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Die Brandenburger Polizei setzt das „automatische Kennzeichenerfassungssystem“ („Kesy“) ein.

© Ottmar Winter

Streit um Datenschutz: Missbrauch bei Kennzeichen-Speicherung nicht ausgeschlossen

Die Legalität der Kennzeichenerfassung in Brandenburg steht weiter in der Kritik. Von der Weitergabe der Daten im Fall Rebecca wusste die Staatsanwaltschaft zudem nichts.

Potsdam – Ist die Kennzeichenspeicherung in Brandenburg wirklich in jedem Fall legal? Auch eine Sondersitzung des Landtags-Rechtsausschusses am Dienstag konnte Zweifel an der Praxis der Brandenburger Polizei nicht ausräumen. Er könne nicht ausschließen, dass es auch Missbrauch gebe, erklärte Justizstaatssekretär Ronald Pienkny (Linke) im Ausschuss.

Klar sei: Die Grundrechtsbindung gelte natürlich auch für Polizeibehörden. Er gehe davon aus, dass sich die Polizei und das von der SPD geführte Innenministerium an geltendes Recht halte. „Wir sind aber keine Kontrollbehörde und keine Aufsichtsbehörde für das Innenministerium“, so Pienkny weiter.

Linke verhält sich zurückhaltend

Offenbar will die Linke drei Monate vor der Landtagswahl keinen neuen Koalitionsstreit mehr vom Zaun brechen und verhält sich deshalb in der heiklen, von den Linken grundsätzlich kritisch gesehenen Frage der Datenspeicherung eher zurückhaltend – zumal die Regierungsfraktionen am Dienstag bekanntgaben, ihren Streit um den Ausbau des Verfassungsschutzes beilegen zu wollen.

Das automatische Kennzeichenerfassungssystem („Kesi“) war auf gemeinsamen Antrag von SPD und Linke sowie den Oppositionsfraktionen von CDU und Grünen auf die Tagesordnung der Sondersitzung gehoben worden.

Kennzeichen werden gespeichert

Vor dem Rechtsausschuss hatte sich vor knapp drei Wochen bereits der Innenausschuss mit dem Thema befasst, das wie berichtet durch den Berliner Vermisstenfall Rebecca Reusch öffentlich geworden war. Polizeivizepräsident Roger Höppner hatte im Ausschuss bestätigt, dass Brandenburgs Polizei an strategischen Autobahntrassen im Land automatisch die Kennzeichen aller vorbeifahrenden Fahrzeuge registriert und speichert – teilweise über Jahre. Auf Nachfrage hatte Höppner eingeräumt, dass das Erfassungssystem de facto im Dauerbetrieb laufe.

Alles habe eine klare Rechtsgrundlage, hatte Höppner erklärt. Die Erfassung sei zur Strafverfolgung bei schweren Straftaten erlaubt. Zur Verfolgung anderer schwerer Straftaten dürfe dann auch auf die Daten zugegriffen werden, die im Zuge eines anderen Verfahrens erhoben wurden. So geschehen im Fall Rebecca. Das Kennzeichen des Wagens von Rebeccas Schwager, der verdächtigt wird, etwas mit dem Verschwinden der Schülerin zu tun zu haben, war von einer Kamera an der Autobahn 12 in Brandenburg erfasst worden – und der Berliner Polizei gemeldet worden. Und zwar, wie nun im Rechtsausschuss bekannt wurde, ohne dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder), auf deren Veranlassung die Daten an der Stelle gespeichert wurden, von der Weitergabe durch die Polizei wusste. Er könne die Berliner Ermittler verstehen, so Pienkny. Dass man in einem solchen Fall wie der vermissten Rebecca „mal schnell nach Brandenburg telefoniert“, liege ja auf der Hand.

Aber wer die Kennzeichendaten dann nach Berlin gemeldet habe, könne er nicht sagen. „Wir waren selber darüber erstaunt“, so der Justizstaatssekretär. Die Staatsanwaltschaft und damit auch das Justizministerium seien nicht über die Weitergabe unterrichtet worden. Erst durch Recherchen habe das Ministerium überhaupt herausgefunden, auf der Basis welchen Brandenburger Falls die Kennzeichen auf der A12 gespeichert worden seien. Grundlage ist ein vom Gericht genehmigter Antrag der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder), bei dem es um schwere, grenzüberschreitende Eigentumsdelikte gehe. Es werde gegen mehrere Beschuldigte ermittelt.

Bei besonders schweren Straftaten

Bei dem Verfahren in Frankfurt (Oder) sei alles rechtens, die Datenerfassung und Speicherung nach Maßgabe der Strafprozessordnung erfolgt. Diese ist nach Richterbeschluss bei besonders schweren Straftaten als repressive Ermittlungsmaßnahme möglich – maximal drei Monate lang. Dann ist eine Verlängerung wiederum um drei Monate möglich. Laut Pienkny dürfen die so erhobenen Daten weitergegeben werden – aber nur für Fälle, die so schwerwiegend sind, dass auch für sie selbst eine Datenüberwachung beantragt werden könnte. Höppner hatte im Innenausschuss angegeben, dass es im Vorjahr 95 solcher Anforderungen aus zehn Bundesländern gegeben habe.

Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Benjamin Raschke, ist auch nach den Ausführungen des Justizstaatssekretärs alles andere als beruhigt, was die Einhaltung des Datenschutzes angeht. Der Rechtsausschuss befasse sich schließlich mit dem Thema, weil nach den Ausführungen im Innenausschuss „alle ein seltsames Gefühl“ gehabt hätten.

Der Verdacht, dass hier „Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür“ betrieben werde und „jeder von uns dauerhaft gespeichert und erfasst wird“, stehe weiter im Raum. Er habe die Sorge, dass man sich in Brandenburg nicht mehr frei bewegen könne. Er sehe das Justizministerium weiter in der Pflicht, sich mit dem Innenministerium in der Sache auseinanderzusetzen.

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