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Brandenburg: Stadtteil unter Schock

Der Totschlag am Berliner S-Bahnhof Grünbergallee ist aufgeklärt. 39-Jähriger gibt Gewalttat zu, bestreitet aber eine Tötungsabsicht

Von Sandra Dassler

Berlin – Die Berliner Polizei hat einen 39-jährigen Mann festgenommen, der am 6. August einen Rentner am S-Bahnhof Grünbergallee brutal geschlagen haben soll. Der 72-jährige Berliner war dadurch gestürzt und hatte sich so schwere Kopfverletzungen zugezogen, dass er fünf Tage später starb.

Der Tat vorausgegangen war ein Zusammenprall des Opfers mit dem in der Bahnhofsunterführung Rad fahrenden Tatverdächtigen. Nach dessen Angaben entwickelte sich daraus ein verbaler Streit, der eskalierte. Der 39-Jährige gab bei der Vernehmung wohl die Gewalttat zu, bestritt aber eine Tötungsabsicht. Die Polizei hatte mit Plakaten nach dem Schläger gefahndet. „Hinweise aus der Bevölkerung haben schließlich zu dessen Festnahme geführt“, sagte ein Sprecher. Der nicht einschlägig vorbestrafte Mann sollte noch am Sonntag einem Haftrichter vorgestellt werden.

Bohnsdorf liegt im Bezirk Treptow-Köpenick, ganz im Süden Berlins. Der S-Bahnhof Grünbergallee ist der letzte vor dem Flughafen Schönefeld, etwa zur gleichen Zeit gebaut, großzügig mit Treppen und Rollstuhlrampen ausgestattet. Hier soll der 39-jährige Mann vor zehn Tagen den Tod eines 72-jährigen Berliners verursacht haben. Die Polizei teilte am Sonntag mit, dass der Tatverdächtige angegeben habe, mit seinem Rad in der Unterführung zum S-Bahnhof mit dem späteren Opfer zusammengeprallt zu sein. Es habe sich „ein verbaler Streit entwickelt, der eskalierte“. Wie intensiv und oft der Tatverdächtige zugeschlagen hat, ist unklar. Der Rentner stürzte jedenfalls und zog sich dabei so schwere Kopfverletzungen zu, dass er am vergangenen Montag im Krankenhaus starb.

Der 72-Jährige, dessen Bild die Polizei zwar für die Fahndung verwendete, dessen Identität sie aber auf Wunsch der Angehörigen nicht preisgab, wollte nur einkaufen. „Er war hier Stammkunde“, sagt eine junge Kassiererin im Einkaufsmarkt: „Viele von uns kannten ihn, waren total geschockt, als wir das Foto auf dem Fahndungsplakat sahen.“ Der Einkaufsmarkt liegt direkt am S-Bahnhof Grünbergallee, nicht wenige Kunden kämen auch aus dem nur eine S-Bahn-Station entfernten Altglienicke, sagt der Filialleiter.

Auch der 72-Jährige wohnte in Altglienicke. Er hatte sich an jenem Mittwoch wahrscheinlich nur flüchtig von seiner Ehefrau verabschiedet, die immer noch unter Schock steht. „Wer denkt auch an so was, wenn der Mann nur mal kurz zum Einkaufen geht“, sagt ein Ermittler.

Nur etwa eine Minute und 45 Sekunden dauert die Fahrt von Altglienicke bis Grünbergallee und anfangs hatte die Polizei nicht ausgeschlossen, dass sich Opfer und Täter bereits in der Bahn begegnet sein könnten. Dann hätte man beide allerdings auf einer der Überwachungskameras sehen müssen, die an den Ausgängen des S-Bahnsteigs Grünbergallee hängen.

In der S-Bahn-Unterführung ist Radfahren verboten, auch auf den Rollstuhlrampen. Dort gibt es im Gegensatz zum Bahnsteig auch keine Überwachungskameras. So waren die Ermittler auf die Aussagen einer Zeugin angewiesen, die am 6. August in der Nähe des Tatorts war. Sie hatte einen Streit mitbekommen, dann einen älteren Mann am Boden liegen und einen jüngeren, dunkel gekleideten Mann wegfahren sehen.

Auf den Fahndungsplakaten war der Mann als schlank und etwa 1,85 Meter groß beschrieben worden. Letztlich führten Hinweise aus der Bevölkerung zur Ergreifung des Täters. Der ist laut Polizei zum Teil geständig, bestritt aber während der Vernehmung eine Tötungsabsicht. Die Staatsanwaltschaft hat Haftbefehl wegen Totschlags beantragt. Ob sich der Haftrichter dem anschließt, war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe unklar. „Eventuell wertet man die Tat auch nur als Körperverletzung mit Todesfolge“, sagte ein Polizeisprecher. Bis Sonntag, 24 Uhr müsse jedenfalls entschieden sein, ob der Mann inhaftiert werde. Der 39-Jährige sei bislang nicht wegen Gewalttaten in Erscheinung getreten.

„Trotzdem kann der nicht normal ticken“, sagt Kevin R., der mit seinem Fahrrad im S-Bahnhof Grünbergallee steht: „So ’nen alten Mann zu schlagen – wie feige ist das denn?“ Kevin nimmt einen Schluck aus der Bierflasche. Er ist Ende 20 und meint zu wissen, wie es gewesen sein könnte: „Hier fahren viele mit dem Rad, aber auch mit Inlinern oder Boards“, sagt er. „Wenn dann jemand im Weg steht, vielleicht noch Stress macht und die sind bekifft oder betrunken, passiert es halt. Aber feige ist es trotzdem.“

Bislang haben die Ermittler laut Polizei allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass der Tatverdächtige unter dem Einfluss von Drogen stand. „Die Kollegen der Mordkommission sind erst einmal froh, dass der Fall geklärt werden konnte“, sagte ein Sprecher. Froh sind auch die Bohnsdorfer. Der S-Bahntunnel wird nicht nur von Fahrgästen, sondern auch von Anwohnern benutzt, die zum Supermarkt und den Imbissläden beziehungsweise Wohnblocks auf der anderen Seite wollen. „Abends laufe ich da trotzdem nicht alleine lang“, sagt die Verkäuferin im Bäckerladen am Lebensmittelmarkt. Bei ihr hat der 72-Jährige oft Brötchen gekauft, manchmal auch Kuchen.

Am Tatort am S-Bahntunnel, direkt unter einem Fahndungsplakat, wurden in den vergangenen Tagen immer wieder Kerzen angezündet und Blumen niedergelegt. In einem Strauß steckt eine Karte. „Herzliches Beileid“ steht auf der Vorderseite. Wer da am Schmerz der Angehörigen Anteil nimmt, bleibt unklar. Die Rückseite der Karte ist leer.

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