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Erst Spitzel, dann Jäger. Harry Ewert, auch Bunkerharry genannt, verpflichtete sich als 19-Jähriger für die Stasi. In der Wende half er, den DDR-Geheimdienst aufzulösen. Genutzt hat es ihm wenig.

© Andreas Klaer

Stasi-Debatte: Schuld abtragen

Harry Ewert war mit 19 Jahren „IM“, deckte 1990 Stasi-Strukturen auf, jetzt lebt er vom Existenzminimum. Andere machten Karriere

Potsdam - Als Bernd Fleischer im Frühjahr 2011 nach einem Fernsehbericht seinen Posten als Sprecher der Cottbuser Polizei räumen muss und entlassen wird, kann Harry Ewert nur müde lächeln. Über die plötzliche Aufregung, dass ein früherer Stasi-Spitzel, der als Gefängniswärter in der DDR Kollegen und politische Häftlinge abschöpfte, nach der Wende seine Stasi-Vita leugnete und als Beamter Karriere machte. Über die hitzigen Debatten über den hohen Anteil früherer Stasi-Mitarbeiter in der Polizei. Über Brandenburg. „Das hätte man alles früher wissen können, aber man wollte nicht“, sagt Ewert (63). Er wusste es. 1998 schrieb er für die „Enquetekommission des Bundestags zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ ein Gutachten genau darüber. Auch über exemplarische Fälle. Wer es genau las, fand deutliche Hinweise, auch auf Bernd Fleischer. Es ist sein Thema. Nur gefragt hat ihn niemand. Ewert fuhr also weiter Krankenwagen in Potsdam bis er 2007 in vorzeitige Rente ging.

Dass die Enquetekommission des Bundestags ausgerechnet diesen Mann als Gutachter heranzog, hatte seinen Grund – und Ewert glaubt, dass er genau aus diesem Grund Anfang der 1990er Jahre erst seinen Posten beim brandenburgischen Innenministerium und dann komplett seinen Job im Landesdienst verlor. Offiziell hieß es damals in einer Pressemitteilung der Landesregierung dazu: „Grundsätzlich kann der Öffentlichkeit nicht zugemutet werden, dass Mitarbeiter im öffentlichen Dienst beschäftigt werden, die nicht nur mit dem MfS zum Nachteil anderer Personen zusammengearbeitet, sondern auch noch falsche Angaben bei der Einstellung“ gemacht haben.

Ja, Ewert war in der DDR Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, kurz MfS. Nach einer Prügelei mit NVA-Soldaten fürchtete er Konsequenzen, ein Verwandeter riet ihm, melde dich bei der Stasi. Das tat Ewert. 1967 unterschrieb er eine Verpflichtungserklärung und wurde Mitglied der FDJ-Ordnungsgruppe. „Ich war damals knappe 19 Jahre alt, das haben die klug ausgenutzt.“ Ewert will niemanden geschadet, nur über FDJ-Veranstaltungen oder Tanzabende berichtet haben, nur das, „was gewesen ist, denn ich wusste, dass andere IM und Stasi-Leute dort waren“. Als er auf einzelne Personen angesetzt werden sollte, hat er sich dekonspiriert. Die Stasi beendete die Zusammenarbeit, nicht ohne auf die Haftstrafe hinzuweisen, falls er seine Schweigepflicht bricht. „Weitere Zusammenarbeit zwecklos“, heißt es im Vermerk der Stasi.

Ewert war auch Mitglied der SED, 1974 wurde er Berufsoldat, war als Kurier und in der Datenverarbeitung im Nachrichtendienst der NVA tätig, kehrte 1980 ins Zivilleben zurück, war Krankenwagenfahrer, ging einige Jahre bei der Volkspolizei auf Einzelstreife in Ostberlin, wurde von der Partei als Querulant ausgeschlossen und fuhr wieder für den Rettungsdienst.

Dann aber kam seine große Zeit. Im Januar 1990 holte ihn die SPD in die „Arbeitsgruppe Sicherheit“ des Zentralen Runden Tisches. Über den Pfarrer Rainer Eppelmann fand er zu Dankward Brinksmeier, dem Mitbegründer der SDP/SPD in der DDR, der nach der ersten freien Wahl im März 1990 Vorsitzender des Innenausschusses der Volkskammer wurde – und der die Stasi-Überprüfungskommission der Volkskammer leitete. Ewert wurde sein Referent, auch wegen seiner Erfahrungen bei Militär und Polizei. Denn das war für die Bürgerrechtler wie Brinksmeier oder Martin Gutzeit terra incognita, davon hatten sie keine Ahnung, nicht von den Strukturen, nicht von den Befehlsketten, nicht von dem Ton, der dort herrschte.

