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Der Verein Opferperspektive kümmert sich um Betroffene rechter Gewalt. 

© Stephanie Pilick/dpa

Statistik der "Opferperspektive" zu rechter Gewalt: Die Sicht der Betroffenen

Der Potsdamer Verein Opferperspektive registrierte 2021 in Brandenburg 150 rechte Gewalttaten – 42 mehr als die Polizei.

Potsdam - Eine syrische Familie mit Kindern hört eine heftige Detonation auf ihrem Balkon. Feuer bricht aus. Sie vermuten, dass der Nachbar, der sie schon seit Monaten rassistisch beleidige und bedränge, einen Brandsatz auf den Balkon geworfen habe. Der Familie sei es gelungen, sich in Sicherheit zu bringen und das Feuer zu löschen. Eine Betroffene sei zum Tatzeitpunkt schwanger gewesen und habe aufgrund des Stresses Komplikationen erlitten.
So schildert der brandenburgweit aktive Potsdamer Verein Opferperspektive jenen Vorfall vom 15. Februar 2021 in Cottbus-Sandow. In der am Montag veröffentlichten Statistik des Vereins wird der Fall als rassistische Tat geführt. In der ebenfalls am Montag, dem Internationalen Tags gegen Rassismus, verbreiteten Zahlen des Innenministeriums zur politisch motivierten Kriminalität in Brandenburg taucht er hingegen nicht in dieser Kategorie auf. „Die Polizei hat den Vorfall nicht als rassistisch eingestuft“, erläutert Martin Vesely, Berater für die Region Süd der Opferperspektive, auf Nachfrage. Eine Anfrage bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Cottbus zu dem Verfahren blieb am Montag zunächst unbeantwortet. Der Fall veranschaulicht, warum Innenministerium und Opferperspektive jedes Jahr zu unterschiedlichen Zahlen kommen. Während die Polizei 2021 in Brandenburg 108 rechte Gewaltdelikte registrierte, kommt der Potsdamer Verein auf 150, davon seien 98 rassistisch motiviert gewesen. 

Kritik an der langsamen juristischen Aufarbeitung 

Wie der Name schon sagt, nehme die Opferperspektive die Sicht der Betroffenen ein, erläutert Martin Vesely. In dem konkreten Cottbuser Fall seien dem Verein die Schilderungen der Familie über einen längeren Zeitraum glaubhaft erschienen. „Wir versuchen, die Aussagen zu objektivieren, aber wir sind keine Ermittler“, sagte Vesely. So sei am Ende für die Einordnung nicht unbedingt das Ermittlungsergebnis der Polizei ausschlaggebend oder das Auftauchen von Vorfällen im Polizeibericht. Zudem nimmt die Beratungsstelle auch zivilgesellschaftliche Aspekte in den Blick, die für Aufklärung von Taten keine Rolle spielen. So war die Cottbuser kommunale Wohnungsbaugenossenschaft in diesem Tatkomplex und einem weiteren in dem Cottbuser Ortsteil „als Vermieterin wenig aufgeschlossen, Maßnahmen gegen die Verursacher:innen der Angriffe im Wohnumfeld einzuleiten oder sich der Sache überhaupt anzunehmen“, beklagt der Verein.

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Auch was die juristische Aufarbeitung angeht, formuliert die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Vorwürfe speziell Südbrandenburg betreffend. „Selbst schwere rechte Gewaltdelikte, bei denen Betroffene bleibende körperliche und/oder psychische Verletzungen erleiden, werden seit Jahren an Cottbuser Gerichten nicht angeklagt oder nur mit jahrelanger Verzögerung“, heißt es in der Mitteilung vom Montag. „Der Staat lässt hier Betroffene rechter Gewalt seit Jahren allein.“ So solle erst im September 2022 das Verfahren erstinstanzlich eröffnet werden, bei dem sich die Beschuldigten des „Silvesterangriffs“ in Cottbus-Sachsendorf vom 1. Januar 2018 verantworten müssen. Damals hätten „sieben Rechte“ drei afghanische Geflüchtete körperlich angegriffen und diese in ihre Unterkunft verfolgt, heißt es von der Opferperspektive. Die Polizei erklärte kurz nach der Tat, die landesweit Schlagzeilen machte, dass über eine „rechtsextremistische Gesinnung“ der Angreifer nichts bekannt sei.  

Verschiebung der Tatmotivationen 

Insgesamt beobachtet die Opferperspektive eine Verschiebung in den Tatmotivationen. Zwar seien nach wie vor die meisten rechten Gewalttaten rassistisch motiviert, gleichzeitig sei die Zahl der Angriffe auf politische Gegner von neun im Jahr 2020 auf 23 im Vorjahr gestiegen. Die Beratungsstelle führt das auf „thematische Veränderungen in der rechten Mobilisierung“ und eine „Reorganisation der militanten rechten Szene im Land zurück“. Konkret versuchten die NPD und vor allem der „Der III. Weg“, ihre Organisationen in der Mark auszubauen und nutzten – ein Befund der sich mit dem der Polizei deckt – auch die Proteste gegen die Pandemie-Maßnahmen für sich aus. In Wittstock und Wittenberge im Norden Brandenburgs habe die rechtsradikale Kleinpartei die Proteste zeitweilig sogar dominiert. Marion Kaufmann

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