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Brandenburgs Flagge auf dem Landtagsgebäude in Potsdam.

© Ottmar Winter

Vom Lockerungs-Sünder zum Wellenbrecher: Harter Lockdown in Brandenburg

Die Kenia-Regierung in Potsdam beschließt schärfere Corona-Regeln, während der Bund debattiert und der Berliner Senat eher auf Öffnung setzt. Was in Brandenburg jetzt gilt. 

Potsdam - Nach dem Lockerungs-Sündenfall nun Ausgangssperre ab 100er-Inzidenz, geschlossene Kitas und Schulen in 200er-Hotspot-Regionen: Mitten in der Debatte um einen bundesweiten Lockdown prescht jetzt Brandenburg vor - mit harten Einschränkungen im Land, härter als in Berlin.

Die von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) geführte Kenia-Regierung aus SPD, CDU und Grünen hat die "Notbremse" im Land verschärft - bis 3. Mai 2021. "Wir können und wollen nicht abwarten. Jeder Tag zählt", erklärte Woidke nach einer Kabinettssitzung in Potsdam. "Wir wollen die dritte Welle brechen." Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) zeigte sich erleichtert, dass Brandenburg angesichts der "Notrufe" der Krankenhäuser wegen immer vollerer Intensivstationen "Verantwortung übernimmt". Und Innenminister Michael Stübgen (CDU) begründete die mit Bayern vergleichbare Linie so: Es müsse verhindert werden, dass Ärzte in Brandenburg in Entscheidungszwänge kämen, "welche Patienten sie behandeln können und welche sie sterben lassen müssen".

Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg, und Ursula Nonnemacher (Bündnis90/Die Grünen), Ministerin für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz. 
Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg, und Ursula Nonnemacher (Bündnis90/Die Grünen), Ministerin für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz. 

© Bernd Settnik/dpa

Was in Brandenburg jetzt gilt. Ein PNN-Überblick:

Wer ist von der Ausgangssperre betroffen? 

Die Ausgangssperre von 22 Uhr bis 5 Uhr gilt ab kommenden Montag (19.4.). Und zwar in den Kreisen, in denen die Sieben-Tage-Inzidenz zu diesem Zeitpunkt bereits drei aufeinander folgende Tage über dem 100er-Grenzwert liegt. Das betrifft schon jetzt 15 der 18 Kreise und kreisfreien Städte, also fast ganz Brandenburg.  Nur die Landeshauptstadt Potsdam, die Stadt Brandenburg an der Havel und der Barnim lagen am Samstag (17.4.) noch knapp darunter. Es scheint eine Frage von Tagen, bis auch dort die Ausgangssperre greift. Eventuell muss sie noch um eine Stunde angepasst werden: Denn die diskutierte, aber nicht beschlossene "Bundesnotbremse" sieht eine Ausgangssperre schon von 21 Uhr bis 5 Uhr vor. 

Wer darf ab 22 Uhr noch draußen unterwegs sein? 

Joggen nach 22 Uhr ist verboten, Gassigehen mit dem Hund bleibt erlaubt. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bemerkte aus eigener Erfahrung, dass man ja auch morgens ab 5 Uhr gut joggen könne. Die Regelung ist ähnlich wie die zu Ostern, in einem Punkt aber schärfer: Wenn man Verwandte besucht, muss man anders als über die Feiertage rechtzeitig den Rückweg antreten, um 22 Uhr wieder zu Hause sein.

Ansonsten sind die triftigen Gründe, mit denen man sich weiter in der Nacht im öffentlichen Raum bewegen darf, so geregelt: 

  • der Besuch von Ehe- und Lebenspartner:innen und -partnern sowie von Lebensgefährtinnen und Lebensgefährten
  • die Wahrnehmung des Sorge- oder eines gesetzlichen oder gerichtlich angeordneten Umgangsrechts
  • die Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen,
  • die Begleitung und Betreuung Sterbender oder von Personen in akut lebensbedrohlichen Zuständen
  • die Inanspruchnahme medizinischer, pflegerischer und therapeutischer Leistungen
  • die Inanspruchnahme veterinärmedizinischer Leistungen und die Versorgung von Tieren - dazu gehört Gassi gehen oder auch Pferde füttern
  • die Abwendung einer Gefahr für Leib, Leben und Eigentum,
  • das Aufsuchen der Arbeitsstätte und die Ausübung beruflicher, dienstlicher oder der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben dienender ehrenamtlicher Tätigkeiten
  • die Teilnahme an Versammlungen (Demonstrationen), religiösen Veranstaltungen, nicht-religiösen Hochzeiten und Bestattungen
  • die Durchführung von Maßnahmen der Tierseuchenbekämpfung und zur Jagdausübung durch jagdberechtigte und beauftragte Personen
  • die Teilnahme an nicht untersagten Veranstaltungen, mit Ausnahme privater Feiern und sonstigen Zusammenkünften
Schilder in der Brandenburger Straße in Potsdam.
Schilder in der Brandenburger Straße in Potsdam.

