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Brandenburg: Totes Kleinkind: Mutter auf freiem Fuß

Die Tragödie aus Berlin-Weißensee ist in der Stadt kein Einzelfall

Von Sandra Dassler

Berlin - Die Familienhelfer vom Jugendamt des Bezirks Pankow kamen fast täglich zu der 25-jährigen Mutter und ihren vier Kindern im Alter zwischen vier Jahren und zwei Monaten in Berlin-Weißensee. Dass eines der Kinder, ein fast dreijähriges Mädchen, in der Nacht zu Dienstag starb, konnten sie nicht verhindern.

Wie berichtet, hatte die Mutter das leblose Kind in der Wohnung entdeckt und die Rettungskräfte informiert. Die Obduktion ergab, dass das Kind an Verletzungen starb, die aber nicht auf vorsätzliche Tötung schließen ließen. Mehr wollte die Staatsanwaltschaft auch gestern nicht preisgeben, da die Mutter noch vernommen wurde. Sie sei aber frei, da man bisher lediglich wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge und der Verletzung der Fürsorgepflicht gegen sie ermittle. Auch ein Unfall könne nicht ausgeschlossen werden.

Nach Informationen dieser Zeitung soll das Mädchen einen Darmriss erlitten haben, der eine Entzündung auslöste. Die Familienhelferin bemerkte, dass das Kind krank war und forderte die Mutter auf, mit ihm zum Arzt zu gehen. Bis zum Eintreffen der Todesnachricht hatte die Helferin wohl auch angenommen, dass dieser Arztbesuch erfolgt sei. Ob die Mutter mit den Kind zum Arzt ging, den Warteraum aber wieder verließ, weil er überfüllt war, konnte bisher nicht nachgeprüft werden. Unklar ist auch, wo sie sich aufhielt, als ihr Kind im Sterben lag.

Dass Eltern ihre kleinen Kinder ohne Aufsicht lassen, ist in Berlin trauriger Alltag. So stand erst gestern eine 23-jährige Mutter vor dem Amtsgericht Tiergarten. Sieben Stunden hatte Sabrina H. in einer Gaststätte in Tempelhof einen Cocktail nach dem anderen gezecht. Ihr dreijähriger Sohn und ihre zweijährige Tochter spielten an diesem Abend im Juni 2011 vor dem Lokal – ohne Aufsicht und nahe einer viel befahrenen Straße. „Ich wollte eigentlich nur ein Glas trinken, die Situation ist mir entglitten“, sagte die Angeklagte. Ein 51-jähriger Gast holte den Dreijährigen zweimal ins Lokal und forderte sie auf, sich endlich um die Kinder zu kümmern.

Sabrina H. hatte ihren Jungen mehrfach unbeaufsichtigt gelassen. Einmal stand er 45 Minuten weinend vor dem Haus, das andere Mal verhinderte ein Nachbar, dass der Kleine auf die Straße lief. „Das waren drei gravierende Fälle von Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht“, urteilte der Richter. Eine Strafe von 2100 Euro soll Sabrina H. zahlen.

Die Einschätzung, wann eine Verletzung der Fürsorge- oder Aufsichtspflicht vorliegt, bleibt den Richtern überlassen. „Kein normaler Mensch wird ein Baby zehn Stunden lang allein lassen“, sagt Gerichtssprecher Tobias Kaehne. Generell komme es aber auf die Umstände an.

Im Fall des toten Mädchens von Weißensee haben die Kinderschutz-Mechanismen eigentlich funktioniert, sagt die zuständige Jugendstadträtin Christine Keil (Linke). „Wir erhielten von einer anderen Behörde im Oktober 2011 den Hinweis, dass die junge hochschwangere Frau bereits drei kleine Kinder hat und möglicherweise überfordert ist. Wir haben sie beraten und ihrem Antrag auf Familienhelferinnen stattgegeben.“ Die Helferinnen seien auch willkommen gewesen, hätten die älteren Kinder auf die Kita vorbereitet und keine Hinweise auf Vernachlässigung bemerkt, sagt die Stadträtin. Sandra Dassler/Kerstin Gehrke

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