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Urteile über Altanschließer in Brandenburg: Anschlussbeiträge: Freie Wähler korrigieren Woidke

Rechtswidriges Abkassieren ging auf Land zurück – entgegen Aussagen des Ministerpräsidenten

Potsdam - Die Freien Wähler im Landtag haben empört auf Aussagen von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zum Umgang mit grundgesetzwidrig von einhunderttausend Brandenburgern kassierten Beiträgen für Abwasseranschlüsse reagiert. Auf einer Pressekonferenz in Potsdam warf deren Landeschef, der Landtagsabgeordnete Péter Vida, dem Ministerpräsidenten am Dienstag vor, Kommunen und Zweckverbände bei der Bewältigung der Finanzlasten von 500 Millionen Euro im Stich zu lassen – nachdem das Bundesverfassungsgericht die von Landesregierungen, Landtagen und Landesgerichten getragene Eintreibepraxis bei Kanalisationsbeiträgen in Brandenburg seit den 1990er-Jahren gekippt hatte. Woidke hatte am Wochenende eine Kostenbeteiligung des Landes mit dem Argument abgelehnt, dass die Fehlpraxis allein „kommunale Selbstverwaltungsangelegenheit“ gewesen sei, das Land also an ihr keinen Anteil hatte.

Dabei ging nach PNN-Recherchen diese Praxis, die nach dem Versagen der Brandenburger Institutionen erst Karlsruhe korrigierte, maßgeblich auf Entscheidungen von Landesregierung und Landtag zurück. Die Äußerungen Woidkes seien „falsch, abenteuerlich und unerträglich“, sagte Vida. Es geht um immerhin rund 100 000 Besitzer von Grundstücken, die nach eineinhalb Jahrzehnten nachträglich plötzlich an Kosten für in den 1990er-Jahren gebaute überdimensionierte Klärwerke und Überlandleitungen beteiligt worden sind, obwohl sie meist bereits zu DDR-Zeiten an die Kanalisation angeschlossen waren. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2015 und einem weiteren Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg (OVG) vom Februar 2016 wird gestritten, wer für die Rückzahlung der landesweit geschätzten 500 Millionen Euro aufkommt.

Als Beweis, welchen Anteil brandenburgische Regierungspolitik an der Fehlpraxis hatte, präsentierte Vida etwa einen allgemeinen, landesweit gültigen Runderlass des Innenministeriums aus dem Jahr 2001 – („Nr. 9/2001 Rückwirkendes Inkraftsetzen von Satzungen.“) – zum Umgang mit unwirksamen Gebührensatzungen für Anschlussbeiträge, etwa wegen Form- oder Bekanntmachungsfehlern. In dieser Zeit hatte in Brandenburg eine SPD/CDU-Koalition regiert, Innenminister war Jörg Schönbohm (CDU), Woidke selbst war damals Landtagsabgeordneter, später von 2010 bis 2013 selbst Innenminister. In diesem Runderlass aus 2001 – vorangegangen war ein OVG-Urteil – hatte das Innenministerium Order ausgegeben, „um Beiträge erstmals zu erheben oder bereits ausgereichte rechtswidrige Beitragsbescheide zu heilen.“ Und zwar so: Die neue Beitragssatzung müsse „in diesem Fall rückwirkend zu dem Zeitpunkt in Kraft gesetzt werden, zu dem die betroffene Körperschaft erstmals eine Beitragssatzung in Kraft setzen wollte.“ Und: „Dieses Rückwirkungsgebot gilt selbst dann, wenn die damals erlassene Beitragssatzung aus formellen und/oder materiellen Gründen insgesamt nichtig war und niemals Rechtswirkung entfaltet hat.“ Genau diese Rückwirkung, der viele Zweckverbände folgten, hatte Karlsruhe gekippt.

Zwar verwies Woidke jetzt auch darauf, dass manche Kommunen wie etwa Potsdam von vornherein auf Anschlussbeiträge verzichteten, stattdessen die Investitionskosten komplett auf die Abwassergebühren umgelegt hätten. Doch auch dieser Flickenteppich im Land habe mit Regierungspolitik zu tun, wies Vida nach. Es habe in der Vergangenheit nämlich landesweit Vorstöße gegeben, das Altanschließerproblem durch die Umstellung auf das Gebührenmodell á la Potsdam zu entschärfen. Aber genau das sei wie in Barnim von Landräten, „und zwar in ihrer Eigenschaft als untere Landesbehörden, dem Innenministerium unterstehend, abgelehnt worden“. Noch im Oktober 2015 habe der Landtag mit den Stimmen von SPD, Linken und CDU einen Antrag der Freien Wähler abgelehnt, das nun von Woidke gepriesene Gebührenmodell landesweit einzuführen. Zwei Monate später kam das Urteil aus Karlsruhe.

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