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Von Alexander Fröhlich: Krude Ideen im Prignitzer Fürstentum

Ein neugegründeter „Kirchenstaat“ sorgt für einen Kulturschock im Dorf Krampfer Sogar eine eigene Staatsflagge in den Farben Blau-Rot-Gold hängt über dem Eingang

Krampfer – Kaum 16 Jahre sind die beiden Mädchen alt, entlang der Dorfstraße schieben sie einen Kinderwagen, aus dem Handy dudelt Musik. Sonst ist da niemand zu sehen in Krampfer, einem Ortsteil der 3800 Einwohner zählenden Großgemeinde Plattenburg bei Perleberg im äußersten Nordwesten Brandenburgs. Auf den Feldern hinter den Häusern äsen die Kraniche, ab und zu fährt ein Auto vorbei – und alle Fahrer schauen auf das Schloss, ein baufälliges Haus direkt an der Dorfstraße. „Da sollen doch Rechte wohnen“, sagen die Mädchen. Mit denen hätten sie aber nichts zu tun, die seien komisch.

Schon wieder Rechte. Vor zwei Jahren war Plattenburg bereits in den Schlagzeilen, weil angeblich der Hamburger Rechtsextremist und NPD-Funktionär Jürgen Rieger im Ortsteil Kleinow ein Schulungszentrum etablieren wollte. Jetzt herrscht erneut Unruhe, die Menschen sind verunsichert: Denn in dem Schloss ist jüngst mit dem „Fürstentum Germania“ ein „unabhängiger Kirchenstaat“ mit eigener Verfassung gegründet worden. Sogar eine eigene Staatsflagge in den Farben Blau-Rot-Gold hängt über dem Eingang.

Innen fällt der Putz von den Wänden, Werkzeug liegt herum, es ist eine Baustelle. Erst seit kurzem gibt es Strom. In der Küche, dem einzigen beheizbaren Raum, sitzt Jens Wilmann, einer der ersten Bewohner des Schlosses, 32 Jahre alt aus Bremen und Handwerker. „Wir sind keine Esoterik-Faschisten die täglich ein Huhn opfern und den Holocaust leugnen“, sagt Wilmann, der einen Poncho trägt, ein Tuch über der Stirn hält seine langen Haare zusammen, im Gesicht ein fusseliger Bart. „Wenn man so will, sind wir so etwas wie Hippies, Spiritualisten die hier etwas aufbauen wollen.“

Und wozu eigener Staat? „Wir wollen autark leben und nicht unter eine Hausordnung, man nennt sie Grundgesetz.“ Für den 32-Jährigen und seine Mitstreiter existiert die Bundesrepublik nicht, Deutschland stehe noch immer unter Besatzungsrecht. Der Mann redet von Basisdemokratie, von friedlicher Gemeinschaft, Leben ohne Geld, ökologischer Landwirtschaft, von selbsterzeugter Energie und von neuer germanischer Medizin. Auch ein Zentrum für missbrauchte Kinder soll entstehen. Schon dreihundert Bürger habe das Fürstentum, täglich bringe der Briefträger eine Handvoll neuer Einbürgerungsanträge. Wilmann spricht von einer neuen Zeit, die angebrochen sei – wo doch die Welt rundherum in der Krise untergeht. „Nu Era“ heißt die Bewegung dahinter.

Ein buntes Volk mit kruden Idealen, ein alternatives Wohnprojekt – könnte man meinen. Für die Bewohner im Dorf ist es ein Kulturschock. Besonders am Wochenende, wenn Autos aus dem gesamten Bundesgebiet vor dem Schloss parken. Ein Verfassungsschützer sagt, nach den Nummernschildern komme hier alles zusammen, was seine wirren Ideen loswerden will – rechte Esoteriker, Verschwörungstheoretiker, Scientologen, Extremisten von Links und Rechts. Sektenbeauftragte warnen vor Pädophilen. Offiziell ist beim Innenministerium in Potsdam von einer wilden Gemengelage die Rede. Konkrete Bezüge zum rechten Spektrum oder eine akute Bedrohung gebe es nicht. Die Polizei hat das Schloss dennoch im Visier. „Bisher konnten wir aber keine strafbaren Handlungen feststellen“, so eine Sprecherin. Landrat Hans Lange (CDU) will wenigstens den Babybegrüßungsdienst und das Sozialamt vorbeischicken.

Dass es Kontakte mit Rechtsextremen gab, räumt Jens Wilmann ein. „Die sind meist schnell wieder weg. Denen sind wir zu lasch. Wir sind für jeden offen, er muss nur friedlich sein“. Auf dem 4000 Quadratmeter großen Anwesen herrscht Waffenverbot. „Hier kommen viele Menschen zusammen mit ihren Ideen.“ Dazu gehören auch Anhänger der „Kommissarischen Reichsregierung“ (KRR), wie Jo Conrad, einem der Köpfe des Fürstentums, der sich in seinen Verschwörungsbüchern etwa über die Macht der Außerirdischen oder den angeblichen Hintermännern der Anschläge vom 11. September 2001 auch antisemitisch gibt.

Viele Leute im Ort können mit all dem nichts anfangen. „Die Jungs, die da wohnen, mögen ja ganz nett wirken“, sagt eine Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte. „Die wissen doch gar nicht wer dahinter steckt.“ Auch Gabriele Schlamann vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechts sagt: „Das Verwirrspiel hat System, das ist kein Spaß, die Hintermänner haben etwas ganz anderes vor, nur was, wissen wir nicht.“ Die Bewohner hätten Angst, dass die Dorfgemeinschaft kippt. Fest steht: Germania-Bürger versuchen, Häuser und Wohnungen in der Gegend zu kaufen.

Jens Wilmann gibt das offen zu, das Fürstentum könne per Lehnsherrschaft auf Exklaven ausgedehnt werden. Germania müsse aber als souveräner Staat anerkannt werden. In dieser Mission soll Staatsgründer Michael Freiheit von Pallandt, früher angeblich Taxifahrer in Augsburg, unterwegs sein. Russland und Venezuela hätten bereits Bereitschaft signalisiert. Wilmann, der Mann in Hippie-Kluft, sagt: „Wenn die uns erst mal anerkennen, dann kann uns die BRD gar nichts. Hier entsteht was ganz Großes.“

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