© Ottmar Winter

Was ist mit den Schulen und Kitas? 

In Kreisen, in denen die Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner drei Tage in Folge über 200 liegt, müssen Schulen für den Präsenzbetrieb und die Kitas schließen. Das war bisher nicht der Fall. Aktuell betrifft das den Kreis Spree-Neiße (221,6). An den Grundschulen muss dann wieder Distanzunterricht gegeben werden, wie bereits jetzt an den weiterführenden Schulen.

Ausnahmen gibt es wie bisher für Abschlussklassen, für das letzte Ausbildungsjahr eines beruflichen Bildungsgangs, für Förderschulen „geistige Entwicklung“, für die Durchführung von Prüfungen sowie die Abnahme von Prüfungsleistungen - hier insbesondere nach der Handwerksordnung und dem Berufsbildungsgesetz in den Räumen der Oberstufenzentren - sowie schulische Testverfahren. 

Die Regelung gilt ab kommenden Mittwoch (21.4.), damit die betroffenen Kreise in Grundschulen und Kitas die Notbetreuung für Kinder organisieren können, deren Eltern in "kritischer Infrastruktur" arbeiten, etwa im Gesundheitswesen. Neu ist: Die Hort-Notbetreuung wird auf Kinder der fünften und sechsten Klassen ausgeweitet. Bislang galt sie nur bis zur vierten Klasse.

Gesundheitsministerin Nonnemacher wies darauf hin, dass das Umfeld Schulen und Kitas immer mehr Träger des Infektionsgeschehens werde, es seien dann häufig ganze Familien infiziert.

Wer hat in Brandenburg Anspruch auf Notbetreuung? 

Das dürften jetzt mehr Eltern sein als bisher, denn für einen Anspruch ist jetzt schon ausreichend, wenn ein Elternteil in der so genannten kritischen Infrastruktur arbeitet. Bisher mussten beide Eltern "systemrelevant" sein. Hier die neuen Festlegungen des Landes Brandenburg zum Anspruch auf Notbetreuung. Er gilt für:

  • Kinder, die aus Gründen der Wahrung des Kindeswohls oder aufgrund von Schulen festgestellter besonderer sozialer Unterstützungsbedarfe zu betreuen sind
  • Kinder, von denen mindestens ein Personensorgeberechtigter in kritischen Infrastrukturbereichen innerhalb oder außerhalb des Landes Brandenburg beschäftigt ist, soweit eine häusliche oder sonstige individuelle oder private Betreuung nicht organisiert werden kann
  • Kinder von Alleinerziehenden, soweit eine häusliche oder sonstige individuelle oder private Betreuung nicht organisiert werden kann

Kritische Infrastrukturbereiche sind:

  • Gesundheitsbereich, gesundheitstechnische und pharmazeutische Bereiche, stationäre und teilstationäre Erziehungshilfen, Internate, Hilfen zur Erziehung, Eingliederungshilfe sowie Versorgung psychisch Erkrankter, Personen im stationären oder ambulanten medizinischen oder pflegerischen Bereich
  • Erzieherin oder Erzieher in der Kindertagesbetreuung und Lehrkräfte
  • Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen in der Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltung
  • Polizei, Rettungsdienst, Katastrophenschutz, Feuerwehr und Bundeswehr sowie sonstige nicht-polizeiliche Gefahrenabwehr, Rechtspflege und Steuerrechtspflege
  • Vollzugsbereich einschließlich Justizvollzug, Maßregelvollzug und vergleichbare Bereiche
  • Daseinsvorsorge für Energie, Abfall, Wasser, Öffentlicher Personennahverkehr, Informationstechnologie und Telekommunikation
  • Leistungsverwaltung der Träger der Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch, nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
  • Landwirtschaft, Ernährungswirtschaft, Lebensmitteleinzelhandel und Versorgungswirtschaft, Logistikbranche (einschließlich Kraftfahrerinnen und Kraftfahrer) für die Grundversorgung
  • Lehrkräfte für zugelassenen Unterricht, für pädagogische Angebote und Betreuungsangebote in Schulen sowie für die Vorbereitung und Durchführung von Prüfungen
  • Medien (einschließlich Infrastruktur bis hin zur Zeitungszustellung)
  • Veterinärmedizin
  • für die Aufrechterhaltung des Zahlungsverkehrs erforderliches Personal
  • Reinigungsfirmen, soweit sie in kritischen Infrastrukturen tätig sind
  • freiwillige Feuerwehren und in anderen Hilfsorganisationen ehrenamtlich Tätige
  • Bestattungsunternehmen 
Menschen stehen in Potsdam vor dem Karstadt-Kaufhaus.
Menschen stehen in Potsdam vor dem Karstadt-Kaufhaus.

