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Zweites Zuhause. Die Berliner Heike und Tobias Müller-Deku in Diemitz.

© privat

Brandenburg: Und frühmorgens ein Fortissimo

Ein akrobatischer Fischadler, Maränen aus dem Wummsee und „Pomme de Meck“-Cider aus Diemitz – Abenteuer im Seenland

Frühmorgens um fünf ist die Welt für Wilhelm Gehrt am allerschönsten. Was für ein herrlicher Sonnenaufgang über dem Großen Zechliner See, wenn der Himmel erst in Lila, dann tiefrot und schließlich goldgelb leuchtet und die ersten Strahlen das Wasser zum Glitzern bringen. Gehrt, ein kräftiger Typ, Kurzhaarschnitt, blau-weiß gestreiftes Hemd, schwarze Gummischürze, sitzt am Heck seines Fischerkahns. Leise tuckert der Motor. In den Eichen am Ufer sind die Singvögel schon beim Fortissimo. Der Fischer hält Ausschau nach seinem Freund. Da schwebt er heran, ein kräftiger Vogel. Hakenschnabel, Flügelspanne gut 1,70 Meter. Zum Greifen nah streicht der Fischadler übers Boot. Gehrt schleudert eine Maräne hoch, eine zweiten, dritte. Der Adler fängt sie im Flug. Es ist ihr Morgenritual.

Für den 42-jährigen Fischwirt beginnt nun der alltägliche Job. Er kontrolliert Reusen und Stellnetze, holt Aale, Zander und kapitale Hechte heraus, wirft sie in ein Wasserbecken im Rumpf des Kahns. Wilhelm Gehrt lebt in Flecken Zechlin am Schwarzen See. Das hübsche Dorf liegt in einer Senke, umsäumt von Hügeln.

Gehrt betreibt dort in der zweiten Generation den Fischerhof am Ufer einer stillen Bucht. Spezialität: geräucherte Maränen. „Superlecker“, schwärmt Gehrt. Maränen gelten als die wohlschmeckendsten Süßwasserfische . Man verzehrt sie bei ihm im Strandkorb vor seinem Fischimbiss, an vier Stegen schaukeln vertäute Kanus und Hausboote. Es ist einer jener malerischen Rastplätze zum Durchatmen, von denen es auf der Kleinseenplatte zwischen Rheinsberg und der Müritz so viele gibt.

Wer in diesem wasserreichen Land wandert oder radelt, kann fast hinter jeder Wegbiegung in einen neuen See springen. Wer ein Floß oder Hausboot chartert – oder lospaddelt – dem stehen hunderte Routen über Kanäle und Seen offen. Das maritime Wegenetz ist gut ausgebaut. Es gibt auch jede Menge komfortable Marinas und Campingplätze mit Anlegestellen für Wasserwanderer. Kein Problem also, über Nacht eine Bleibe zu finden. Aber es macht ja auch Spaß, mitten auf einem See oder in stillen Buchten zu ankern, wenn der Tag langsam geht und an Deck die blaue Stunde beginnt.

„Im Traum gesehn. Das Haus am See“, singt Peter Fox. Am Ufer des Vilzsees in Diemitz haben sich Heike und Tobias Müller-Deku diesen Traum verwirklicht. Sanft fällt ihr Garten vom Haus zum Ufer ab, alte Obstbäume stehen auf der Wiese. Beide sind Berliner, wohnen in Moabit, doch 2002 verliebten sie sich in Diemitz. Heike, eine schlanke Mittfünfzigerin, arbeitet als Architektin. Er ist Anwalt, ein freundlicher Typ, Lächeln in den Augen. Sie kauften das Gehöft, restaurierten es sorgsam. Seither ist Diemitz für sie weit mehr als ein schönes Ferienziel.

Das hat mit den Besonderheiten des Dorfes, mit dessen engagierten Bewohnern und mit der Begeisterung der beiden für die Seenplatte zu tun. Mitten in Diemitz steht die barocke Backsteinkirche, arg heruntergekommen war sie bis vor einigen Jahren. Aber dann gründeten rund 50 Diemitzer gemeinsam mit dem Berliner Paar einen Förderverein, sammelten Gelder, schließlich bekam ihr Gotteshaus neue Biberschwänze aufs Dach, wurde saniert, verputzt und im Inneren hergerichtet bis zur bemalten Decke, an der Sonne, Mond und Sterne leuchten.

