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Weggegeben. Bei einer vertraulichen Geburt hinterlässt die Mutter in der Klinik ihren Namen, den das anschließend zur Adoption freigegebene Kind ab seinem 16. Lebensjahr erfahren kann. Seit 2014 ist diese Form der Entbindung in Deutschland legal.

© Caroline Seidel/dpa

Vertrauliche Geburten in Brandenburg: Entbinden und entschwinden

In Brandenburg kamen seit 2014 acht Babys bei einer vertraulichen Geburt auf die Welt. Die Zahl der Geburten von Frauen in Notlagen steigt.

Potsdam - Niemand will etwas von ihrer Schwangerschaft bemerkt haben. Alleine, im Badezimmer ihres Elternhauses in Nauen (Havelland), brachte die 21-Jährige den Jungen zur Welt, der nur wenige Minuten leben sollte. Das Baby atmete, schrie, die junge Frau, bereits Mutter eines dreieinhalbjährigen Kindes, steckte das Neugeborene in eine Plastiktüte, legte es in einen Schrank. Als der kleine Junge tot war, versteckte die Frau ihn in einem leerstehenden Haus. Im Februar 2008 wurde die Leiche gefunden. Im selben Monat ertränkte eine Mutter in Lübben (Dahme-Spreewald) ihr Neugeborenes in der Badewanne.

Hätten die Kindstötungen verhindert werden können, wenn es damals schon die Möglichkeit der vertraulichen Geburt, also der Entbindung ohne Namensnennung mit anschließender Adoptionsfreigabe gegeben hätte? Die Fälle hatten seinerzeit in Brandenburg eine Debatte darüber ausgelöst, ob die Möglichkeit der anonymen Geburt Kinderleben retten könnte – zumal erst zwei Jahre zuvor die neuen toten Babys von Brieskow-Finkenheerd (Oder-Spree) gefunden worden waren. Ein so noch nie dagewesen Fall, der bundesweit für Aufsehen sorgte: Die dreifache Mutter betrank sich immer, wenn die Wehen einsetzten, ließ dann die Säuglinge sterben und vergrub sie in Blumenkästen.

In Brandenburg sind seit 2014 mindestens acht Babys vertraulich zur Welt gekommen - die Tendenz ist steigend

Die damalige Brandenburger Gesundheitsministerin Dagmar Ziegler (SPD) fuhr 2008 nach den Fällen in Nauen und Lübben mit Parlamentarierinnen von SPD und CDU nach Bayern, wo der katholische Verein Donum Vitae bereits seit 2002 in Kooperation mit mehreren Kliniken vertrauliche Geburten anbietet – damals noch in einer juristischen Grauzone, weil jeder Mensch das Recht auf Kenntnis seiner Herkunft hat. In Brandenburg sollten deshalb weitere sechs Jahre vergehen, bis die vertrauliche Geburt auch offiziell möglich wurde. Von Frauen, die ohne ihren Namen zu nennen im Kreißsaal entbinden und dann verschwinden, berichteten Brandenburger Ärzte schon vorher. Seit 2014 nun können Frauen in Deutschland bei vertraulichen Geburten zunächst anonym bleiben, ihre Daten hinterlassen und ihr Kind zur Adoption freigeben. Mit 16 Jahren können adoptierte Kinder die Identität ihrer leiblichen Mutter erfahren. Bundesweit kamen laut Bundesfamilienministerium bislang insgesamt 415 Kinder vertraulich auf die Welt. In Brandenburg sind es seit 2014 mindestens acht Babys. Die Tendenz ist steigend: Waren es 2014 und 2015 jeweils noch zwei Babys, kamen 2016 vier Babys vertraulich zur Welt, wie ein Sprecher des Potsdamer Gesundheitsministeriums sagte.

„Aus ärztlicher Sicht sind diese Geburten besser als etwa eine Babyklappe. Wir können den Frauen einen guten Schutzrahmen bieten“, sagt Oberärztin Susanne Westermann vom St. Josefs-Krankenhaus in Potsdam, die bereits eine vertrauliche Geburt begleitet hat. Insgesamt kamen in Brandenburg von 2014 bis 2016 mehr als 58 000 Kinder zur Welt.

„Sehr viele der Frauen befürchten, mit einem (weiteren) Kind überfordert zu sein“ - auch Vergewaltigungen können ein Grund sein

Für Schwangere in Notlagen sei dies ein legales Angebot, bei dem sie ihr Kind sicher in einer Klinik oder bei einer Hebamme auf die Welt bringen könnten, sagte Frauenministerin Diana Golze (Linke). Auch der Hebammenverband Brandenburg bewertet dieses Angebot positiv. „Die Frauen können mit fachlicher Begleitung und Unterstützung an einem sicheren Ort unter angemessenen Bedingungen gebären“, so die Vorsitzende Martina Schulze.

Die Gründe, warum Frauen ihre Identität nicht preis geben wollen, sind unterschiedlich. „Sehr viele der Frauen befürchten, mit einem (weiteren) Kind überfordert zu sein“, sagt ein Referent des Bundesfamilienministeriums mit Blick auf eine bundesweite Untersuchung. Für fast die Hälfte der Frauen sei das Thema Schwangerschaft so belastend, dass sie sich nicht mit möglichen Hilfestellungen auseinandersetzen konnten. Zum Teil wollen Frauen – wie im Fall Brieskow-Finkenheerd – demnach ihre Schwangerschaft auch vor den Partnern verheimlichen, um die Beziehung zu erhalten. Außerdem gebe es Fälle mit erkennbar schweren Notlagen. „Hierzu zählen zum Beispiel Frauen, die vergewaltigt wurden“, so der Referent. Bei manchen Frauen bestehe auch die Gefahr, dass ihre Ex-Partner, Noch-Ehemänner oder die Väter gewalttätig werden, wenn sie von der Schwangerschaft erfahren.

In Brandenburg gibt es eine einzige Babyklappe

Die junge Frau, die Susanne Westermann begleitet hat, war gut situiert, habe aber das Gefühl gehabt, dass ein Kind noch nicht in ihr Leben passt. „Sie wollte lieber einem ungewollt kinderlosen Paar eine Chance geben. Die Frau war sehr gut vorbereitet und wusste gut über die vertrauliche Geburt Bescheid“, berichtet die Ärztin. Auch die Geburt sei sehr gut verlaufen. Hinterher habe die junge Mutter ihr Baby auch anschauen wollen – aus Neugier. „Sie hat es aber nicht an die Brust angelegt, um nicht eine mögliche ungewollte Kettenreaktion auszulösen“, so die Ärztin. Außerdem habe die junge Frau dem Kind einen Brief hinterlassen.

Ob Frauen allerdings jetzt die Babyklappe seltener nutzen, lässt sich schwer sagen. In Brandenburg gibt es eine einzige Babyklappe, und zwar auch am St. Josefs-Krankenhaus in Potsdam. Seit 2003 wurden dort zehn Neugeborene abgelegt, zuletzt 2015, so eine Sprecherin auf PNN-Anfrage. Die Mutter, die kurz vor Weihnachten 2011 ihr getötetes Neugeborenes an einem Garagenkomplex in Potsdam-West ablegte, hat das Angebot der Babyklappe jedenfalls nicht genutzt. Ob sie sich für die komplizierte Hilfsvariante der vertraulichen Geburt entschieden hätte, ist fraglich. Der Mordfall ist bis heute ungeklärt, die Mutter wurde nie gefunden. (mit dpa)

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