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Schnell nach Hause. Eltern und Amt streiten um die Schulpflicht.

© Philipp Schulze/dpa

Update

Verwaltungsgericht Potsdam rügt Behörde: Schulamt darf Kind nicht zu Nachmittagskursen zwingen

Gericht hat Zweifel, ob das Brandenburgische Schulgesetz eine ausreichende Grundlage für verpflichtende Teilnahme an Angeboten der "verlässlichen Halbtagsschulen" im Grundschulbereich bietet. Das Ministerium will das Gesetz nun auf den Prüfstand stellen. 

Potsdam – Müssen Schüler an Angeboten der verlässlichen Halbtagsschule in Brandenburg zwingend teilnehmen? Das Verwaltungsgericht Potsdam zweifelt das an und hat nun in einem Fall aus Oberhavel zugunsten eines Kindes entschieden, das vom Schulamt zur Teilnahme an den Nachmittagsangeboten gezwungen werden sollte.

Die 12. Kammer des Verwaltungsgerichts habe im Rahmen einer Entscheidung im Eilverfahren Zweifel geäußert, ob das Brandenburgische Schulgesetz eine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine verpflichtende Teilnahme an Angeboten der „verlässlichen Halbtagsschulen“ im Grundschulbereich bietet, teilte das Gericht am Donnerstag mit. Der Fall habe sich in Glienicke/Nordbahn zugetragen und sei bislang der erste dieser Art, der beim Gericht gelandet sei, erklärte Sprecher Matthias Scharf auf PNN-Anfrage.

Im August 2019 habe das Staatliche Schulamt Neuruppin festgestellt, dass die Eltern der Schülerin es unterlassen hätten, dafür Sorge zu tragen, dass diese den Unterrichtsverpflichtungen, die sich aus der „verlässlichen Halbtagsschule“ ergäben, nachkomme – und forderte deshalb die Eltern auf, ab sofort für den ordnungsgemäßen Schulbesuch ihrer Tochter zu sorgen. Für den Fall des weiteren Fernbleibens der Tochter drohte das Schulamt den Eltern mit einem Zwangsgeld in Höhe von 250 Euro.

Hintergrund des Streites ist nach Angaben des Verwaltungsgerichts, dass die Schülerin wegen gesundheitlicher Besonderheiten in Abstimmung mit der Schule nach dem Unterricht zu Hause zu Mittag essen darf. Danach sei sie aber nicht mehr in der Schule erschienen, um an den Angeboten der Halbtagsschule teilzunehmen. Darin sah das Schulamt einen Verstoß gegen die Schulpflicht. Die Eltern seien verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihre schulpflichtige Tochter neben dem Unterricht auch an allen im Rahmen der „verlässlichen Halbtagsschule“ bestehenden Angeboten teilnehme, teilte das Schulamt der Familie in einem Bescheid mit.

Der Widerspruch gegen diesen Bescheid blieb erfolglos, über die Klage ist noch nicht entschieden. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage nun wiederhergestellt, da eine Verletzung der Schulpflicht nicht gegeben sei. Die Schülerin sei nicht verpflichtet, täglich nach ihrem Mittagessen zu Hause in die Schule zurückzukehren.

Das Gericht hat Zweifel, ob die maßgeblichen Vorschriften des Brandenburgischen Schulgesetzes dem Gesetzesvorbehalt genügten. Dieser besagt, dass der Gesetzgeber wegen des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips des Grundgesetzes verpflichtet sei, bei Maßnahmen im Bereich des Schulwesens die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Schulverwaltung zu überlassen. Denn es handele sich hier im Kern um eine Ausdehnung der Schulpflicht.

Jedoch seien die wesentlichen Eckpunkte sowie die erforderlichen Leitlinien für Halbtagsschulen nicht durch das Bildungsministerium festgelegt worden. Das brandenburgische Schulgesetz lasse für eine verlässliche Halbtagsschule die Grundzüge (etwa zeitlicher Umfang, Anforderungen an die pädagogische Konzeption) – wenn überhaupt – nur im Ansatz erkennen. Die ansatzweise vorhandenen Regelungen seien in mehrfacher Hinsicht verwirrend. Das Schulgesetz dehne somit die Schulpflicht an verlässlichen Halbtagsschulen über die ansonsten vorgesehenen Unterrichts- und Schulzeiten hinaus aus, ohne hierfür jedoch die notwendigen Anforderungen selbst zu regeln. Die konkretisierenden Regelungen in den Verwaltungsvorschriften könnten dabei die notwendigen Entscheidungen des Gesetzgebers nicht ersetzen.

In den Vorschriften steht unter anderem, dass verlässliche Halbtagsschulen in einem zeitlichen Rahmen von mindestens sechs Zeitstunden, in den Jahrgangsstufe 5 und 6 in der Regel von sieben Zeitstunden, einen rhythmisierten Unterricht unter Berücksichtigung der Belastbarkeit, der Konzentrationsfähigkeit und der Bewegungsbedürfnisse der Schüler anbieten müssen.

Im Übrigen würde die hier betroffene Grundschule noch nicht einmal die in den Verwaltungsvorschriften aufgestellten Anforderungen für eine „verlässliche Halbtagsschule“ erfüllen, beschied das Gericht. Das Schulamt kann gegen den Beschluss Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einlegen. 

"Wir werden den Beschluss des Verwaltungsgerichts prüfen", erklärte eine Sprecherin des Bildungsministeriums am Freitag.  "Und wir werden prüfen, ob die gesetzliche Grundlage geändert werden muss." Verlässliche Halbtagsschulen seien ein attraktives, von Eltern geschätztes Angebot, das es weiter geben werde. 

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