„Ich sagte ihnen wegen meiner Vergangenheit, überlegt euch, ob ihr mit mir zusammenarbeiten wollt.“ Aber sie wollten ihn und verpassten ihm den Spitznamen Bunkerharry. Für sie spürte er den Honecker-Bunker auf, machte alte Stasi-Objekte ausfindig, befasste sich mit den in die Volkspolizei übernommenen Stasi- Leuten, enttarnte Spitzel und beschaffte gegen den Widerstand des Innenministeriums die Liste mit hunderten sogenannten Stasi-Offizieren im besonderen Einsatz, kurz Oibe. Es waren jene hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter, die unter einer Legende auf relevanten Posten in Betrieben, Institutionen, im Staatsapparat und in Hochschulen tätig waren. Sie waren das Instrument zur totalen Kontrolle der Gesellschaft. Ewert sagt: „Wenn ich etwas von meiner Schuld abtragen konnte, dann habe ich das in der Wendezeit versucht.“ Ganz selbstbewusst erklärt er: „Ich habe maßgeblich zur Auflösung der Staatssicherheit beigetragen.“

Schließlich geht Ewert nach Potsdam. Im Dezember 1990 wird er Fahrer im Wohnungsbauministerium, im Frühjahr 1991 dann Sachbearbeiter im Innenministerium und ein Jahr später ins Landesamt für Statistik versetzt. 1993 muss er gehen. Der Grund: Ewert hatte bei seiner Einstellung die Frage nach einer früheren Tätigkeitfür die Stasi mit nein beantwortet. Dabei hatte er Brinksmeier und einen nordrhein-westfälischen Staatssekretär noch um Rat gebeten, wie er die Frage beantworten soll, nämlich mit nein. „Aber ich habe nach der Wende aus meiner Vergangenheit nie einen Hehl gemacht“, sagt Ewert, nicht vor Brinksmeier, nicht vor Joachim Gauck. Auch Alwin Ziel, der erste Innenminister Brandenburgs, kannte ihn noch aus der Volkskammer. Es nützt ihm nichts. „Mir wurde gesagt, entweder du gehst freiwillig oder du bekommst nie wieder Arbeit.“ Auch der Petitionsausschuss des Landtags weist ihn ab, ihn, den Stasi-Jäger. Was er zu seiner Entlastung vorbringt, wird ihm nicht geglaubt. Mit seinem Anwalt stellt er auch fest warum: In seiner Personalakte fehlen jene Papiere, die zeigen, dass er sich als 19-Jähriger selbst deskonspiriert hat und von der Stasi fallen gelassen wurde.

Ewert glaubt, das Innenministerium wollte ihn loswerden. „Ich wusste, wer in Brandenburgs Polizei früher MfS-Angehöriger war.“ Und die CDU im Landtag wollte ihn losschicken, um Akten zu suchen – für den Untersuchungsausschuss zu den Stasi-Verstrickungen des damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD). „Viele hatten Angst vor mir.“

Vergangenen Mittwoch erfuhr er von Angelika N. Die Frau war SED- und Reise-Kader, hatte ab 1984 als IM „Kristina“ für die Stasi gespitzelt, erst in Berlin, wo sie Wirtschaftswissenschaftlerin war, dann in Potsdam, dort arbeitete sie an der Pädagogischen Hochschule der DDR in der Sektion für Marxismus/Leninismus. Zuletzt sollte sie für die Abteilung XX, die gegen Oppositionelle und Kirchengruppen vorging, zum Einsatz kommen. Nach der Wende verschwieg sie ihre Stasi-Mitarbeit – ein Kündigungsgrund wie bei Harry Ewert. Angelika N. wurde zwar abgemahnt, machte aber Karriere. Heute ist sie Referatsleiterin für Grundsatzfragen im Arbeitsminsiterium, ein Posten im höheren Dienst auf Ebene unterhalb des Staatssekretärs. Die Abmahnung wurde aufgehoben.

Harry Ewert sagt, dieser ungleiche Umgang ist eine Schweinerei. „Das ist Brandenburg. Wer keine freie Meinung hat, der kann mit dem Teufel aus einem Topf gegessen haben, der hat hier die besten Chancen.“ Bunkerharry ist längst aus dem teuren Potsdams nach Seelow ins Oderland gezogen. Dort lebt er vom Existenzminimum. „So wie viele Bürgerrechtler von damals“, sagt er. „Wir waren zwar gut, aber die Revolution frisst ihre Kinder.“

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