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Gefordert. Karl-Heinz Schröter (SPD, l), Frank Nürnberger. ]

© N. Bachmann/dpa / ]

Verfassungsschutz in Brandenburg: Besondere Bedrohungslage

Brandenburgs Verfassungsschutz ist gefordert wie nie – das zeigt der aktuelle Bericht. Die Zahl der Gefährder im Land ist gestiegen - von Rechts wie von Links.

Potsdam - Seit 1. Februar ist Frank Nürnberger Chef des Brandenburger Verfassungsschutzes. Der 46-Jährige war zuvor Leiter der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt. Er übernahm den Nachrichtendienst in einer schwierigen Phase: Die Behörde hat mit wenig Personal vielfältige Bedrohungslagen zu bewältigen. Die PNN geben einen Überblick über die wichtigsten Befunde des Verfassungsschutzberichtes 2017.

Rechtsextremismus

Im Jahr 2017 wurden in Brandenburg 1540 Personen gezählt, die dem rechtsextremistischen Spektrum angehören – ein Plus von 150 im Vergleich zu 2016 und der zweithöchste Stand seit 1993. Erstmals seit 2014 waren die rechtsextremistisch motivierten Gewaltstraftaten aber rückläufig. Seit Zuspitzung der Flüchtlingskrise 2015 entwickle sich in der rechten Szene in Brandenburg eine „hohe Dynamik“, sagte Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes am Donnerstag in Potsdam. Es gebe gezielte Versuche von Rechtsextremisten, Bündnisse mit bürgerlichen Milieus einzugehen. Dadurch entstünden „problematische Mischszenen“.

Zugenommen hat dabei nach Angaben von Verfassungsschutzchef Frank Nürnberger der Einfluss der stramm neonationalistisch ausgerichteten Organisation „Der III. Weg“. Die Kleinpartei hat zwar in Brandenburg weiterhin nur 30 Mitglieder und drei Stützpunkte („Uckermark“, „Potsdam/Mittelmark“ und „Mittelmark/Havel“), ihre Aktivitäten und ihr Einfluss auf die gesamte rechtsextremistische Szene haben aber spürbar zugenommen.

Die NPD hingegen ist laut Nürnberger mit ihrer 2014 breit angelegten, fremdenfeindlichen Anti-Asyl-Kampagne in Brandenburg gescheitert, die Aktivitäten der Partei seien 2017 weitgehend eingebrochen, sie zählte noch 280 Mitglieder.

Rund zwei Drittel der dem Verfassungsschutz bekannten Rechtsextremisten sind nicht in Parteien oder parteiunabhängigen Strukturen wie der „Identitären Bewegung“ eingebunden. Bemerkenswert ist laut Nürnberger, dass „neue“ Rechtsextreme nicht auf den ersten Blick als Neonazis erkannt werden wollen. Sie seien teils gekleidet wie Autonome, als gehörten sie zur „Hipsterkultur“.

Reichsbürger

Die Zahl verfassungsschutzrelevanter Reichsbürger und Selbstverwalter, die die Existenz der Bundesrepublik und deren Rechtssysteme ablehnen, ist 2017 auf 560 angewachsen, eine Zunahme um 120 Personen. Anfang Juni, bei der Vorstellung eines Handbuchs zum Umgang mit Reichsbürgern, gab der Verfassungsschutz deren aktuelle Zahl wie berichtet bereits mit 600 an, das heißt die Szene wächst weiter. Ein Grund für die gestiegenen Zahlen sei aber auch, dass Kommunen inzwischen besser über die Selbstverwalter Bescheid wissen und Vorfälle auf Ämtern eher meldeten.

Linksextremismus

Im Linksextremismus ist das sogenannte Personenpotenzial zum vierten Mal in Folge gestiegen und lag 2017 bei 520. Erneut zugenommen hat laut Verfassungsschutzbericht die Zahl gewaltbereiter Autonomer auf jetzt 220, während linksextremistisch motivierte Gewaltstraftaten von 53 auf 24 gesunken sind. Demonstrations- und Blockadetrainings „dienten zum wiederholten Male der Szene-Professionalisierung“, so der Verfassungsschutz. Damit nehme die Gefahr zu, dass in einschlägigen Rückzugsräumen Aktionen gegen den politischen Gegner und die Polizei geplant werden. Gewalt gegen Polizisten sei zunehmend ein Problem, so Nürnberger. Teils würden Beamte „krankenhausreif geprügelt“, was dann unter dem Begriff „Bullenschupsen“ verharmlost werde.

Auf einen erneuten Höchststand ist die Mitgliederzahl des Vereins „Rote Hilfe“ angewachsen, der wegen der Mitgliedschaft des Potsdamer Bundestagsabgeordneten Norbert Müller (Linke) immer wieder Thema in der politischen Debatte ist. Der Verein, der sich laut Verfassungsschutzbericht unter anderem um Rechtsbeistand für linksextremistische Gewalttäter kümmert, zählte Ende 2017 in Brandenburg 225 Mitglieder.

Islamischer Extremismus

Unter „Ausnutzung der Flüchtlingslage“ seien auch islamistische Extremisten nach Europa eingesickert, erklärte Innenminister Schröter. Einige von ihnen verfügten mit hoher Wahrscheinlichkeit über Kampferfahrungen als Dschihadisten, sie seien oft „verroht und extrem gewaltbereit“, zudem bestehe die Befürchtung, dass sie Erfahrungen im Umgang mit Sprengstoff hätten. Konkrete Hinweise auf einen Anschlag in Brandenburg habe es bislang aber nicht gegeben, der Verfassungsschutz spricht von einer „abstrakten Gefährdung“. Die Zahl islamistischer Extremisten ist im Jahr 2017 auf 130 gestiegen, 30 mehr als ein Jahr zuvor.

Organisatorisch sind in Brandenburg legalistische islamistische Extremisten unter dem irreführenden Namen „Sächsische Begegnungsstätte“ (SBS) vertreten. Die SBS wird der islamistisch-extremistischen „Muslimbruderschaft“ zugerechnet. Zielgruppe sind vor allem Zuwanderer. „Die SBS nutzt gezielt den Bedarf der hier lebenden Muslime nach Gelegenheiten zum Gebet aus. Ebenso will sie bereits auf Kinder ideologisch einwirken“, warnte Schröter. In Brandenburg/Havel unterhält die Organisation bereits einen Gebetsraum, in Senftenberg und Luckenwalde sind weitere Räume geplant.

Zuverlässigkeitsprüfungen

Für die märkischen Verfassungsschützer wäre es besser, wenn der Flughafen BER nicht eröffnet. Denn sobald der Airport Tegel schließt, ist der Verfassungsschutz Brandenburg nahezu allein für den BER in Schönefeld zuständig – was das Arbeitsaufkommen bei Zuverlässigkeitsprüfungen erhöhen wird. Durch Datenbankpflege und -abgleich soll verhindert werden, dass bekannte Extremisten beruflichen Zugang zum Sicherheitsbereich von Flughäfen bekommen oder Asylunterkünfte bewachen. 2017 gingen insgesamt 7155 solcher Anfragen beim Verfassungsschutz ein – 2151 mehr als ein Jahr zuvor. „Diese Zahl wird deutlich nach oben schnellen, wenn Tegel schließt“, heißt es.

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