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Verockerung: Am braunen Strand der Spree

Eine ockerfarbene Jahrhundertflut bedroht den Spreewald. Einheimische bangen um Natur und Tourismus. Alles wegen des Braunkohletagebaus, dessen Spätfolgen nun ausschwemmen. Und im Fluss treibt schon das nächste Problem. Anders als der Rost wird es auch Berlin erreichen

Leise plätschernd, ein breiter ruhiger Fluss. So kennt man in Berlin die Spree, am Ende ihres Laufes. Aber hier durch Neustadt, einem Dorf im Sächsischen kurz hinter der brandenburgischen Grenze, das wie im Winterschlaf versunken scheint, fließt sie mit kräftigem Rauschen. Schnell strömt sie, zehn Stundenkilometer mögen es sein, sie windet sich, breitet sich aus, umspielt mit dem Hochwasser die Wurzeln der Bäume am Ufer, eine Postkartenidylle. Auf der Brücke über die „Sprjewja“, wie sie auf Sorbisch heißt, steht ein Mann mit hellblauen Augen, wachem Blick und schlohweißem Haar. Er zeigt hinunter auf das Schauspiel und sagt einen Satz, den er an diesem Tag nicht mehr wiederholen wird. „Gut sieht die Spree aus.“ Ja, hier sei das noch so, sagt die Frau, die neben ihm steht.

Ja, gut sieht sie hier aus. Die Spree, die bis zur Mündung in die Havel noch 275 Kilometer zurücklegen wird. Sie ist zwar nicht mehr kristallklar wie bei ihren Quellen, 125 Kilometer weiter oben. Leicht getrübt, nur ein klein wenig bräunlich, typisch Spree eben. Doch von einer Böschung neben der Brücke tröpfelt ein rötliches Rinnsal hinein. Das erste Omen? Auf dieser Brücke beginnen Edelbert Jakubik, 63, und Isabell Hiekel, 50, beide von der Aktionsgemeinschaft „Klare Spree“, ihre Tour, halb Führung, halb Inspektion, durch das Gefährdungsgebiet. Denn gleich hinter Neustadt/Spree nimmt das Umweltdrama seinen Lauf um eine rotbraune Flut, die den Spreewald bedroht. Auf den nächsten 15 Kilometern stromabwärts sickert aus den Tiefen saures Eisenwasser hinein, 2500 Tonnen pro Jahr, unvorstellbare Mengen. Die Spree wird hier zum Hauptstrang einer möglichen ökologischen Katastrophe, gefährlicher noch als die vielen kleinen akut verschmutzten Fließe, die im Spreewald enden.

Die Natur holt sich zurück, was der Mensch ihr nahm. Um in den Tagebauen der Lausitz trockene Kohle fördern zu können, wurde das Grundwasser um 80 Meter abgesenkt, in einem Gebiet so groß wie Berlin und Saarland zusammen. Ein gigantischer unterirdischer Trichter entstand, der nun wieder voll läuft. Überall zwischen Neustadt, Spreewitz und Burgneudorf spült das aufsteigende Grundwasser allerlei Dreck aus den Halden der früheren Tagebaue Scheibe und Burghammer. Nur zwei von über 30, die hier die Landschaft zerfressen haben. Die DDR war, so lernten es dort die Kinder, der „größte Braunkohleproduzent der Welt“. Weltweit einmalig sind wohl auch die Folgen. Da, sagt Jakubik auf der Fahrt und zeigt auf die alten Kippen. Heute sind sie mit Kiefern bewachsen. Doch nur spärlich, was bei dem unwirklichen Boden, dem der natürliche Humus fehle, laut Jakubik kein Wunder sei. Alles landete hier einst, außer dem Bodenschatz selbst, über den es in der Lausitz ein Sprichwort gibt: „Gott schuf die Lausitz, der Teufel die Kohle.“ Segen und Fluch. Noch Jahrzehnte, nachdem die Kohle für Strom verheizt wurde, bleiben unkalkulierbare Folgen. Das Rostwasser ist nur eine davon.

