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Brandenburg: „Verfassungsschutz wird benötigt wie die Feuerwehr“ Linke-Bundestagsabgeordneter Wolfgang Neskovic zur geforderten Abschaffung des Nachrichtendiensts

Herr Neskovic, Teile der Linken fordern in Brandenburg die Abschaffung der Verfassungsschutzabteilung des Innenministeriums. Ist dies sinnvoll?

Herr Neskovic, Teile der Linken fordern in Brandenburg die Abschaffung der Verfassungsschutzabteilung des Innenministeriums. Ist dies sinnvoll?

Diese Forderung kann ich verstehen. Der Verfassungsschutz hat in der Vergangenheit krass versagt. Zuletzt bei der Mordserie der rechtsterroristischen NSU. Auch die Beobachtung linker Bundestagsabgeordneter ist skandalös. Deswegen darf der Verfassungsschutz sich auch nicht wundern, wenn seine Arbeit in der Öffentlichkeit pointiert zusammengefasst wird: Rechts blind, links blöd. Es gibt jedoch keinen Grund, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Wir schaffen ja auch nicht die Feuerwehr ab, wenn sie bei der Brandlöschung versagt, weil sie sich mit sachfremden Aufgaben beschäftigt hat. Wir benötigen die Feuerwehr, weil es brennen kann und jemand löschen muss. Wir benötigen einen Verfassungsschutz, weil die Verfassung echte Feinde hat, vor der sie geschützt werden muss. Wir können die Aufgabe, die Verfassung zu schützen, ohnehin nicht abschaffen. Dies wäre ein Verfassungsverstoß.

Was ist dann die Konsequenz?

Wir können und müssen den Verfassungsschutz jedoch gründlich evaluieren und umfassend reformieren. Wir müssen den Mythos des Geheimen durchbrechen. Bislang fehlt für die Effizienz des real existierenden Verfassungsschutzes jeder plausible Nachweis. Nicht einmal das Parlament kann zuverlässig einschätzen, welchen Beitrag die Nachrichtendienste zur Sicherheit der Bundesrepublik überhaupt leisten. Deshalb bedarf es endlich einer unabhängigen Auswertung auf Bundes- und Länderebenen. Neben Effizienz der Strukturen, Aufgaben, Arbeitsweisen, Befugnisse, Mittel und Methoden der Nachrichtendienste ist dabei auch deren Demokratie- und Bürgerrechtsverträglichkeit in den Blick zu nehmen.

Es wird in Ihrer Partei gesagt, die Staatsschutzdienststellen der Polizei könnten ja Aufgaben übernehmen. Geht das?

Nein. Das geht nicht. Dem steht das Trennungsgebot entgegen. Das Prinzip stammt aus dem Polizeibrief der Alliierten und gilt heute als deutsches Recht fort. Es verbietet eine Vermischung polizeilicher und geheimdienstlicher Aufgaben. Diese Trennung ist auch richtig. Eine allmächtige Polizei, die alles wissen darf und dazu noch sämtliche Vollzugsbefugnisse besitzt – Festnahme, Durchsuchung, Beschlagnahme –, passt nicht in einen demokratischen Rechtsstaat.

Nach der Überzeugung des Bundesinnenministers lehnen Teile der Linke das Grundgesetz ab.

Der Bundesinnenminister weiß ganz genau, dass zum Beispiel die Forderung nach einem anderen Wirtschaftssystem keinen Verstoß gegen das Grundgesetz darstellt. Das Grundgesetz schützt nicht den Kapitalismus. Es schützt die Demokratie, den Rechtsstaat, die Freiheitsrechte, den Föderalismus und das Sozialstaatsgebot. Wenn der Bundesinnenminister das Gegenteil öffentlich erklärt, dann versteht er weder die Verfassung noch die entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Mit der Beobachtung der Partei die Linke kommt es ihm ganz offensichtlich nicht darauf an, die Verfassung zu schützen, sondern die parteipolitischen Interessen der CDU/CSU im politischen Meinungskampf wahrzunehmen. Mit der Zweckentfremdung des Verfassungsschutzes zur Stigmatisierung des politischen Gegners begeht er selbst Verfassungsbruch.

Die Empörung bei vielen Parteimitgliedern ist groß wegen der Überwachung von Mandatsträgern. Wie soll die Linke darauf reagieren?

Die Linke wehrt sich mit rechtsstaatlichen Mitteln. Zurzeit gibt es drei Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, die noch in diesem Jahr entschieden werden sollen. In diesen Verfahren werden die Richter klären, ob der Verfassungsschutz tatsächlich berechtigt ist, Dossiers anzulegen und Zettelkästen über öffentliche Verlautbarungen unserer Mandatsträger zu führen. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit unseren Klagen Erfolg haben. Es ist vorstellbar, dass dabei auch die geltende Rechtslage durch den Bundestag geändert werden muss. Für den massiven Eingriff in das durch das Grundgesetz geschützte freie Mandat gibt es bislang keine ausdrückliche Gesetzesgrundlage. Es liegt daher nahe, dass das Bundesverfassungsgericht allein schon wegen dieser fehlenden Rechtsgrundlage die Verfassungswidrigkeit einer Abgeordnetenbeobachtung feststellt.

Wie sind die eigenen, ganz persönlichen Erfahrungen mit den Nachrichtendiensten?

Meine Erfahrungen im Umgang mit diesen Diensten speisen sich aus meiner Tätigkeit in dem entsprechenden Kontrollgremium des Deutschen Bundestages und aus der Arbeit als Obmann meiner Fraktion im sogenannten BND-Untersuchungsausschuss. Zu Beginn meiner Kontrollarbeit habe ich mir als bislang einziger Abgeordneter vor Ort bei den Geheimdiensten in der Form von Praktika einen persönlichen Eindruck von ihrer Arbeit verschafft. Insbesondere beim Bundesverfassungsschutz habe ich auch noch Mitarbeiter getroffen, die sich vom Feindbild des Kalten Krieges noch nicht gelöst haben. Ich habe jedoch auch andere Begegnungen gehabt, die nicht dem allgemeinen Feindbild entsprechen. Diese Leute hätten sicherlich nichts dagegen, wenn sie besser durch Regierung und Parlament kontrolliert und von überflüssigen Aufgaben – wie zum Beispiel der Beobachtung der Linken – zukünftig befreit werden.

Das Interview führte Johann Legner

Wolfgang Neskovic, 63, parteilos, Ex-Richter am Bundesgerichtshof, direkt im Wahlkreis Cottbus gewählter Abgeordneter der Linke-Bundestagsfraktion, Experte für Nachrichtendienste

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