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Rückzug. Beim Ostermarsch hatten Soldaten noch mit Flugblättern für den Truppenübungsplatz geworben. Nun gibt der Verteidigungsminister die Pläne für die Wittstocker Heide endgültig auf.

© ddp

Von A. Fröhlich, M. Matern und C.-D. Steyer: Endgültiges Aus für Bombodrom

Bundeswehr will Garnison bei Wittstock schließen. Tauziehen um mögliche Nachnutzung der Kyritz-Ruppiner Heide

Wittstock - Das „Bombodrom“ zwischen Wittstock, Rheinsberg und Neuruppin ist endgültig Geschichte. Neun Monate nach dem vom damaligen Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) erklärten Verzicht auf die Nutzung des 12 000 Hektar großen Areals als Luft-Boden-Schießplatz wird jetzt auch die Garnison samt Übungsgelände geschlossen. Damit beendete Verteidigungsminister Theodor zu Guttenberg (CSU) alle Spekulationen, das Areal wenigstens als Artillerieübungsgelände oder für andere Einheiten der Landstreitkräfte zu verwenden. „Dafür besteht kein Bedarf“, heißt es aus dem Ministerium. Offiziell soll der Minister am heutigen Mittwoch den Verteidigungsausschuss des Bundestages über die strategische Ausrichtung der Bundeswehr informieren, dem Vernehmen nach geht es dabei auch um die Schließung von Standorten.

Bereits im März hatte die Bundeswehrverwaltung Kontakt zum Bundesfinanzministerium aufgenommen. Künftig soll die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben für das Gelände verantwortlich sein. Auch die Staatskanzlei ist offenbar schon informiert. Offiziell wollte Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) am Dienstag aber nichts zu den Plänen sagen.

In Wittstock war schon seit einigen Tagen über die Schließung gemunkelt worden, es laufen bereits Personalgespräche. Betroffen vom Ende der Garnison, die kurz nach dem Abzug der russischen Truppen vom Bombenabwurfplatz eingerichtet worden war, sind 17 Bundeswehrangehörige und 79 Zivilbeschäftigte. Sie sollen an anderen Standorten eine Beschäftigung erhalten. Aber auch nach deren Abzug kann die Kyritz-Ruppiner Heide noch nicht betreten werden. Gutachter hatten festgestellt, dass „5500 der 12 000 Hektar als extrem munitionsbelastet“ bewertet werden müssen. Die sowjetischen Einheiten, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ab 1990 unter russischem Kommando standen, hatten sich keineswegs um die zahlreichen Blindgänger gekümmert. Erst im vergangenen Jahr war der Standortkommandant mit einer Journalistin auf mehrere scharfe Minen gestoßen. Auf rund 220 Millionen Euro werden die Kosten für eine Munitionsberäumung geschätzt.

Verantwortlich dafür sieht sich das Verteidigungsministerium jedenfalls nicht, weil die Bundeswehr dort nie eigene Munition eingesetzt hat. Landesregierung und Landtag sehen den Bund dagegen in der Pflicht. Diesen Standpunkt vertreten auch die Bürgerinitiative Freie Heide, die Unternehmerinitiative Pro Heide, die Aktionsgemeinschaft Freier Himmel aus der Müritzregion sowie der Landkreis Ostprignitz-Ruppin mit den umliegenden Städten. „Verantwortlich für die Beräumung ist der Eigentümer“, bekräftigte Egmont Hamelow (CDU), Interimslandrat vom Kreis Ostprignitz-Ruppin, gestern diese Position. Erst kürzlich hatten Bürgerinitiativen und Kommunen eine Arbeitsgemeinschaft gegründet, um Konzepte für eine zivile Zukunft zu erarbeiten.

