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Stasi-Debatte: Ein heimtückisches Richter-Gutachten

Eine Expertise für die Enquetekommission des Landtags bescheinigt Brandenburg ein rechtsstaatliches Verfahren bei der Übernahme von DDR-Juristen – benennt aber eklatante Fehler

Potsdam - Im Prinzip ist alles gut gelaufen, sagt die Jura-Professorin Rosemarie Will zur Übernahme von DDR-Richtern in den brandenburgischen Landesdienst. Aber in ihrem Gutachten für die Enquetekommission des Landtags zum Umgang mit der SED-Diktatur benennt sie auch explizit Einzelfälle, bei denen eine Menge Fragen offenbleiben – Richter, die als Spitzel für die Staatssicherheit gearbeitet haben oder durch sehr harte Urteile aufgefallen waren.

Das Gutachten der einstigen SED-Juristin und heutigen Sozialdemokratin Will war mit Spannung erwartet worden. Denn nach zahlreichen Medienberichten über die zweifelhafte Vergangenheit so mancher Brandenburger Richter und Staatsanwälte hatte es einen zugespitzten Streit um die Herkunft von Juristen im Landesdienst gegeben. Jetzt liegen erstmals Feststellungen einer unabhängigen, der Wissenschaft verpflichteten Instanz vor. Brandenburgs Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke) wird sich auf den Teil der Feststellungen von Rosemarie Will stützen, der zusammenfassend den Prozess der Prüfung und Übernahme von DDR-Richtern und -Staatsanwälten als „rechtsstaatliches Verfahren“ und „angemessen demokratisch legitimiert“ bezeichnet. Wer aber das Gutachten genau liest, stolpert an vielen Stellen über Hinweise und Warnungen der Professorin von der Humboldt-Universität.

Zunächst widmet sich Will über etliche Seiten dem bizarren Streit um die Akten, den sie mit Schöneburg zu führen hatte. Zeitweilig musste die Kommission, in deren Auftrag sie arbeitete, mit einer Klage vor dem Verfassungsgericht drohen, um die Verhandlungen wieder in Gang zu bekommen. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzungen schränkt den Erkenntniswert erheblich ein, ist teilweise absurd und wirft ein bezeichnendes Licht auf den Unwillen der Landesregierung, zu einer größtmöglichen Transparenz beizutragen: Will wollte die vollständigen Akten aller 243 aus der DDR-Justiz übernommenen Richter und Staatsanwälte. Bekommen hat sie nur anonymisierte Kopien von 172 Personalvorgängen der heute noch in Brandenburg tätigen. Ob diese Kopien-Sätze vollständig sind, weiß sie nicht. Und die letzten dieser Kopien wurden ihr erst vor wenigen Tagen übergeben.

Aus diesen Kopien wird laut Will ersichtlich, dass sich die Verfahrensfehler zwar „in engen Grenzen“ halten, dass sie aber von einiger Bedeutung sind. Bei zwei Richtern wurden im Laufe des Berufungsverfahrens neue Tatsachen bekannt, die eine Tätigkeit für die Staatssicherheit belegen. In beiden Fällen wurden die vom Landtag eingesetzten Auswahlausschüsse durch die Landesregierung nicht informiert.

Will lässt keine Zweifel daran, dass sie dies als willkürliche Entscheidung versteht. Sie verzeichnet in drei weiteren Fällen ein Abweichen von den Grundsätzen, die eine Weiterbeschäftigung ausschlossen. Einmal wurde ein damals 32-jähriger Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft der DDR übernommen, obwohl dies in den vorher definierten Grundsätzen ausdrücklich ausgeschlossen worden war und zweimal wurden Stasi-Spitzel wegen ihrer Jugend im Dienst belassen. Schließlich führt Will eine nicht näher bezifferte Anzahl von Richtern auf, die durch einige sehr harte Urteile auffielen. Und sie weist darauf hin, dass es keine systematische Berücksichtigung der Haftentscheidungen von Richtern gegeben hat.

Ähnlich wie bereits der Poppe-Bericht zur Überprüfung der Landtagsabgeordneten weist auch Will sehr dezent aber doch deutlich auf Merkwürdigkeiten hin, die den Eindruck hinterlassen, es sei zuweilen willkürlich entschieden worden. In einem Fall, der trotz der anonymisierten Vorlage stark an eine in den Medien bekannt gewordene Potsdamer Sozialrichterin erinnert, dokumentiert Will Tatsachen, die zwingend zu einer Entfernung aus dem Richterdienst hätten führen müssen. Denn die Bewerberin hatte erkennbar nicht die ganze Wahrheit über ihre Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit mitgeteilt. Zunächst war auch nichts in den Stasi-Unterlagen gefunden worden, später aber traf ein zweiter Bescheid ein, der mehrere Treffs in konspirativen Wohnungen dokumentierte und auch handschriftliche Spitzel-Berichte der heutigen Richterin. Die Frau erhielt von der Stasi auch Geschenke für ihre Bereitschaft zur Mitarbeit. Da ihr aber bei den Kopien auch die Datumsangaben der Bescheide geschwärzt wurden, ist eine abschließende Beurteilung des gesamten Vorgangs für Will nicht möglich. Ersichtlich ist nur, dass in diesem Fall letztlich nicht der Justizminister, sondern das damals von Regine Hildebrandt (SPD) geführte Sozialministerium auf Konsequenzen verzichtete.

So ist das Gutachten nicht zuletzt auch ein Dokument über den restriktiven Umgang des Justizministers, der heute diese Akten verwaltet, mit den Erkenntnissen, die in seinem Haus vorliegen. Eine Erklärung für diese fehlende Transparenz findet auch die Professorin nicht, zumal die Aktenbestandteile, um die es in diesem Falle geht, jederzeit für eine wissenschaftliche Aufarbeitung zur Verfügung gestellt werden. Die Gutachterin des Landtags wurde also schlechter behandelt als jeder Journalist oder Forscher, der einen Akteneinsichtsantrag stellt. Will dokumentiert auch ausführlich anonymisierte Fälle, in denen eine Entscheidung zugunsten von Bewerbern nachvollziehbar wird, weil sich für Hinweise auf eine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit auch entlastende Erklärungen finden – also Unterlagen der Stasi, die tatsächlich einem gewissen Personenschutz unterliegen.

Die CDU-Landtagsfraktion sieht sich nach der Lektüre des Gutachtens in ihrer Einschätzung bestätigt, dass die Überprüfung von DDR-Richtern und -Staatsanwälten vor der Übernahme in den öffentlichen Dienst des Landes Brandenburg mangelhaft war. „Noch immer sind ehemalige Täter des SED-Unrechtsregimes in der Justiz des Landes Brandenburg tätig“, sagten CDU-Vizefraktionschef Dieter Dombrowski und Rechtsexperte Danny Eichelbaum. Die letzte Überprüfung auf eine Mitwirkung an DDR-Unrechtsurteilen liege mehr als 20 Jahre zurück, inzwischen sei die Aktenlage heute umfassender und vollständiger, ebenso bei den Unterlagen der Staatssicherheit (MfS). Daher müsse Schöneburg alle noch heute im Dienst tätigen DDR-Richter und Staatsanwälte auf eine Mitwirkung an DDR-Unrechtsurteilen überprüfen und sich einem Stasi-Check unterziehen. Denn Schöneburg müsse „über jeden Zweifel erhaben sein, in den Reihen der Justiz die Täter des SED-Unrechtsregimes zu dulden“. (mit axf)

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