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Einsatzort Berlin. Die Polizei kontrollierte in der Nacht zu Sonnabend 250 Bandidos, die ihr Quartier in Berlin-Reinickendorf haben.

© ddp/Axel Schmidt

Von Hannes Heine, Alexander Fröhlich und Peter Tiede: Ein Versuch, Staat zu spielen

Großer Überlauf in der Rockerszene – ein ungeheurer Vorgang. Kenner sagen: Es tagt der Kriegsrat. Ein Blick in eine Schattenwelt.

Potsdam/Berlin - Der Mann stellt klare Bedingungen. Über seine Freunde aus dem Club, die er Brüder nennt, werde er nicht sprechen. Das sei eine Frage der Loyalität. Aber über den vergangenen Mittwoch könne man reden. Denn seitdem laufen bei der Polizei die Telefone heiß. Der Mann, Gerüstbauer, Anfang 30, nennt sich Mark. Er sitzt in einer Berliner Kneipe. Es riecht nach Kaffee und nassen Hunden, Billardkugeln knallen im Hintergrund. Mark ist Mitglied im Rockerclub Gremium MC – eine jener selbst ernannten Bruderschaften, die von sich sagen, dass sie die Liebe zu Motorrädern eint. Das Buchstabenkürzel MC steht für „Motorcycle Club“.

„Am Mittwoch hat sich Erfahrung mit Militanz gepaart“, sagt er. Rund 70 Anhänger der Berliner Rockergruppe Bandidos sind an diesem Tag zu den Hells Angels übergelaufen. Viele Männer, deren Übertritt im sicheren Potsdam gefeiert wurde, stammen aus dem Chapter „El Centro“, der Bandidos-Dependance in Berlin-Reinickendorf. Die Männer seien risikofreudig, ein Trupp junger Wilder, sagt Mark. Sie hatten sich mit den eigenen Vereinskameraden aus dem Süden der Stadt angelegt – und sind dem Erzfeind beigetreten.

Seit jenem Mittwoch ist die Polizei in Alarmbereitschaft, überwacht all die Quartiere der Rockerclubs, auch das der Bandidos in der Provinzstraße. 150 Polizisten hatten sich in der Nacht zu Sonnabend zum Bandidos-Quartier aufgemacht. Die Bilanz: Keine Festnahmen, aber die Polizei stellte Schlag- und Stichwaffen bei den 250 Rockern sicher. Und am Samstagabend war gleich der nächste Polizeieinsatz in Berlin- Alt-Hohenschönhausen. Dort wurden die 70 Überläufer im Vereinsheim der Hells Angels auch in Berlin offiziell begrüßt und aufgenommen. Beamte überprüften alle, die kamen.

Dass ein ganzes Bataillon die Seiten wechselt, ist neu. Und Hochverrat. Der letzte Rocker, der genau das vorhatte, musste dafür wohl mit dem Leben bezahlen: Im August wurde in Berlin-Wartenberg auf den 33-jährigen Michael B. geschossen. Der Kampfsportler schleppte sich noch 200 Meter weit, bis er starb. Er habe die Hells Angels verlassen wollen und sich mit Bandidos getroffen, hieß es später.

Der Rockerkrieg begann vor einem halben Jahrhundert. Veteranen des Vietnamkriegs gründeten 1966 in Texas die Bandidos. Und seitdem gibt es Ärger mit den Hells Angels, 1948 von ehemaligen US-Kampfpiloten gegründet. Marks Verein, der Gremium MC, ist mit 1000 Mitgliedern zwar der größte Motorradclub des Landes, verhält sich aber derzeit unauffällig. Die beiden US-Originale haben Ableger in 100 Ländern. In Deutschland wuchsen die Bandidos schnell, viele Ex-Hooligans und Einwandererkinder stießen dazu. „Die dachten, sie würden Deutschland übernehmen“, sagt Mark.

Bis vergangenen Mittwoch. Nun sind Gesandte der europäischen Rockerspitzen in der Region Berlin-Brandenburg. Von Strategietreffen sprechen die einen, die anderen nennen es Kriegsrat. Es geht für die Clubs um viel. Die Rocker kämpfen um die Türen lukrativer Lokale, weil sie als Einlasser bestimmen, welche Geschäfte dahinter stattfinden. Von Schutzgeld, Drogen- und Waffenhandel spricht die Polizei, auch von Getränkelieferverträgen und vom Geschäft mit Go-Go-Tänzerinnen.

