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Wer zu spät kommt ... Zu den Stoßzeiten ist in der wichtigsten Pendler-Bahn in der Haupstadtregion, dem RE1, oftmals Stehen angesagt.

© Sebastian Gabsch

Verkehr in Brandenburg: Voll, voller, VBB

Das Leid der Pendler wächst, die Züge sind voll, am Morgen und nach Feierabend. Trotzdem werden Planungsfehler der Vergangenheit gerade wiederholt.

Berlin/Potsdam - Es wird meist als gute Nachricht intoniert, wenn die Verkehrsunternehmen in Berlin und Brandenburg aktuelle Fahrgastzahlen bekanntgeben. Demnächst sind die Bilanzen für 2017 fällig – und neue Rekorde in Sicht. Nur sind die Zeiten, in denen Fahrgäste sich über die auch dank ihrer Beteiligung vollbrachten Zuwächse freuen konnten, vorbei. Weil man im Regionalexpress nicht mehr nur in der Berliner City steht, sondern gleich bis Falkensee oder Frankfurt. Weil der überfüllte Bus die Türen nicht mehr schließen kann, weil einem in der Tram beinahe die Luft wegbleibt, weil der Koffer nicht mehr in die S-Bahn passt, weil die Menschenmassen einen fast von der Bahnsteigkante aufs U-Bahn-Gleis schieben. Von Reisenden mit Kinderwagen, Rollator oder Rollstuhl nicht zu reden.

1,06 Milliarden Fahrgäste hat der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) im Jahr 2000 gezählt. Diesen Wert dürfte die BVG im Jahr 2017 ganz allein erreicht haben. Die S-Bahn hatte damals 288 Millionen Passagiere und dürfte 2017 ein Stück über 430 Millionen gelandet sein. Die Gesamtzahl der Fahrgäste in den 39 Mitgliedsunternehmen des VBB wuchs allein während der vergangenen beiden Jahre um mehr als fünf Prozent.

Wenn das Angebot nicht mitwächst

Das wäre zu verkraften, wenn das Angebot sich ähnlich entwickeln würde – aber das tut es nicht. Die BVG ruckelt ihr Angebot nach dem Prinzip der zu kurzen Bettdecke alle halbe Jahre zurecht und kämpft mit großem Personal- und Materialeinsatz ums Weiterleben ihrer greisen U-Bahnen. Weil Hersteller Siemens gegen eine Auftragsvergabe der BVG ohne Ausschreibung an den Konkurrenten Stadler geklagt hat, wird sich die Leidenszeit der Fahrgäste womöglich um Jahre verlängern. Bus- und Tramflotte kann die BVG zwar sukzessive erneuern, aber auch da wächst der Andrang schneller als der Fuhrpark. Ein Indiz sind die „100-Prozent-Meldungen“, mit denen Fahrer die Leitstelle informieren, dass ihr Fahrzeug überfüllt ist. Mehrere 1000 sind es inzwischen jeden Monat – je ungemütlicher das Wetter, desto mehr. Und kurzfristige Abhilfe ist mangels Kapazität meist gar nicht mehr machbar.

Die S-Bahn hat, inklusive der vom Schrottplatz geretteten DDR-Fahrzeuge, 650 Doppelwagen, von denen sie aber wegen technischer Probleme und regulärer Wartungsarbeiten immer nur reichlich 500 einsetzen kann. Deshalb fallen seit Monaten sowohl die Verstärkerzüge für die S1 und die S5 im Berufsverkehr aus als auch einzelne Fahrten auf anderen Linien, besonders oft auf der S26 und der S45. Spürbare Besserung ist erst ab 2021 zu erwarten, wenn die ersten der bereits bestellten Neufahrzeuge ausgeliefert werden sollen. Allerdings müssen danach zumindest die DDR-Oldies tatsächlich ausrangiert werden. Für die West-Berliner Baureihe 480 werden teure lebensverlängernde Maßnahmen zurzeit geprüft.

Schon jetzt am Kapazitätslimit

Beim Regionalverkehr haben sich die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg wie berichtet gerade auf ein Sofortprogramm geeinigt, um die allergrößte Not zu lindern. Aber auch hier scheitern grundsätzliche Verbesserungen, solange beispielsweise Falkensee und Kleinmachnow nicht am S-Bahn-Netz hängen. Denn vor allem in Ost-West-Richtung sind die Fernbahntrassen schon jetzt am Kapazitätslimit.

Komplett wird die Misere dadurch, dass wegen seit Jahren wachsender Pendlerzahlen auch die Ausfallstraßen verstopft sind – und der massenhafte Umstieg der Autofahrer auf den öffentlichen Nahverkehr zwar politisch gewünscht ist und ökologisch sinnvoll wäre, aber aus mehreren Gründen kaum möglich ist: Längst nicht in allen Umlandgemeinden sind die Bahnhöfe gut ohne Auto erreichbar, und riesige Pendlerparkplätze am Bahnhof würden manche Gemeinde stadtplanerisch ruinieren.

Der Fahrgastverband Pro Bahn warnt, dass die aktuellen Probleme gerade für die nächsten Jahrzehnte zementiert werden: Die zurzeit laufende Ausschreibung für fast zwei Drittel des Regionalverkehrs von Ende 2022 bis 2034 basiere wiederum auf dem aktuellen Bedarf. Damit werde derselbe Fehler wiederholt, der bei der 2008 vollzogenen Ausschreibung des aktuellen, bis 2022 bestellten Angebots gemacht worden sei.

Die politische Verantwortung für die Misere verteilt sich auf mehrere Schultern

„Damals konnte man sich das Wachstum des Regionalverkehrs offenbar nicht vorstellen und hat ungenügende Kapazitäten und zu wenige Züge bestellt“, heißt es bei Pro Bahn. Der Verband fordert, die laufende Ausschreibung abzubrechen und auf Basis aktuellerer Daten neu zu starten.

Die politische Verantwortung für die Misere trifft viele: Frühere Berliner Senate, die die Beschaffung neuer S-Bahn- Züge und U-Bahn-Wagen jahrelang verschleppt haben, sind ebenso zu nennen wie die Brandenburger Landesregierung, die den Ausbau des S-Bahn-Netzes blockiert hat und nach Angaben von Pro Bahn nur gut 70 Prozent der vom Bund für den Regionalverkehr bereitgestellten Mittel auch wirklich für Leistungen auf der Schiene ausgibt.

Vielleicht läuft es am Ende wirklich auf den Bau von Radschnellwegen hinaus. Zumindest ist diese Option bisher nicht ausgereizt.

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