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Brandenburg: Störche, Bastelstunde und ein Übergiff

In Brandenburg stand die Kommunalwahl an: Ministerpräsident Woidke faltete seinen Stimmzettel in Forst, die Familie des CDU-Herausforderers Schierack wurde am Wahllokal beleidigt und bedroht

Forst/Cottbus - Auf dem Feld pickt in aller Seelenruhe ein Storch nach Futter. Still und verlassen liegt Eula, ein Ortsteil der Stadt Forst, an diesem sonnigen Sonntag. Das Tier lässt sich nicht einmal stören, als keine zwanzig Meter entfernt Dietmar Woidke und seine Frau vorbeischlendern – Brandenburgs Ministerpräsident auf dem Weg ins Wahllokal. Es ist elf Uhr. Unterwegs treffen sie noch einen jungen Mann. Man kennt sich, natürlich, hier auf dem Dorfe. Ja, er dürfe zum ersten Mal wählen, sagt Jonas Lehmann, ein 17-jähriger Oberschüler. „Das ist ja prima, dann wähl’ ich heute gleich mit dem Chef zusammen.“ Da erwidert Woidke: „Erzähl bloß nicht, wir hätten dich extra herausgeklingelt!“ Wer die Stimmen des Erstwählers bekommen wird? „Das schnackle ich noch aus, das entscheide ich spontan oder ich wähle eben den Meister.“ Gemeint ist der Regierungschef, der an diesem Tag selbst nicht zur Wahl steht. Der grient.

So wie hier in Forst war es, weitgehend, aber nicht überall, ein unaufgeregter Wahltag in Brandenburg, wo am Sonntag nicht nur das Europaparlament gewählt wurde, sondern auch Kommunalwahlen stattfanden. Deren erste Ergebnisse gab es allerdings erst in den späten Nachtstunden. Die Europawahl endete in Brandenburg – gegen den Bundestrend – mit einem Sieg der Sozialdemokraten, die nach Auszählung von zwei Dritteln der Stimmen klar vorn lagen, vor der CDU, während die Linken – Sieger der letzten Europawahl 2009 – abstürzten. „Es ist ein guter Tag für die SPD“, freute sich Woidke, als er am Abend im Potsdamer Regine-Hildebrandt-Haus auf der Wahlparty mit seinen Genossen feierte. Denn damit war klar, dass die Brandenburger SPD-Kandidatin Susanne Melior trotz des ungünstigen Listenplatzes im Europarlament vertreten sein wird.

Die Überraschung des Abends, diskutiert auf allen Wahlpartys, war allerdings das Abschneiden der Alternative für Deutschland in Brandenburg. Die lag, das war früh klar, deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Die AfD, im Land geführt vom Publizisten und früheren Herausgeber Alexander Gauland, rechnet sich nun gute Chancen für einen Einzug in den Landtag bei der Brandenburg–Wahl am 14. September aus. Es sei ein „Schub von Emitionalität, dass es jetzt nach vorne geht“, sagte Gauland am Abend. Der Stimmenanteil sei eine ordentliche Basis, um in Brandenburg, Sachsen und Thüringen in die Landesparlamente zu kommen.

Erstmals durften am Sonntag in der Mark auch Jugendliche ab 16 wählen, nämlich die Gemeindevertretungen, 14 Kreistage und vier Stadtverordnetenversammlungen der großen Städte Potsdam, Cottbus, Frankfurt/Oder und Brandenburg an der Havel. Das allerdings war für Jung und Alt ein kompliziertes, aufwendiges Prozedere. Die Wahlzettel waren so groß, dass sie ausgebreitet kaum in die Wahlkabinen und dann erst mehrfach zusammengefaltet in die Schlitze der Urnen passten. Die Stimmabgabe dauerte oft mehrere Minuten. Mancherorts bildeten sich daher immer wieder Schlangen, obwohl die Wahlbeteiligung brandenburgtypisch eher gering war, nämlich nach Angaben des Landeswahlbüros knapp an der 50-Prozent-Marke. Damals hatte die SPD gewonnen, allerdings nur mit 25,8 Prozent, knapp vor den Linken mit 24,7 Prozent, die CDU kam auf 19,8 Prozent. Schon damals hatte sich abgezeichnet, dass für die erfolgsverwöhnte SPD, die das Land seit 1990 regiert, die Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen.

