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Von Katharina Wiechers: Wassertreten im Kindergarten

Im Land Brandenburg gibt es 34 Kneipp-Kitas – eine davon in Rüdersdorf

Von Katharina Wiechers

Rüdersdorf - Im ersten Moment bleibt Marvin die Luft weg, als der mit kaltem Wasser vollgesogene Schwamm seinen nackten Bauch berührt. Doch schon ein paar Sekunden später hellt sich die Miene des Zweijährigen auf; er scheint zu genießen, wie Erzieherin Julia Henke den Lappen auf seinem Bauch kreisen lässt. Zehnmal rotiert ihre Hand, dann ist die „Behandlung“ abgeschlossen. Der Kleine wird angezogen und darf wieder mit den anderen Kindern spielen. Marvin besucht die Kindertagesstätte Sperlingshausen in Rüdersdorf im Landkreis Märkisch-Oderland, eine von 34 „Kneipp-Kitas“ in Brandenburg.

„Wir leben hier nach den fünf Elementen des Sebastian Kneipp“, erklärt Kita-Leiterin Monika Michel. Dazu gehören unter anderem die täglichen Wasseranwendungen, die der Dominikanermönch Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt hat. Durch die Stimulation mit kaltem Wasser sollen der Kreislauf angeregt und die Abwehrkräfte gestärkt werden, so bleibt der Körper gesund, ist Michel überzeugt.

Die wohl bekannteste Kneipp-Kur, das Wassertreten, praktiziert gerade die Gruppe der Fünfjährigen im ersten Stock. Immer zwei Kinder steigen nacheinander in die beiden mit kaltem Wasser gefüllten Wannen und halten sich an der Stange in Brusthöhe fest. „Beine hoch!“, ruft die Erzieherin, „wie ein Storch!“ Wer zehnmal im Wasser auf der Stelle marschiert ist und dabei laut gezählt hat, streift sich das Wasser von den Beinen und zieht warme, trockene Socken an. „So lernen die Kinder nebenbei auch noch das Zählen“, sagt Michel lachend. Dann laufen und hüpfen die Kinder im Spielzimmer umher, bis die Zehen wieder warm sind.

„Ich möchte noch mal“, ruft einer der Jungen, doch einmal pro Tag ist genug. „Die meisten Kinder genießen die Anwendungen richtig“, sagt Michel. „Nur ein ganz dünnes, verfrorenes Mädchen hatten wir mal, die hatte partout keine Lust“, erinnert sich die 57-Jährige. Das sei aber absolute Ausnahme gewesen, sonst müssten alle Kinder „kneippen“. Neben einer ärztlichen Untersuchung sei es ebenso Voraussetzung, dass sich die Eltern mit dem Kneippschen Lebensstil identifizieren könnten, sagt Michel.

Vor rund zehn Jahren wurden wegen der rückläufigen Geburtenrate zahlreiche Einrichtungen in Brandenburg geschlossen, wie Michel erzählt. Deshalb versuchten sie und ihre Kolleginnen, sich mit seinem eignen Konzept gegenüber anderen Kitas zu profilieren. „Wir haben einen Bericht über eine Kneipp-Kita im Fernsehen gesehen“, erinnert sie sich. Daraufhin hätten sie sich für die „Gesundheitsschiene“ entschieden.

Nicht viele der 1700 Kitas im Land wählten einen solchen „Sonderweg“, sagt der Sprecher im Bildungsministerium, Stephan Breiding. Werde die Konkurrenz zwischen den Kitas belebt, steige auch die Qualität. Außerdem sei es auch im Eigeninteresse der Kitas, attraktive Angebote zu bieten. Wenn sie viel Zulauf hätten, könnten sie sich ihre Klientel schließlich selbst aussuchen, sagt Breiding.

Zur „Gesundheitsschiene“ von Sperlingshausen, das 2003 die Zertifizierung zur Kneipp-Kita erhielt, gehören neben den Wasserkuren auch Kräuterkunde, Ernährung mit Vollwertkost und der wöchentliche Saunagang. „Auf die Sauna freuen sich die Kinder immer schon sehr“ sagt Erzieherin Henke. Alle Kinder, die „trocken“ seien, dürften mit in die 60 Grad heiße Kabine, das Jüngste ist ein Jahr und vier Monate alt. „Wir fangen mit sechs Minuten an, das wird dann langsam gesteigert“, sagt Henke.

Der Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Carl-Thiem-Klinikum Cottbus, Thomas Erler, warnt davor, Kneipp als Allheilmittel zu betrachten. „Man darf sich nicht zu viel erwarten“, sagt Erler. Dass das „Kneippen“ das Immunsystem stärke, sei so nicht richtig: „Antikörper werden durch den Kontakt mit Erregern in der Umwelt gebildet, nicht durch Wassertreten“, sagt er. Allerdings könne durch Wechselbäder der Blutkreislauf gefördert und somit die Funktionen des Körpers angeregt werden.

Dass der Körper dann auch leichter mit Infektionen fertig werde, will er nicht ausschließen. In einem Punkt ist sich der Schulmediziner allerdings sicher: „Schädlich ist es auf keinen Fall.“

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