Erst im Dezember hatten nördlich von Cottbus zwei Bandidos, einer mit schusssicherer Weste, in einem Auto vor einer Disco auf Hells-Angels-Türsteher gelauert. Im Sommer 2007 flogen in Hennigsdorf die Kugeln an einem Sonntag von Auto zu Auto: Die Schüsse auf die im anderen PkW sitzenden Rocker (darunter ein Berliner Polizist) kamen von zwei Angehörigen des Rockerclubs „Red Devils MC Berlin“ – einem Berliner und einem Mann aus Oberhavel. Beide waren schon im Visier der brandenburgischen Ermittler – wegen Drogenhandels in größerem Stil.

Am Herrentag 2007 überfielen märkische Bandidos eine harmlose Fete in der Country-Ranch im sächsischen Dörfchen Trebendorf. Der Grund: Eine dort auftretende Go-Go-Truppe aus Südbrandenburg wurde „bewacht“ von Hells Angels. Auf dem Rückweg vom Überfall wurde der Chef der Cottbuser Bandidos angeschossen – auf einem Autobahnparkplatz.

Im Juli 2009 werden Reisende Zeugen einer wilden Schlägerei auf einem Acker an der Autobahn 24 bei Neuruppin, bei der mindestens zwei Rocker verletzt wurden. Ebenfalls im Juli verhinderte die Polizei durch Zufall einen Überfall in der Oranienburger Straße in Berlin auf eine Bar: Die Beamten, die eigentlich zwei Haftbefehle in der Go-Go-Bar vollstrecken wollten, beobachteten bei der Observierung 34 Rocker aus dem Hells-Angels-Umfeld, die getarnt mit weißen Theatermasken, den Laden stürmen wollten. Die meisten stammten aus Mecklenburg-Vorpommern.

Elf Verletzte gab es, als im Januar 2009 zehn bis 15 Rocker aus dem Umfeld des Potsdamer „Gremium MC“ eine Feier in Seddiner See überfielen und dort andere Rocker zusammenschlugen.

„Die Bandidos dachten, sie wären im Wilden Westen“, sagt Mark. Im Juni 2009 erwischte es vier Hells Angels auf einer Landstraße bei Finowfurt, als sie von fünf Autos ausgebremst wurden. Aus den Wagen sprangen junge Männer und stachen zu, einem hackten sie mit einer Machete ins Bein. Kürzlich wurde im nahen Eberswalde ein Angels-Anwärter verhaftet. Silvester soll er auf einen Bandido geschossen haben, direkt vor einem Einkaufszentrum.

In Haft schweigen die Rocker. Egal ob Opfer oder Täter, egal, wie schwer die Verletzungen sind – mit der Polizei reden sie nicht. Bestrafungen erledigen die Männer selbst, sie spielen Staat. Ihre Kluft ist die einer Armee, auf ihren Lederwesten sind das Charter oder Chapter, also die örtliche Dependance des Clubs, sowie die Stellung in der Hierarchie der Bruderschaft abzulesen. Ränge sind etwa Präsident, Schatzmeister oder Road Captain, der bei Motorradtouren vorfährt. Ehe man Mitglied wird, gar einen Posten bekommt, vergehen Jahre. „Wir beurteilen Anwärter nach ihrem Charakter“, sagt Rudolf „Django“ T., eine Legende in der Szene und Angels-Mitbegründer.

Wenn sich Höllenengel nach Revieren umschauen, leben auch Männer wie Mark gefährlich. Im August 2009 wurde vor einer Potsdamer Kneipe auf Gremium- Mitglieder geschossen. Die Rache folgte prompt: Nur Stunden später schlugen Motorradfahrer einen Autofahrer zusammen, während sich hinter ihnen der Verkehr staute. Der Gejagte war ein Höllenengel, die Jäger waren Männer von Gremium. Diese Loyalität und Entschlossenheit habe ihn fasziniert, sagt Mark.

Ermittler warnten damals schon davor, dass sich die brandenburgische Landeshauptstadt samt Umland zum Zentrum von Rockerkriminalität und gewalttätiger Zusammenstöße entwickle. Denn wenige Kilometer weiter sitzen in Ludwigsfelde und Teltow-Fläming auch die Bandidos und deren Ableger, die Chicanos. Auch mit diesen lieferten sich Hells Angels schon Auseinandersetzungen.

