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Brandenburg: Tränen am Flughafen

Ein Vierteljahr nach der getrennten Abschiebung ist eine tschetschenische Familie wieder zusammen

Von Sandra Dassler

Berlin/Wandlitz - Sie war die ganze Zeit tapfer: im Krankenhaus, im Heim, bei den Behörden. Sie war all’ die vielen Wochen lang geduldig – selbst jetzt ist sie es, am Airport, als der Beamte sagt: „Nein, da ist niemand mehr in der Maschine aus Warschau. Schon gar kein Vater mit vier Kindern.“ Sie lächelt auch noch, als sie mit ihren deutschen Freunden den halben Flughafen nach ihrer Familie absucht.

Aber als sie endlich vor ihr stehen – die drei Söhne, die Tochter, der Mann – bricht alles auf. Zaina B. schluchzt laut, als sie ihren Jüngsten in die Arme schließt: Magomed, der erst zehn ist – ein Alter, in dem man natürlich auf keinen Fall weinen darf. Seine Schwester, die 12-jährige Linda, hat es einfacher, ihre Tränen mischen sich mit denen der Mutter. Die umarmt sie immer wieder – auch den 16-jährigen Mayrbek, seinen ein Jahr jüngeren Bruder Magabi und natürlich Zelman A., ihren Ehemann.

„Ein Vierteljahr kann verdammt lang sein“, sagt Ramona Krönke. Die Schauspielerin hat für diesen Augenblick gekämpft, seit sie auf den Tag genau vor drei Monaten, am 15. Juli, Magomed und seine Geschwister zum Schwimmen abholen wollte. Doch deren Zimmer im Asylbewerberheim Wandlitz war verlassen. Obwohl die Mutter krank in einer Klinik lag, waren ihr Mann und die vier Kinder im Morgengrauen abgeholt und in ein Flugzeug nach Polen gesetzt worden.

Der Grund: Die tschetschenische Familie, die angab, vor politischer Willkür in ihrer Heimat geflüchtet zu sein, war über Polen eingereist, ein „sicherer Drittstaat“, in den sofort zurückgeschoben werden kann. Allerdings darf eine Rücksendung nicht zur Trennung von Familien führen, außerdem garantiert schon das Grundgesetz den Schutz der Familie.

Die Ausländerbehörde in Barnim focht das allerdings nicht an. Ihre Vertreter versuchten etwas später sogar, Zaina B. aus dem Krankenhaus zu holen, um sie ebenfalls abzuschieben. Nur durch die Weigerung ihrer Ärzte, vor allem aber das Engagement von Ramona Krönke und anderen, die sich seit Jahresbeginn im Runden Tisch für Flüchtlinge in Wandlitz engagieren, konnte dies verhindert werden. Doch Zelman B. und die Kinder waren weg, kamen nach kurzem Lageraufenthalt in Warschau in ein Flüchtlingsheim der Gemeinde Dragacz in der Woiwodschaft Kujawien-Pommern (der Tagesspiegel berichtete). Dort nahm die Verzweiflung des Vaters von Tag zu Tag zu, die Kinder sehnten sich nach der Mutter.

Erst nachdem der Runde Tisch und der Flüchtlingsrat interveniert und über tausend Menschen eine Petition an das Bundesamt für Migration unterschrieben hatten, beschloss dieses Anfang September, dass die Familie ihr Asylverfahren in Deutschland führen darf. „Dass es dann noch einmal fünf Wochen dauern würde, bis der Vater und die Kinder zurückkehren konnten, haben wir nicht für möglich gehalten“, sagt Mathis Oberhof. Er ist einer der Initiatoren vom Runden Tisch für Flüchtlinge in Wandlitz und hat Zaina B. mit Ramona Krönke zum Flughafen begleitet. Die glückliche Mutter konnte erst einmal aus dem Krankenhaus entlassen werden, will jetzt mit ihrer Familie eine Wohnung als vorübergehendes Zuhause in Eberswalde einrichten.

Einziger Wermutstropfen für Magomed und seine Brüder ist, dass sie nun nicht wieder beim FC Wandlitz Fußball spielen können, der Weg von Eberswalde aus ist zu weit. Dafür nickt der Zehnjährige begeistert, als Ramona Krönke ihn noch auf dem Flughafen fragt: „Und Magomed? Wollen wir jetzt endlich schwimmen gehen?“ Sandra Dassler

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