Bislang ging es vor allem um Tourismus. „Wir wollen zunächst prüfen, welche Rad- und Wanderwege zuerst für die Öffentlichkeit freigeben werden“, sagte der Vorsitzende Christian Gilde, der sich als Landrat bereits 1992 in den Protest gegen die militärische Nutzung eingereiht hatte. Auch für Freie Heide-Sprecher Benedikt Schirge hat der Erhalt der Heide Vorrang: „Wir wollen ein Gesamtkonzept, damit die Heide nicht zerstückelt wird.“ Der größte Teil steht bereits unter Naturschutz. Fest steht: Auch das Land steht in der Pflicht, es bekommt EU-Fördergelder für die Bestandspflege in einem 4500 Hektar großen, in Brüssel offiziell gemeldeten Schutzgebiet.

Allerdings wächst der Druck aus Wirtschaft und Landespolitik, das Gelände für Wind- und Solarparks zu nutzen. Bereits jetzt werben Energieunternehmen heftig um Flächen. Nach den Plänen von SPD und Linke sollen in den nächsten Jahren neue Standorte für Windkraftanlagen vorrangig „im Nutzwald und auf ehemaligen Militärflächen erschlossen werden“, explizit wird im Antrag der Regierungskoalition zur Energiestrategie 2020 die Kyritz-Ruppiner Heide genannt. Zur Begründung heißt es: „Mit dem Areal verfügt Brandenburg über eine einmalig große Fläche, welche sich für die Nutzung erneuerbarer Energien hervorragend eignet.“ Nirgends sonst würden Anwohner „so wenig von den technischen Anlagen“ betroffen sein. Dort ließen sich mindestens Windenergieanlagen mit einer Leistung von 500 bis 800 Megawatt installieren. Damit könnte dann auch die Beräumung finanziert werden. „Kein Mensch hat das Geld, um die Flächen komplett zu öffnen“, sagte Jens-Uwe Schade, Sprecher des Infrastrukturministeriums. Vorbild ist die Lieberose Heide (Dahme-Spreewald), wo aus den Einnahmen des Solarparks die Altlastenentsorgung finanziert wird. „Das ist Bodenschutz und Klimaschutz aus einer Hand.“

Interesse an der Heidelandschaft hat gestern auch die Heinz-Sielmann-Stiftung erneut bekundet. „Ein Engagement ist nach wie vor eine Option“, bestätigte Professor Matthias Freude, Präsident des brandenburgischen Landesumweltamtes und Mitglied im Stiftungsrat, gegenüber den PNN. In der Döberitzer Heide wenige Kilometer nördlich von Potsdam hat die Stiftung ein Wildtier-Freigelände eingerichtet. Wie in der Kyritz-Ruppiner Heide handelt es sich um eine munitionsbelastete Militärbrache. Heute grasen über den verborgenen Blindgängern Wisente und Wildpferde, beräumt worden sind nur die Wanderwege. Ein solches Projekt wäre auch mehr nach dem Geschmack der Bürgerinitiative. Als zweites müsste aber auch eine wirtschaftliche Komponente in Betracht gezogen werden, räumte Schirge ein. Übergangslandrat Hamelow kann sich sogar beides vorstellen. „Man muss ja nicht unbedingt die 12 000 Hektar als Ganzes betrachten.“

Tourismus, erneuerbare Energien, Naturschutz – Geld verdienen lässt sich in jedem Fall. Vielleicht kann so auch der anscheinend bereits beschlossene Ausfall kompensiert werden. Denn die Schließung der Garnison stößt nicht nur auf Begeisterung. Gerade die Bürgermeister von Wittstock hatten stets auf die jährlich rund 1,5 Millionen Euro Steuereinnahmen hingewiesen. Außerdem vergab die Bundeswehr angeblich pro Jahr im Schnitt Aufträge an regionale Firmen in Höhe von 20 Millionen Euro. Ursprünglich hatte das Verteidigungsministerium geplant, im Falle einer gerichtlichen Genehmigung für das „Bombodrom“ die Garnison auf bis zu 2000 Soldaten auszubauen. Doch das ist nach den reihenweise verlorenen Prozessen Geschichte.

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