© Ottmar Winter

Was ist mit den schon geltenden Corona-Einschränkungen? 

Alles was gilt, etwa in Bezug auf Gastronomie und Einzelhandel, bleibt in Kraft. Das gilt auch für die Kontaktbeschränkungen, wonach man sich ab einer 100er-Inzidenz nur mit einer Person eines fremden Haushaltes treffen darf. Neu ist, dass in den Kreisen mit "Notbremse", also ab Inzidenz 100, das Versammlungsrecht stärker eingeschränkt wird. Statt 500 Menschen dürfen sich dort nur 100 Menschen unter freiem Himmel versammeln, etwa für Demonstrationen. Innenminister Michael Stübgen (CDU) begründete dies mit den bisherigen Erfahrungen der Polizei, wonach bei größeren Demonstrationen die Durchsetzung von Maskenpflicht und Abständen nicht durchsetzbar gewesen seien. In Potsdam war dies bei den beiden letzten Corona-Protesten der Fall.

Dürfen Kreise strengere Einschränkungen verhängen? 

Ja, kreisfreie Städte und Landkreise können mit der geänderten Eindämmungsverordnung des Landes Brandenburg ab Montag auch bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von unter 100 schärfere Maßnahmen ergreifen, wenn dies aufgrund einer kritischen Auslastung der Intensivmedizin in den Krankenhäusern nötig sei, wie Gesundheitsministerin Nonnemacher erläuterte. Dabei bezog sich Nonnemacher auch auf die Landeshauptstadt Potsdam. Hier liegt die Inzidenz derzeit unter 100, Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) musste nach Vorgaben der aktuellen Eindämmungsverordnung die Notbremse zuletzt wieder lockern, obwohl die Infektionszahlen steigen. Schubert hatte diese Lockerungen mit der Öffnung der Geschäfte ohne Testpflicht kritisch gesehen. Es gebe jedoch rechtlich keinen anderen Weg, so Schubert. 

Dies sei jetzt angesichts einer neuen Regelung in der Eindämmungsverordnung anders, so Nonnemacher. Bei einer drohenden Überlastung der Krankenhäuser gebe es für kreisfreie Städte und Landkreise nunmehr deutlich mehr Spielraum zu handeln, auch bei Inzidenzen unter 100. 

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD).
Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD).

© Ottmar Winter

Ist der Brandenburg-Lockdown mit Berlin abgestimmt? 

Nein. Zwar wollen beide Landesregierungen in Kürze wieder einmal zusammen tagen, beschwören oft die enge Zusammenarbeit. Im Corona-Krisenmanagement gibt es jedoch weiterhin große Unterschiede. Zum Beispiel ist in Berlin der Freizeitsport von Kindern und Jugendlichen unter freiem Himmel erlaubt, in Brandenburg mit der "Notbremse" nicht mehr. In Berlin gelten weniger strenge Einschränkungen, keine "Notbremse" wie in Brandenburg.

Ministerpräsident Woidke sagte: "Ich hoffe, dass alle Ministerpräsidenten und die Bundesregierung das tun, was jetzt notwendig ist." Denn die Situation sei außerordentlich schwierig. Er hob die Einigkeit in der Kenia-Koalition hervor. Zu Linke-Kritik, dass die Ausgangssperre nur autoritäre Symbolpolitik sei, sagte Woidke: Man könne das unter "Opposition" abbuchen. Die Linke habe ja selbst oft "schärfere Maßnahmen gefordert".

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