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Brandenburg: So viel Spree war selten

An der Quelle werden nur die Füße nass, später sind die Schäden zu besichtigen, die das Hochwasser hinterlassen hat. Auf einer Reise vom Berg Kottmar bis nach Berlin ist zu erleben, wie Anwohner anpacken – und immer noch auf heißen Kaffee warten

Von Sandra Dassler

Woll’n wir die Berliner foppen, tun wir uns’ren Quell verstoppen“, so in etwa würde ein altes Oberlausitzer Sprichwort ins Hochdeutsche übersetzt lauten. In den vergangenen zwei Wochen hätten sich viele Menschen entlang der Spree gewünscht, dass die Quelle des Flusses zumindest für ein paar Tage verstopft worden wäre. Dabei ist das gar nicht so einfach, wie die Bäckersfrau in Kottmarsdorf, einem kleinen Ort zwischen Bautzen und Löbau, versichert. „Zur Spreequelle wollen Sie?“, lächelt sie vielsagend: „Zu welcher denn? Es gibt nämlich mindestens drei Quellen. Am schönsten ist die am Kottmar.“

Auf jeden Fall ist die Quelle am Berg Kottmar die höchstgelegene, auf 478 Metern über dem Meeresspiegel. Nasse Füße bekommt man trotzdem, denn obwohl bereits 1921 eine ziemlich große halbkreisförmige Steinmauer um die unter goldenen Buchstaben aus dem Felsen austretende Quelle errichtet wurde, läuft das Wasser über. Es bahnt sich den Weg auf den kleinen Pfaden durch den feuchten Wald, das Murmeln weiter oben und Rauschen weiter unten wird nur vom Zwitschern der Vögel übertönt.

Noch weiter unten, wo die ersten Häuser des Dorfes an den Waldrand stoßen, endet die Idylle. In fast allen Höfen und Gärten sind die Bewohner mit Aufräumarbeiten beschäftigt. „Unser Keller ist überflutet“, sagt eine junge Frau. „Das Wasser kam hier überall runtergeschossen.“ Ein Gemeindearbeiter in orangefarbener Weste versucht, die Regenrinne wieder herzurichten, während Annelies Häntsch die Splitter vom Stamm der 1871 gepflanzten Friedenseiche aufsammelt. „Ich stand daneben, als der Blitz einschlug“, sagt die 75-Jährige. Denn die Schäden hier stammen nicht vom Hochwasser, sondern von einem Unwetter am vergangenen Sonntag, das nicht nur Wolkenbruch, Starkregen und Gewitter brachte, sondern so viel Eishagel, dass ein Schneepflug ausrücken musste.

Etwa 50 Kilometer weiter schaut Herbert Kieschnick besorgt auf einen Bootsanlegesteg an der Talsperre Bautzen. „Der steht seit Tagen unter Wasser“, sagt er. „Wir können nicht raus.“ Kieschnick ist mit seinen 79 Jahren das älteste Mitglied im Seesportklub Bautzen und repariert die Schäden, die das Hochwasser in der Talsperre angerichtet hat. „Es hält sich alles in Grenzen“, sagt er, „kein Vergleich zu den Katastrophen anderswo.“

Die Leute hier haben herzlich gelacht, als in Brandenburg und Berlin die Nachricht verbreitet wurde, dass die Talsperre Bautzen defekt sei und das Wasser unkontrolliert herausfließe. „Wir haben eine Überlaufanlage“, erklärt Talsperrenchef Sebastian Fritze. „Wenn wir einen Meter über dem Normalwert sind, können darüber bis zu 225 Kubikmeter pro Sekunde abfließen. Wir haben aber nur 70 Kubikmeter pro Sekunde abgegeben und das auch nur vom 1. bis zum 7. Juni.“ Die Überlaufanlage wurde bisher nur dreimal genutzt: während der Hochwasser 1981, 2010 und jetzt. Momentan liege der Wasserspiegel in der Talsperre nur noch 28 Zentimeter über dem Normalwert, fast kann man in Bautzen Entwarnung geben. Dass dies weiter flussabwärts ganz anders ist, erklärt Talsperrenchef Fritze mit verstärkten Zuflüssen, beispielsweise durch das sogenannte Löbauer Wasser. Auf ihrem Weg vom nördlichen Sachsen ins südliche Brandenburg hat die Spree jedenfalls unzählige Felder, Kleingartenanlagen, Radwege und Straßen überschwemmt. „Wir haben gerade nochmal Glück gehabt“, sagt Marlen Waschnick, die vor ihrem Haus in Spreewitz an der sächsisch-brandenburgischen Landesgrenze gerade Sandsäcke wegräumt.