Noch heute hat Isabell Hiekel die schier endlosen Kohlezüge vor Augen, die in ihrer Jugend zu den Kraftwerken rollten, Jänschwalde, Schwarze Pumpe. „Ich habe mein halbes Leben an Schranken gestanden. In Calau gab es eine, die war 18 Stunden am Tag geschlossen.“ Tierpräparatorin am Bezirksmuseum Cottbus war sie. Eine junge Frau, naturverliebt, die jede Libellenart in den Fließen ringsum kannte. Zweigliedrige Quelljungfer, Gemeine Flussjungfer, Grüne Keiljungfer, Blauflügel-Prachtlibelle. Die Namen hat sie noch immer drauf. Und dann erzählt Hiekel, wie 1987/1988 plötzlich rotbraune Brühe kam, aus einer nicht gesäuberten Grubenwasserreinigungsanlage „in mein Libellenrevier“. Schon damals regte sich in ihr, was sie selbst den „Beschützerinstinkt“ nennt, der sie hartnäckig, ungeduldig macht. Sie schrieb eine Eingabe. Es gab eine Aussprache, die Stasi saß mit am Tisch. Sie hat verinnerlicht, wie empfindsam die Natur an diesem Flecken Erde ist. „Die Libellen sind inzwischen alle weg.“ Nur folgerichtig, dass sie nach der Wende in einer Umweltbehörde weitermachte, das Biosphärenreservat Spreewald mit aufbaute, den Förderverein für Naturschutz gründete. Sie war es, die voriges Jahr das Aktionsbündnis für die Rettung des Spreewaldes initiierte, als die braune Brühe nicht verschwand. Alle hatten das unterschätzt, Behörden, die Lausitzer Mitteldeutsche Bergbau AG (LMBV), die die alten Tagebaue rekultiviert, aber auch viele Spreewälder selbst. Es war ja schon immer so, dass das Wasser hier mehr Eisen enthält. Erst nach einigen Monaten dämmerte vielen, dass diesmal etwas Fundamentales im Gange war. „Das hat alle wachgerüttelt“, sagt Hiekel. Im Bündnis, das sich im Dezember formierte, machen alle mit, „Touristiker, Fischer, Angler, Naturschützer, Kommunen“. Das erste Mal überhaupt zögen im Spreewald alle an einem Strang. „Was haben wir uns vorher gestritten, 20 Jahre lang.“ Nur drei Wochen später fasste der sonst träge Landtag in Potsdam einen Beschluss, einstimmig, dass der Kampf gegen die Verockerung „höchste Priorität“ hat, ein Sofortprogramm nötig ist.

Weiter geht es jetzt zur Talsperre Spremberg. An der Vorsperre Bühlow säumen erste rostbraune Flecken das Schilf, ehe der nun bereits mit seiner noch unsichtbaren „Eisenfracht“ beladene Fluss die einhundert Meter breite, einen Meter tiefe Betonschwelle passiert. Edelbert Jakubik zeigt in den Himmel. „Ein Seeadler. Und da drüben, ein Silberreiher.“ Hier breitet sie sich aus, die Spree, hält inne wie zur Rast auf ihrer Reise. Hier setze sich Eisen ab, gut für den Spreewald, dennoch ein Jammer, sagt Jakubik. Der Stausee sei Naturschutzgebiet, ein Angelgewässer. Und er selbst ist ja Angler, Chef des Anglerverbandes Cottbus/Land, und ein Draußenmensch sowieso. Früher hat er in der Wasserwirtschaft gearbeitet, Flüsse und Bäche verlegt, klar, für die Kohle, die ihn ernährte. Er lebte mit der Angst, dass das Elternhaus in Schleife abgebaggert werden könnte, zog mit seiner Frau nach Müschen, in den Spreewald. „Kaum war das Haus fertig, wurde es auch hier Bergbauschutzgebiet.“ Die Angst zog mit. Viele in der Region lebten damit, bis die Wende kam. Und einige auch danach noch. Jakubik, der Geografie studiert hat, blieb dem Wasser treu, nun bei der Wasserbehörde, bis zur Pensionierung. Es gibt kaum einen hier, der den Spreewald, die Spree, ihre Fließe und Bäche, so gut kennt wie er. Und jetzt, wo die Spree weiterzieht, am Auslaufwerk aus dem Stausee mit Getöse nach unten stürzt, soll sie angeblich von der Last des Eisens befreit sein. So hatte es der Cottbuser Regionalchef des Landesumweltamtes zuletzt auf einer Bürgerversammlung in Lübben erklärt. Aber Filter gibt es nicht. Hiekel lässt die Frage, was die Spree mitnimmt, nicht los. Prompt, beim nächsten Kontrollblick von einer Brücke in Neuhausen, dreitausend Meter flussabwärts, wird ihre Sorge größer. „Vorige Woche war es klarer, jetzt ist das Wasser bräunlicher. Das Eisen wird schon weitergetragen.“ Ein Verdacht, der ein paar Tage später durch Messdaten bestätigt wird.

