt, dass man nicht aufgeben darf“, betont Adriane Hermann.

Und Jürgen Maresch erklärt: „Wir wollen anderen Betroffenen Mut machen, sich zusammen zuschließen, um sich gegenseitig zu helfen und gemeinsam mehr zu bewirken.“

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