Brauchbare Zeugen sind selten. Als sich an einem Sommertag 2007 zwei Hünen auf der viel befahrenen Indira-Gandhi-Straße in Berlin-Hohenschönhausen gegenüberstehen, filmte sie ein Zeuge zufällig mit einer Digitalkamera. Einer der Männer trug Dolch und Bandidos-Lederweste, sein Gegner Schlagstock und eine Kutte der Hells Angels. Erst herbeistürmende Polizisten stoppte den Kampf. Die Bilder verkaufte der Zeuge an die Presse. Vor Gericht aber konnte er sich an nichts erinnern, vom Zuschauerraum musterten ihn Männer in Lederwesten.

Die durch Muskeln und Motorräder, im Ernstfall auch Macheten, zur Schau gestellte Männlichkeit ist Geld wert – auch, wenn etwa in Brandenburg und dem Osten Berlins viele Rocker keinen Motorradfüherschein besitzen. Der Hinweis auf die Riesen in Leder reicht, wenn etwa Bordellbetreiber zahlungsunwillige Kunden einschüchtern wollen. Von illegalen Deals wisse er aber nichts, sagt Mark. „Wenn es angeblich um so viel Geld geht, warum arbeite ich dann für zehn Euro die Stunde auf dem Bau?“

Rocker sind nicht die Mafia, sagt ein Szenekenner, auch wenn einige nahe dran sind. Der Mafia gehe es um Geld, den Rockern auch um Lebensgefühl, um Ehre. „Ich schlage, wenn mich jemand angreift, bedroht, beleidigt“, sagt Mark. „Niemand braucht die Polizei.“

Doch hier gibt es Unterschiede zwischen Ost und West, Berlin und Brandenburg. Denn in Brandenburg stammten viele Rocker ursprünglich aus dem Kleinkriminellen-Milieu, der Hooligan-Szene und der örtlichen, rockerfreien Türsteherszene. „Die wechselten dann später zu den Rockern – auch, weil sie nicht viel mehr konnten, als an der Tür zustehen“, sagt ein Ermittler. Zudem verdienten „die Kleinen“ in der Branche nirgends richtig Geld: „Das geht an die Hintermänner, an die mit Funktionen wie etwa Waffenwarte, Klubchefs und Drogenlieferanten oder ähnliches“, so der Experte. Zudem sei der Markt in Brandenburg besonders klein – daher versuchten auch gerade Gruppen aus Süd-Brandenburg, nach Sachsen zu expandieren, wie der Überfall auf die sächsische Herrentagsfete vor zwei Jahren zeige.

Vor ein paar Monaten, sagt Mark, ging er zu einem Boxkampf in Köpenick. In der Halle roch es nach Rauch, Schweiß, Bier. Der „Sergeant at Arms“, der Gremium-Sicherheitschef, verteidigte im Ring seinen Titel. Die Rockergröße wurde an diesem Abend auch von Rockern aus Polen und Italien angefeuert. Vor der Halle parkte ein Kleinbus, hinter dem Steuer saß ein bärtiger Wachposten in der Dunkelheit.

„Eigentlich ging doch bei Angels und Bandidos alles seinen Gang“, sagt Mark. „Wie bei zwei Staaten, die im Grenzgebiet ab und zu ein paar Scharmützel haben.“ Ein Polizist sagt: „Die Gefahr ist wieder größer, dass welche die Grenze überrennen und sich zu Tode prügeln.“

Die Entwicklung der letzten Woche mit dem Übertritt der Berliner Bandidos-Truppe zu den Hells Angels offenbart aber auch Spannungen innerhalb einzelner Gruppen: Bei den Überläufern handelt es sich fast ausschließlich um türkisch-stämmige Rocker. Die wurden bei dem Treffen in Potsdam der türkischen Sektion zuordnet und firmieren nun unter „Hells Angels Nomads Türkiye“ – weil sich im Osten Berlins die Hells Angels zum Großteil aus der fremdenfeindlichen Hooliganszene des einstigen DDR-Fußballverein BFC-Dynamo rekrutierten. „Die Angels in Berlin und Brandenburg tun sich schwer mit der Aufnahme der Türken, das trifft nicht auf Gegenliebe“, hieß es. Eigentlich würden die rechtslastigen Fußball-Schläger keine Ausländer in eigenen Reihen dulden. Es sei denn, sie kommen vom Gegener übergelaufen.

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