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Die Weichen sind gestellt. Begleitet von Protesten stimmte der Braunkohle-Ausschuss des Landes Brandenburg am Montag in Cottbus für die Erweiterung des Tagebaus Welzow-Süd.

© Patrick Pleul/dpa

Vattenfall baggert in Brandenburg: Horno ist längst vergessen

Ein denkwürdiger Tag für Brandenburg: Der Braunkohle-Ausschuss beschließt den Aufschluss eines neuen Tagebaus und die Umsiedlung von 800 Menschen. Umweltministerin Tack drückte sich und Vattenfall schickte Hunderte Mitarbeiter – dienstlich

Dass die Messehalle in Cottbus am Montag so voll war – dafür hatte Vattenfall gesorgt: Der Energiekonzern gab vorsorglich einem Teil der Belegschaft frei und delegierte ihn zur Sitzung des Braunkohlen-Ausschusses. Zusammen mit den Vertretern der Gewerkschaft IG BCE waren die Befürworter der Bergbau-Industrie so deutlich im Zuschauerbereich in der Mehrheit: Das zeigte sich bei jedem Applaus der Vattenfaller für braunkohlefreundliche Wortmeldungen. Gegner beschwerten sich über die „Claqueure“ des schwedischen Staatsunternehmens.

Der Ausschuss stellte am Montag die Weichen für den neuen Braunkohle-Tagebau Welzow-Süd II. Nach fast siebenjährigen, zähen Verhandlungen gab der Braunkohle-Ausschuss des Landes Brandenburg grünes Licht für den neuen Tagebau an der Grenze zu Sachsen. Mehrere Hundert Menschen nahmen an der öffentlichen Anhörung teil, über Stunden wurde hitzig debattiert.

Vattenfall will die Grube in Welzow großflächig erweitern, um dort zusätzliche 200 Millionen Tonnen Braunkohle zu fördern. Nach der Empfehlung des Ausschusses will die rot-rote Landesregierung die Angelegenheit nun rasch unter Dach und Fach bringen – auch wenn sich das Land, das sich gerne als Vorreiter bei der Energiewende darstellt, dann wohl von den eigenen Klimazielen verabschieden muss, wie selbst Regierungsmitglieder inzwischen zugeben. Schon im März hatte Sachsen die Ausdehnung des Tagebaus Nochten genehmigt. Nun wird das Kabinett von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) noch vor der Landtagswahl im September 2014 den Braunkohleplan beschließen.

Vor der Abstimmung trafen im Ausschuss Befürworter und Gegner noch einmal frontal aufeinander. Heimat werde „verheizt“, beklagten die verzweifelten Einwohner von Welzow, von denen sich mehr als 800 Menschen vor allem im Ortsteil Proschim auf eine Zwangsumsiedlung einstellen müssen. Der Tagebau-Erweiterung fehle jegliche energiepolitische Notwendigkeit, erklärten die Vertreter von Greenpeace und anderen Umweltverbänden.

Vertreter von Vattenfall und aus der Kommunalpolitik betonten noch einmal, wie wichtig der Bergbau mit seinen vielen Arbeitsplätzen für die ansonsten strukturschwache Lausitz sei: „Es gibt keinen Plan B“, rief ein Cottbuser Stadtverordneter. Es ist ein Streit, bei dem es letztlich keinen Kompromiss geben kann.

Zwei Ideologien prallen aufeinander: Auf der einen Seite stehen die Braunkohle-Gegner, die auf die Energiewende und vorhandene Alternativen wie die Windenergie verweisen. Auf der anderen Seite sind die Braunkohle-Befürworter, die paradoxerweise ebenfalls mit der Energiewende argumentieren: Diese könne nämlich nur mit der Braunkohle als Brückentechnologie gelingen, ist sich Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sicher.

Hier den Überblick zu behalten, ist selbst für Experten schwierig. Es gibt Gutachten und Gegen-Gutachten. Eine Expertise im Auftrag von Umweltministerin Anita Tack (Linke) war zu dem Schluss gekommen, dass Brandenburg keine neuen Braunkohle-Tagebaue für die Energieversorgung aufschließen muss – und dass mit einem neuen Tagebau die Klimaschutzziele in der Energiestrategie 2030 der Landesregierung über 2030 hinaus nicht zu erreichen wären.