Längst hat das Gemeinschaftsgefühl das Dorf noch mehr in Schwung gebracht. Im Juli wird vor der Kirche ein Dorffest gefeiert, mit Tanzboden und Puppentheater. Hinter der Bühne spielen Diemitzer mit, zumal sie ja in den Geschichten selbst vorkommen. Theaterdirektoren sind Heike und Tobias Müller-Deku. Sie gestaltet die Puppen, er schreibt die Stücke.

Ein paar Schritte neben ihrem Haus am See hat im Frühjahr 2017 das Restaurant „Regulin am See“ eröffnet. Zwanzig Jahre lang stand dort der Alte Dorfkrug leer. Der Förderverein wollte das Ensemble retten, Heike Müller-Deku leitete die Sanierung, man fand einen Pächter, den Koch Manuel Regulin – der hat inzwischen schon eine Fangemeinde.

Blick auf die Getränkekarte. „Pomme de Meck“ steht ganz oben. Es ist die neueste Leidenschaft von Tobias Müller- Deku. Er stellt im ungebauten Stall englischen Cider aus Mecklenburger Äpfeln her. Immerhin 1800 Flaschen hat er zuletzt abgefüllt. Alles ist da, die Häckselmühle und Presse, Gärfässer, in denen Hefe zugesetzt wird, damit es „im Fass so richtig rauscht“. Anschließend gärt der Cider nach und wird mit Apfelsirup leicht gesüßt. Zu guter Letzt kommt ein Schuss Kohlensäure hinzu, bevor er pasteurisiert wird. Fertig ist das goldgelbe Getränk.

Plop, der Kronkorken fliegt vom Cider-Fläschchen. Der Abend senkt sich über den Vilzsee, die beiden Berliner lassen die Beine am Steg baumeln, sie geraten ins Schwärmen. Über die romantische Mirower Schlossinsel und die vielen flachen Sandstrände auf der Seenplatte, ideal für Ferien mit Kindern. Über das Flüsschen der Kanu-Abenteurer und die junge Havel im Müritz Nationalpark. Sie mäandert durch Auwälder und einsame Seen, über denen Milane und Fischadler kreisen. Deutschlands größter Nationalpark ist ein Stückchen Kanada in Mecklenburg. Ohnehin gerät man auf der Seenplatte selten ins Gedränge. Und wer sich nach Meer sehnt, kann an der Müritz bis zum Horizont übers Wasser schauen.

Zum Schluss noch ein Ausflug zu einem Gewässer, das kaum jemand kennt. Erlen und Buchen umrahmen den Großen Wummsee bei Diemitz. Stille. Der Wind treibt kleine Wellen vor sich her. Nur einer fährt hier ab und zu im Boot raus: Fischer Wilhelm Gehrt. Er fängt nicht nur den silbrig glänzenden Schatz des Sees, er kümmert sich auch darum, dass der Fischreichtum der Region erhalten bleibt. Sechs Seen hat er rund um Flecken Zechlin gepachtet, darunter den glasklaren, 40 Meter tiefen Wummsee. Maränen lieben solche Seen. Wenn sie zum Planktonfressen aufsteigen, gehen sie Gehrt ins Netz. Doch alljährlich Mitte März setzt er bis zu fünf Millionen frisch geschlüpfte Maränen im Wummsee aus.

Jahrelang kaufte der Fischer die Winzlinge bei Züchtern, doch inzwischen hat er eine eigene Aquakultur für Hechte und Maränen aufgebaut. Er fängt die Weibchen, streift deren Laich ab, füllt ihn in Brutgläser und wartet, bis die Jungfische schlüpfen. Über den Nachwuchs freuen sich auch die Eisvögel. Die kobaldblauen federleichten Jäger hocken bei Gehrt auf der Dachrinne der Räucherei. Blitzschnell stürzen sie sich auf ihre Beute. Sie sind im Stress. „So ein kleiner Kerl“, sagt Gehrt, braucht alle drei Stunden Futter.“

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