Die Kommunen, die Kreistage, gelten im weiten Flächenland als das Rückgrat der Parteien. Was der Ausgang der Kommunalwahl für die Landtagswahl am 14. September bedeutet, die erste, die er selbst gewinnen müsste, wenn er Ministerpräsident bleiben will? „Eine Kommunalwahl hat ihre eigenen Gesetze“, sagte Woidke dazu. Aber natürlich sei der Ausgang „ein Stimmungsbarometer, intern wichtig für die eigene Partei, aber auch nach außen“. Auch deshalb hatte Woidke die letzten Wochen genutzt, um mit einem „Küchenkabinett“ durchs Land zu tingeln, einer Art wandernden Talkshow, bei der er als Mensch in Szene gesetzt wurde, Anekdoten aus seinem Leben erzählte oder auch mal von seinem Hund. „Ein echter Rauhaardackel. Im Spiegel sieht er einen Löwen.“ Alles auf die Nummer eins ausrichten – das ist erprobte Strategie der SPD, auf dieses Rezept hatte man auch bei Vorgänger Matthias Platzeck gesetzt. „Bei den großen Parteien ähneln sich die Programme ja“, sagt Woidke dazu. „Am Ende wird es maßgeblich auf die Spitzenkandidaten ankommen. Und darauf freue ich mich.“ 

Und sein Herausforderer? Michael Schierack, der Partei- und Fraktionschef der CDU, die die Bundestagswahl im Herbst 2013 im bis dato „roten“ Brandenburg haushoch gewonnen hatte, dieses Ergebnis bei der Europawahl aber nun nicht wiederholen konnte. Er zeigte sich dennoch zufrieden, als er am Abend in Potsdam in der CDU-Zentrale das Ergebnis analysierte. Er freue sich, dass bei der Europawahl in Brandenburg die CDU – entgegen dem Bundestrend – zulegen konnte, „auch ohne Angela Merkel“, wie er nicht ohne Stolz anmerkte. „Das ist ermutigend für die Landtagswahl.“

Allerdings hatte ein Zwischenfall, der ihn mitnahm, seinen Wahltag überschattet. Es geschah, als Schieracks kurz nach Zwölf Uhr wählen gingen, in Dissen-Striesow, einem idyllischen Lausitz-Dorf nördlich von Cottbus, wo die Familie lebt. Das Wahllokal war in einer Sportlerklause, was eine skurrile Szenerie ergab. Zur Rechten wurde gewählt, zur Linken in der Kneipe – geteilt nur durch eine Glaswand – floss beim Stammtisch das Bier. Und das reichlich.

Als Schieracks Familie eintraf, mit dabei auch die beiden Kinder, man war geradelt, wollte weiter zum Mittelalterfest, kam es zu einem Übergriff. Ein Betrunkener pöbelte Frau Schierack an, bedrohte und beleidigte sie massiv, bis ihr Mann dazwischenging. „So gehen Sie nicht mit meiner Frau um! Ich hole die Polizei.“ Alle, auch Schierack selbst, waren verstört, dass ausgerechnet hier, in ihrem idyllischen Heimatdorf, wo er der „Micha“ ist, solche Begleiterscheinungen des Spitzenjobs nicht ausgeschlossen sind. Die Polizei nahm den Vorfall ernst. Der Mann, einschlägig vorbestraft wegen Körperverletzung und bereits am Vortag wegen der Bedrohung der Museumsleiterin im Ort aufgefallen, wurde später festgenommen.

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