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Hilferuf in Potsdam. Eine Gruppe der religiösen Minderheit der Jesiden war im Mai 2017 zu Gast bei einer Sitzung des Landtages und sprach über den Völkermord an den Jesiden im Irak durch den IS.

© Bernd Settnik/dpa

Verfolgt, versklavt, vergessen: Brandenburg nimmt 60 jesidische Frauen und Kinder auf

Rot-rote Landesregierung will nach erstem Zögern nun bis zu 60 jesidische Frauen und Kinder aus dem Nordirak in Brandenburg aufnehmen. Sorge um die Situation der Minderheit im syrischen Afrin.

Potsdam- Das Land Brandenburg will 30 Jesidinnen sowie ihre Kinder, insgesamt also bis zu 60 Angehörige der religiösen Minderheit, aufnehmen. Die ersten Flüchtlinge aus dem Nordirak, die von Islamisten verfolgt werden, könnten im Sommer aufgenommen werden, wie Staatssekretär Martin Gorholt (SPD) am Montag sagte. Die Frauen, die teils in der Gefangenschaft des Terrornetzwerks Islamischer Staat waren und von diesem als Sexsklavinnen gehalten wurden, sollen nicht in regulären Heimen für Asylsuchende untergebracht werden, sondern in für sie reservierten, speziellen Häusern im Land. Zwei Städte in Brandenburg kämen für die Aufnahme in Frage, so Gorholt, der für die Koordinierung des Programms zuständig ist. Zum Schutz der oft schwer traumatisierten Flüchtlingsfrauen soll geheim bleiben, welche Orte das sind.

Zudem will das Bundesland humanitäre Hilfe vor Ort leisten. In den Jesiden-Gebieten im Nordirak soll ein Shelter, also eine Schutzzone für Frauen und Kinder, eingerichtet werden, in der sie betreut und versorgt werden – um dann womöglich später in Brandenburg Asyl zu suchen. Insgesamt will das Land eine Million Euro für die Unterstützung der Jesiden einsetzen. Die Kosten für das Programm wurden auf Wunsch der Linken in den Nachtragshaushalt 2018 aufgenommen.

Die rot-rote Landesregierung hat damit ihre ursprünglich ablehnende Haltung gegenüber einem Jesiden-Hilfsprogramm geändert. Der Landtag hatte im Dezember 2016 ein Sonderkontingent für die Aufnahme der Minderheit in Brandenburg beschlossen. Die Landesregierung erklärte daraufhin, dass der Landtagsbeschluss nicht umsetzbar sei und man lediglich 30 jesidische Flüchtlinge aus Griechenland ins Land holen könne.

Um das mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) abgestimmte neue Landesprogramm vorzubereiten, will Gorholt nun mit einer Delegation Anfang Mai in den Nordirak reisen. Die Lage der jesidischen Minderheit, der nach Schätzungen rund 800 000 Menschen angehören, hat sich durch die Einnahme der nordwestsyrischen Stadt Afrin durch die türkische Armee und verbündete muslimische Rebellen extrem verschlechtert, wie die seit 2011 in Deutschland lebende jesidische Ärztin und Aktivistin Melav Bari am Montag in Potsdam erklärte. Unbestätigten Berichten zufolge sollen in der Kurdenstadt Afrin in den vergangenen Tagen 17 Jesidinnen verschleppt worden sein. Jesidische Bewohner der Stadt, die zuvor lange als friedlich galt und für ein Miteinander verschiedener Religionen stand, seien aus Angst um ihr Leben in Bergregionen geflüchtet – und nun abgeschnitten von Wasserversorgung und jedweder Hilfe, schilderte Bari, die in der Stadt Verwandte hat. Für Hilfsorganisationen sei derzeit kein Durchkommen – zumal die Weltgemeinschaft bislang gar keine Notiz von Afrin nehme. Holger Geisler, ehemaliger Sprecher des Zentralrats der Jesiden und Herausgeber der Zeitschrift „Lalish Dialog“, betonte in Potsdam: Nach dem Genozid an den Jesiden durch den IS am 3. August 2014 im nordirakischen Sindschar habe die Bundesregierung versprochen, dass so etwas künftig verhindert werde – nun drohe sich das Verbrechen in Afrin zu wiederholen.

Die Linke-Landtagsabgeordnete Andrea Johlige, die sich für das Hilfsprogramm eingesetzt hatte, nannte es wie Bari empörend, dass die Bundesregierung das Agieren des Nato-Partners Türkei in Afrin toleriere und sogar weiter Waffen liefere. Sie forderte die anderen Bundesländer auf, sich an dem Hilfsprogramm für Jesiden zu beteiligen. Baden-Württemberg hatte zuvor rund 1100 jesidische Frauen und Kinder aufgenommen, Niedersachsen 100 und Schleswig-Holstein 30. In Deutschland lebt mit geschätzt 100 000 Mitgliedern die größte Diasporagemeinschaft der Jesiden.

„Es ist zu begrüßen, dass sich die Landesregierung endlich auf den Weg gemacht hat, das vom Landtag geforderte Aufnahmeprogramm zu verwirklichen“, erklärte der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Axel Vogel. Der Landesregierung sei zuzugestehen, dass eine schwierige außenpolitische Lage und die Abstimmung mit dem Außenministerium in Berlin den Umsetzungsprozess verkompliziert hätten. Die Not der Opfer des IS sei aber unvermindert groß, so Vogel. Die Grünen erwarteten deshalb von der Landesregierung mehr Nachdruck bei der Umsetzung des Landtagsbeschlusses. Die Aufnahme von 30 bis 60 Jesidinnen, die untergebracht und psychosozial betreut werden, könne nur ein erster Schritt sein. 

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