Dieses „Wir haben noch mal Glück gehabt“ hört man auch in Spremberg sehr häufig. Zwar standen dort einige Straßen, Wohn- und Geschäftshäuser sowie Gaststätten unter Wasser, der Großteil der Stadt wurde aber verschont. Zwischenzeitlich sah es anders aus, Notdeiche wurden errichtet, die Nerven lagen so blank, dass Sprembergs Bürgermeister Klaus-Peter Schulze (CDU) den Vorwurf erhob, man würde Spremberg für Cottbus, die nächste große Stadt an der Spree, opfern. Zwischen den beiden Städten liegt die Talsperre Spremberg, wo man laut Schulze erst auf grünes Licht aus Cottbus gewartet habe, bevor man die Ablassmenge erhöhte. Durch den Rückstau habe sich die Situation in Spremberg verschärft.

Der Oberbürgermeister von Cottbus, Frank Szymanski (SPD), hat den Vorwurf als Wahlkampfgetöse abgetan und ansonsten genug mit den eigenen Problemen zu tun. 25 Kilometer lang fließt die Spree durch die Stadt, und die alten Deiche müssen seit fast zehn Tagen einem ungeheuren Druck standhalten. 3000 Bäume sollen nun entlang des Flusses gefällt werden, damit sie bei einem möglichen nächsten Hochwasser nicht zu Treibgut werden – schon gab es in Cottbus erste Demonstrationen dagegen.

Überall warnen Schilder vor dem Betreten der Deiche, aber viele Menschen sind unvernünftig. Im Ortsteil Maiberg schaut sich eine Frau verstohlen um, bevor sie ihr Fahrrad am Verbotsschild vorbeischiebt. Die teure Sportkleidung verrät, dass sie öfter mit dem Rad unterwegs ist. Ein paar Meter schiebt sie, dann steigt sie in die Pedalen. Für die Maiberger ist das mehr als verantwortungslos: „Die bringt ja nicht nur sich selbst in Gefahr“, sagt eine Anwohnerin, „sondern unser ganzes Dorf und das Renaturierungsgebiet.“

Vattenfall hat die Cottbuser Spree zwischen den Ortsteilen Döbbrick und Schmogrow in den vergangenen Jahren renaturiert, um die Stilllegung der Lakomaer Teiche auszugleichen, die im Abbaugebiet des Tagebaues Cottbus-Nord lagen. Hier sei eine herrliche Landschaft entstanden, sagt die Verkäuferin im Imbisswagen „Zum Aueroxen“, aber das Hochwasser habe einiges kaputtgemacht – wohl auch ihre Stromleitung. „Heißer Kaffee geht heute leider nicht“, sagt sie bedauernd zu einer Radwandergruppe aus Holland.

Im wenige Kilometer hinter Cottbus gelegenen Spreewald ging in der vergangenen Woche noch viel weniger. Weil die Talsperre Spremberg konstant viel Wasser abgab, das dann mit hoher Geschwindigkeit durch die Spreewaldfließe strömte, sperrte das Landesamt für Bauen und Verkehr vorsorglich zunächst den Unterspreewald und wenig später auch den Oberspreewald für jeglichen Bootsverkehr. Alle Proteste der Kahnfährleute, die das Verbot für übertrieben hielten und nach dem kalten April und verregneten Mai weitere finanzielle Einbußen befürchteten, halfen nichts. Erst seit dem gestrigen Freitag ist das Kahnfahren im Spreewald wieder möglich, wenn auch nur auf einigen ausgewiesenen Routen.

„Hoffentlich denken die Touristen nicht, dass das Hochwasser uns hier noch Wochen beschäftigen wird“, sagt der Vorsitzende der Lübbenauer Kahnfährleute, Steffen Franke. „Das ist hier nicht wie nach einem Tsunami, wir müssen nicht aufräumen, niemand muss also seinen Urlaub im Spreewald verschieben.“

Es sei denn, er fürchtet das aus den Braunkohletagebauen stammende Eisenhydroxid, das die Spree braun färbt. Wie sich das Hochwasser darauf auswirkt, ist noch völlig unklar. Einiges wird sich im Spreewald absetzen, das meiste könnte aber durch die Umflutungsstrecken weiter in Richtung Berlin fluten. „Vielleicht kommt etwas bis zum Müggelsee, vielleicht sogar ein klein wenig bis Köpenick, wir werden das genau beobachten“, sagt der Chef des brandenburgischen Umweltamts, Matthias Freude. Er ist übrigens Sachse. Und ganz in der Nähe einer der drei Spreequellen zur Welt gekommen.

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