Anlass für dieses Gutachten war eine Studie im Auftrag von Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke). Die erste Fassung des Gutachtens war von den Fachleuten des Umweltressorts wegen angeblich falscher Annahmen in der Studie abgelehnt worden. Doch auch das zweite Gutachten kam zu demselben Ergebnis: Demnach ist die Braunkohle aus dem vom Energiekonzern Vattenfall geplanten Tagebau Welzow-Süd II langfristig für die Energieversorgung notwendig. Angefordert hatten das Gutachten beim Wirtschaftsministerium die Gemeinsame Landesplanungsbehörde, nachdem bei einer Anhörung im Herbst 2012 die energiewirtschaftliche Notwendigkeit von Welzow-Süd II völlig in Zweifel stand. Der erste Entwurf des Braunkohlenplans für Welzow-Süd II musste wegen schwerwiegender Mängel überarbeitet werden.

Dennoch kam der von Christoffers beauftragte Gutachter zu dem Ergebnis, dass die Bedeutung der Braunkohlekraftwerke in der Lausitz für die nationale Versorgungssicherheit und Systemstabilität künftig noch zunehmen werde.

Und auch trotz der festgestellten Mängel und trotz der deutschlandweit einmaligen Rekordsumme von über 120 000 Einwendungen wurde der Planentwurf kaum überarbeitet. Auf die Kritik sei die Gemeinsame Landesplanungsabteilung Berlin-Brandenburg kaum eingegangen, sagte Thomas Burchardt, der die sorbische Minderheit im Ausschuss vertritt. Welzows Bürgermeisterin Birgit Zuchold sagte: „Keine der recht konkreten Forderungen der Stadt Welzow wurden in den Braunkohlenplan eingearbeitet.“ Welzow drohe durch den Tagebau ein massiver Einwohnerverlust und Verlust an Lebensqualität, sagte Zuchold.

Wirtschaftsminister Christoffers bekräftigte dennoch in der Messehalle, dass es nach derzeitigen Erkenntnissen keine Grundlage gibt, auf die Inanspruchnahme des Tagebaus Welzow verzichten zu können. Umweltministerin Tack verzichtete auf eine Gegen-Rede, indem sie erst gar nicht zur Sitzung des Braunkohleausschusses anreiste. Tack habe sich aus „terminlichen Gründen“ entschuldigt, erklärte der Ausschuss-Vorsitzende. Damit ging sie der offenen Konfrontation mit ihrem Genossenen, aber auch mit den Vertretern des Koalitionspartners SPD aus dem Weg – und beugte sich damit der Linie von Ministerpräsident Woidke.

So geht der Riss nicht nur durch die Bevölkerung, sondern durch die Landesregierung selbst. Noch vor der Sommerpause will Rot-Rot entscheiden, die Zustimmung zur Tagebau-Erweiterung gilt aber nur als Formsache. Der Ausschuss-Vorsitzende schloss die 82. Sitzung am Montag nach sieben Stunden mit einem beherzten „Glück auf“.

Für 800 Menschen im Welzower Ortsteil Proschim, die sich nun auf eine Zwangsumsiedlung einstellen müssen, aber auch für mehrere Unternehmen musste es wie Spott klingen. Sie hatten bereits vor Jahren begonnen, in ihre Häuser und Firmen zu investieren. Denn sie hatten auf den früheren Ministerpräsidenten Manfred Stolpe vertraut. Der hatte in den 1990er-Jahren versprochen, nach Horno werde in Brandenburg kein weiteres Dorf für die Braunkohle abgebaggert. 2005 wurde es abgerissen, die Kirche gesprengt, der Kampf der Bewohner wurde zum Symbol für den Widerstand in der Lausitz gegen die Abbaggerung von Braunkohle, gegen die Zerstörung ganzer Landschaften. Jetzt könnte Proschim zum neuen Symbol werden. Und Vattenfall will noch mehr. Für den Tagebau Jänschwalde-Nord sollen drei Dörfer weichen: Atterwasch, Grabko und Kerkwitz. 900 Menschen sind dort betroffen.

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