Die Fahrt geht nordwärts, an Cottbus vorbei, Richtung Vetschau. Hiekel hält bei Glinzig, einem Dorf am Kohselmühler Fließ. Es ist ein Bächlein, eins von sieben, die im Niederlausitzer Landrücken entspringen und dann im Norden, im Spreewald enden. Selbst Jakubik und Hiekel, die schon viel gesehen haben, sind schockiert. In einer einzigen braunen Soße steht das Schilf. Die kleistert alles zu, sagt sie. Dabei wurde das Fließ von 2004 bis 2007 aufwendig renaturiert. Das habe wahrscheinlich Millionen gekostet, sagt er. „Alles umsonst.“ Nur ein Schild erinnert daran, wie intakt alles war, ein Anachronismus: „Salmonidengewässer“. Also höchste Güteklasse, für die edelsten Fische, Forellen, Eschen, Lachse, die teuersten Angelkarten, sagt Jakubik. „Jetzt gibt es hier keinen einzigen Fisch mehr. In Südbrandenburg gab es zwei Forellengewässer, das war eins davon.“ Und das sei nur der Anfang.

Am Ende der Tour, nach acht Stunden, zeigt der Tacho von Hiekels Opel 190 gefahrene Kilometer an. Doch egal, wo beide nachschauen, ob am Greifenheiner Fließ, wo bei einem Fischer im nahen Krieschen alle Karpfen krepiert sind, im Eichower Fließ, am Vetschauer Mühlenfließ, an der Wudritz: Das Wasser ist rostbraun. Man könnte Farbstudien betreiben, Ockerkunde, wie das Wasser mal vom Braun ins Rote umschlägt, mal zu einer dickflüssigen Pampe wird, mit der man Wände streichen könnte. „Es kommt von überall“, sagt Hiekel. Diese Fließe tragen tagein und tagaus rostbraunes Wasser in Richtung des Spreewaldes, der mit seinem Grachten-Labyrinth, in dem das Wasser oft steht, zu einem riesigen Absetzbecken für das Eisenhydroxid zu werden droht. Noch schwappt es bis an den Rand des Spreewaldes – nur, schon, wie man will. In Burg hat es den Südumfluter erreicht, jetzt der letzte Abwehrring. Am „Naturhafen“ in Ragow hat die Wudritz die Anlegestelle für die Kähne mit einer fünf Zentimeter Rostschlammschicht erobert. Es ist keine Saison, keine Menschenseele weit und breit. Werner Rosenberger, 72 Jahre, einer der Kahnfährleute, der seit 50 Jahren seinen Spreewaldkahn durch das Unesco-geschützte Biosphärenreservat stakt, geht ans Telefon. Ein Ur-Spreewälder. „Dabei haben wir erst vor zwei Wochen alles abtransportiert“, schimpft er. Vor dem Beginn der Saison Anfang April graust ihm. „Wer bezahlt die Ausfälle, wenn die Touristen ausbleiben? Für die Boote, die leiden, die Stege? Was wird, wenn der Wasserspiegel sinkt, wie immer im Frühjahr?“ Bei einer Glühweinfahrt im Dezember habe er den Kahn mit Stricken über eine Schlammbank ziehen müssen. Früher sei man noch wie wie über ein Aquarium geglitten, „sah die Fische, die Kriechtiere krabbeln“ Alle erstickt. „Hier ist es längst zehn nach zwölf.“ Am schlimmsten aber findet Rosenberger, dass absehbar war, was passiert. Dass man hätte wissen können, was mit dem steigenden Grundwasser ausgeschwemmt wird, aber nichts unternahm. Überall im Spreewald hört man das so. Und mit jedem Tag wächst das Unverständnis, dass es so lange dauert, bis etwas getan wird. Dass die Grubenreinigungsanlagen nicht längst reaktiviert sind, als Absetzbecken, um die Fließe vor dem Spreewald zu reinigen. Dass der Schlamm aus der Wudritz nicht ausgebaggert wird.

