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Brandenburgs Bildungsministerin Jugendministerin Britta Ernst (SPD).

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Trotz Vernachlässigungsfall in Eberswalde: Jugendministerin sieht Anzeigepflicht für Jugendämter kritisch

In Eberswalde wurde ein Mädchen jahrelang vernachlässigt. Dennoch sieht Brandenburgs Jugendministerin Britta Ernst (SPD) eine Anzeigepflicht für Jugendämter kritisch.

Potsdam - Brandenburgs Jugendministerin Britta Ernst (SPD) sieht eine Anzeigepflicht für Jugendämter bei Anzeichen für Kindesvernachlässigung, wie sie nach der Inobhutnahme eines Mädchens in Eberswalde diskutiert wird, eher kritisch. Man könne so eine Verschärfung der Vorschriften prüfen, sie sei aber skeptisch, dass Kinder dadurch tatsächlich besser geschützt werden können, sagte sie am Donnerstag in Potsdam. 

„Wir würden damit ein etabliertes Hilfesystem angreifen“, so Ernst. Schon jetzt sei es schwer, manche Familie zu erreichen. Wenn in jedem Fall eine Anzeige bei der Strafverfolgungsbehörden drohe, würden Eltern die Hilfe des Jugendamtes womöglich gar nicht mehr annehmen. Bislang gibt das Ministerium den Ämtern nur die Empfehlung, Anzeige zu erstatten. „Aus der eigenen Familie herausgenommen zu werden, ist auch für Kinder ein schreckliches Ereignis“, so die Ministerin. 

Die Jugendämter seien deshalb immer in einem schwierigen Abwägungsprozess, wie sie vorgehen sollen. Insgesamt ist die Zahl der Inobhutnahmen in Brandenburg gestiegen.

Behörde war Familie seit 2017 bekannt

Im Fall des vernachlässigten fünfjährigen Mädchens aus Eberswalde hat das Ministerium aber den Anfangsverdacht, dass Jugendamtsmitarbeiter nicht alles unternommen haben, um das Kind zu schützen und deshalb ein Verfahren eingeleitet. Unter anderem hat die Behörde, der die Familie seit 2017 bekannt war, offenbar nicht darauf reagiert, dass das Mädchen die Früherkennungsuntersuchen beim Kinderarzt nicht wahrgenommen hat. Das Gesundheitsamt hatte die entsprechenden Informationen an das Jugendamt weitergeleitet. 

Eine Pflicht zur Teilnahme an den sogenannten U-Untersuchungen, wie sie nun wieder diskutiert wird, hält Ministerin Ernst dennoch nicht für hilfreich. „In dem Fall hätte eine Untersuchungspflicht auch nichts gebracht“, so Ernst. Als Mitglied der Hamburgischen Bürgschaft hatte die SPD-Politikerin 2005 den Fall der siebenjährigen Jessica miterlebt, der bundesweit Schlagzeilen machte, und eine bessere Zusammenarbeit der Behörden eingefordert. Das Mädchen war wegen Unterernährung entkräftet an seinem Erbrochenen erstickt. Die Eltern hatten es jahrelang in einem Zimmer ihrer Wohnung eingesperrt. Sie wurden zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen Mordes durch Unterlassen verurteilt.

Haus der Mutter durchsucht 

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder), die nach einem Bericht der „Märkischen Oderzeitung“ wegen des Vorwurfs der Misshandlung von Schutzbefohlenen gegen unbekannt ermittelt, hat bislang keine Anhaltspunkte dafür, dass das Mädchen aus Eberswalde wie von der Zeitung berichtet über Jahre eingesperrt gewesen sein soll. Das Kind hat nach Angaben der Staatsanwaltschaft in einem Kinderbett im Schlafzimmer der Mutter geschlafen. „Es spricht nach dem Durchsuchungsbericht bisher nichts für die These, das Kind sei weggesperrt worden“, sagte Staatsanwalt Ingo Kechichian am Donnerstag. 

Es sei aber auch nicht ausgeschlossen. Das sage zudem nichts darüber aus, ob das Kind wenig Tageslicht gesehen habe. Das Mädchen sei dem Klinikbericht zufolge unterernährt, verhaltensauffällig und sprachgestört gewesen. Bei der Mutter gab es eine Hausdurchsuchung. Die Staatsanwaltschaft hatte zudem die Beschlagnahmung der Patientenakte des Mädchens beantragt. Diese Akte erhielt die Staatsanwaltschaft, aber nicht die Akte des Jugendamts. 

Das Amtsgericht gab der Justizbehörde zufolge bisher nur Persönlichkeitsdaten und Aufenthaltsort preis. Das Jugendamt Barnim hatte das Mädchen im Dezember in Obhut genommen. Das Amt erhielt laut Ministerium zwischen Sommer 2017 und Frühjahr 2019 vier Gefährdungsmeldungen zur Familie des Mädchens. Das Mädchen hat zwei Geschwister, die ebenfalls in Obhut gekommen waren. Bei ihnen gab es aber laut Landkreis keine Hinweise auf eine derartige Vernachlässigung wie bei der Schwester. (mit dpa)

Marion Kaufmann

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