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Frisch angekommen. Die Lage der Flüchtlinge auf dem Lageso-Gelände ist weiter schwierig. Aber es gibt fließendes Wasser für Wartende.  

© Jörg Carstensen/dpa

Brandenburg: Trost und Tröpfchen

Die Lage der Flüchtlinge in Berlin ist weiter angespannt. Der Senat plant neue Bauten an 36 Standorten

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Berlin - Während der Senat am heutigen Dienstag ein neues Flüchtlingskonzept beschließen will, drängelten sich am Tag zuvor in der Turmstraße in Moabit schon wieder Hunderte Asylbewerber, um sich im Landesamt für Soziales und Gesundheit (Lageso) registrieren zu lassen. Um Tumulte wie in der Vorwoche zu vermeiden, gibt es einen Trinkwasserspender und Getränkeflaschen, ein Sprenger vor dem Haus kühlt den Rasen ein wenig.

Trotzdem steigt der Druck – auch im Lageso. Inzwischen kommen wöchentlich so viele Flüchtlinge in die Stadt wie 2007 im ganzen Jahr. Zwar nahmen am Montag fünf neue Mitarbeiter ihre Arbeit im Landesamt auf und in der vergangenen Woche fingen zehn Externe einer Zeitarbeitsfirma in Moabit an. Aber das reicht vorn und hinten nicht, weil das Amt inzwischen in zwei Schichten arbeiten muss. Das Lageso öffnet nun von 7 bis 19.30 Uhr – die Mitarbeiter machen seit Wochen Überstunden. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) fordert seit fast zwei Jahren mehr Personal, mit geringem Erfolg. Das Lageso soll bald wieder 1050 Mitarbeiter haben, das sind aber nur 100 mehr als zu Jahresbeginn. Allein 80 Bedienstete sind nur mit der Erstaufnahme der Flüchtlinge befasst.

Neben den sechs Containerdörfern mit rund 2000 Plätzen will der Senat nach Informationen dieser Zeitung an 36 Standorten in den Jahren 2016/2017 weitere Modularbauten aufstellen. Diese sollen dem Vernehmen nach „kleinere Wohnheiten“ sein. Das ist Bestandteil des Flüchtlingskonzepts, das der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) heute vorstellen will.

Die medizinische Betreuung der Flüchtlinge soll ausgebaut werden. Auf dem Gelände des Lageso soll eine zentrale Impfstelle eingerichtet werden. Anspruchsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz werden Chipkarten erhalten. Damit entfällt das umständliche Verfahren, für Behandlungsscheine anstehen zu müssen. Um traumatisierten Flüchtlingen professionell zu helfen, sollen die Therapieangebote der beiden spezialisierten Behandlungszentren „Xenion – Psychosoziale Hilfen für politische Verfolgte“ und „Behandlungszentrum für Folteropfer“ aufgestockt werden.

Um geflüchteten Kindern und Jugendlichen die Beschulung schnell zu ermöglichen, soll das Landesprogramm „Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen“ unter dem Schwerpunkt „Jugendsozialarbeit mit besonderen Aufgaben“ weiterentwickelt werden. Bei den vier- bis sechsjährigen Kindern soll eine „verlässliche Sprachförderung“ eingeführt werden. Das Land hat die Zahl der Integrationslotsen bereits von elf auf 27 aufgestockt. Diese Zahl soll auf 36 Stellen erweitert werden. Die Lotsen arbeiten direkt in den Flüchtlingsunterkünften. Hinzu kommen zwölf Bildungsberater, die Flüchtlinge direkt in den Sprachkursen aufsuchen. In der Regionaldirektion des Bundesamts für Arbeit sollen elf Bildungsberater eingestellt werden.

Neben den Integrationskursen für Flüchtlinge mit einer Aufenthaltserlaubnis bietet der Senat Sprachkurse an den Volkshochschulen an. Rund 1000 Kurse können mit den 600 000 Euro für 2014/2015 finanziert werden. Künftig sollen dem Vernehmen nach die Deutschkurse für Flüchtlinge erweitert werden. 100 zusätzliche Stellen sollen im Rahmen des Programms „Ausbildung in Sicht“ geschaffen werden. Und das Kreuzberger Projekt „Arrivo“, das Flüchtlinge in Handwerksbetriebe vermittelt, soll von 25 auf 100 Plätze ausgebaut werden.

Bei der Erarbeitung des neuen Flüchtlingskonzepts war die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales federführend. Angesichts der steigenden Zahl von Flüchtlingen hatte Sozialsenator Czaja gefordert, dass der „Königsteiner Schlüssel“ überprüft werden müsse. Das ist die Quote, nach der auch die Flüchtlinge auf die Bundesländer verteilt werden. Der CDU-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Florian Graf, unterstützte am Montag die Forderung seines Parteifreunds. Es könne nicht sein, so Graf, „dass ein Stadtstaat wie Berlin 6,9 Prozent aller Flüchtlinge aufnimmt und Flächenländer wie Brandenburg oder das Saarland nur 3,4 beziehungsweise 1,5 Prozent“. Der CDU-Mann kann sich nur schwer vorstellen, dass diese beiden Länder keine weiteren Kapazitäten für eine schnelle Unterbringung hätten. Czajas Anregung, beispielsweise ungenutzte Kasernen für die Flüchtlinge zu nutzen, sei in jedem Fall die bessere und humanere Option gegenüber Zeltstädten und Turnhallen.

Graf forderte eine Berliner Bundesrats-Initiative, um Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Der Koalitionspartner SPD hatte dieses Ansinnen der Union seit Anfang des Jahres stets abgelehnt. „Wir können das Ansinnen der CDU sehr gut nachvollziehen“, signalisierte der SPD-Rechtsexperte Sven Kohlmeier Gesprächsbereitschaft. Allerdings müsse eine solche Bundesrats-Initiative so formuliert sein, dass sie zur Lösung der Flüchtlingsprobleme tatsächlich beitragen könne.Sabine Beikler, Hannes Heine, Ulrich Zawatka-Gerlach

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