Der Zorn richtet sich gegen die Lausitzer-Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV), eine Bundesfirma, zuständig für alle Übel und Probleme, die mit stillgelegten DDR-Tagebauen zu tun haben. Die Zentrale sitzt in einem Neungeschosser aus DDR-Zeiten am Stadtrand von Senftenberg. „Ja, wir wussten, dass es kommt. Aber wir wussten nicht, in welchen Abschnitten, in welcher Intensität. Genauere Prognosen waren einfach nicht möglich“, versichert Vorstandschef Mahmut Kuyumcu, 66 Jahre, ein türkischstämmiger Deutscher, der früher eine Goldmine geleitet hat, im Kalibergbau tätig war, und seit 2001 dieses Unternehmen führt, das sich gern auf seine Pionierleistung beruft. Als Bauherr des „Lausitzer Seenlands“, der größten Landschaftsbaustelle Europas, bei der 30 ehemalige Tagebaugruben geflutet werden, und am Ende, „von Menschenhand geschaffen, die Seenfläche Deutschlands um ein Fünftel vergrößern wird“, wie er sagt. Und obwohl da inzwischen alles teurer wird, länger dauert, Böschungen und Kippen rutschen, fast ein Drittel der Flächen zum Sperrgebiet erklärt werden mussten, die Seen oft essigsauer sind, und nun auch noch das Rostwasser dazukommt, hat Kuyumcu seinen Glauben nicht verloren, dass der Mensch, dass Ingenieurkunst im Ringen mit der Natur obsiegen, selbst die Folgen der Kohle beherrschen kann. „Manchmal gibt es Kenntnislücken. Die muss man schließen. Für jedes Problem gibt es eine Lösung.“ Auch für den Spreewald? Ja, sagt Kuyumcu. Im Frühsommer soll das Programm für die hydraulische Schutzbarriere starten, mit Setzungsgräben, den reaktivierten Grubenwasserreinigungsanlagen. Schneller gehe es nicht, Aktionismus nütze niemandem. „Noch in diesem Jahr wird es deutliche Verbesserungen geben. Es ist unser festes Ziel, dass der Spreewald nicht beeinträchtigt wird.“ Das Versprechen klingt wie eine letzte Dienstanweisung, Ende 2013 wird er in den Ruhestand gehen. Kuyumcu heiße auf Türkisch Goldschmied, sagt er, sein Vater, bei dem er in die Lehre ging, sei einer gewesen. Da habe es Prüfsteine gegeben. Man könne ihn an seinen Worten messen. Isabell Hiekel stellt sich eher darauf ein, dass die Verockerung sie „bis ans Lebensende“ begleiten wird.

„Man hat den Eindruck, es quillt aus allen Poren. Aber es gibt ganz praktische Lösungen, die man wirklich schnell umsetzen kann, die wirken“, meint hingegen Christine Clausing, 48, die mit ihrem Mann vor fast zwanzig Jahren in Bayern alle Zelte abbrach, um in Burg mitten im Spreewald das Wellness-Hotel „Zur Bleiche“ aufzubauen. Damals hatten sie acht Mitarbeiter, zwei Restaurants, 16 Zimmer; heute 90 Zimmer, 180 Mitarbeiter, das Flaggschiff-Hotel im Spreewald. Clausing war von Anfang an bei der „Klaren Spree“ dabei, die regelmäßig in der „Bleiche“ tagt. Eine Bitte hat sie. „Es ist ein sensibles Thema, man darf nichts verschweigen. Aber die Leute sollen auch wissen: Der Spreewald innen ist noch intakt.“ Und damit das auch so bleibt, ist Clausing radikaler als viele andere in der Lausitz. Dass selbst jetzt, da die Spätfolgen des Bergbaus den Spreewald treffen, „die Kohlepolitik immer noch eine heilige Kuh ist“, dass auch das Aktionsbündnis sich aus Sorge vor einer Zerreißprobe scheut, die Grundsatzfrage zu stellen, ob weitere Kohleförderung langfristig zu einer noch größeren Katastrophe führt, bringt die Hotelchefin regelrecht in Rage. „Wenn wir die Probleme kennen, können wir doch nicht sehenden Auges weitermachen“. Sie wundert sich, dass Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), der bei Fluten früher immer zuerst auf den Dämmen stand, bislang abgetaucht ist, sich auch von seinen Ministern keiner blicken ließ. Neue Tagebaue? Nein, sagt Clausing. Die Kohle sei endlich, der Tourismus nur dann, wenn die Natur Schaden nimmt. Zumal in der Spree, die vom Spreewald nach Norden zieht, längst die nächsten Probleme mitschwimmen. Sulfat, in unkritischen Dosen noch, aus aktiven Tagebauen des Vattenfall-Konzerns. „Ich kann nur sagen: Wacht auf Berliner, kümmert euch um euer Trinkwasser!“ Tatsächlich steigen, so steht es in einer Studie Brandenburgs, die Sulfat-Konzentrationen „bis 2018 auf einen Höchststand“. Das lasse „befürchten, dass die kritische Schwelle der Sulfatkonzentration im Zulauf nach Berlin in wenigen Jahren zumindest zeitweilig überschritten werden könnte.“ Also hat man gleich mal durchgespielt, wie das zu verhindern wäre, nämlich, indem man die Spree vor Berlin mit umgeleitetem Wasser aus der Oder verdünnt. Und, weil selbst das wahrscheinlich nicht reicht, man vorher noch Spreewasser in die Dahme abführt. Und das alles wegen der Braunkohle, sagt Christine Clausing. „Das ist doch völlig irre.“

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