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Brandenburg: „Sie war wohl nie bei einem Arzt“

Herr Schmitz, als Konsequenz aus dem Vorfall von Lübbenow fordern Sie schärfere Gesetze für den Kinderschutz. Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern?

Herr Schmitz, als Konsequenz aus dem Vorfall von Lübbenow fordern Sie schärfere Gesetze für den Kinderschutz. Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern?

Wir brauchen eine Änderung im öffentlichen Gesundheitsdienst. Es dürfen einfach keine Kinder mehr durch das Raster fallen. Deshalb sollten Eltern verpflichtet werden, ihre Kleinkinder regelmäßig bei einem Arzt vorzustellen. Dafür sprechen sich auch viele Amtsärzte schon seit längerem aus. Wie und in welcher Form das oranisiert werden kann, müsste natürlich von Fachleuten genau geprüft werden. Auch in der DDR gab es Pflichtuntersuchungen für Kinder. Heute setzt man dagegen sehr auf das Prinzip der Freiwilligkeit. Doch das scheint nicht zu funktionieren. In der Gesellschaft hat das Verantwortungsbewusstsein für Kinder zuletzt deutlich nachgelassen. Und wenn so ein Trend erkennbar ist, muss der Staat einfach handeln.

Ist das Maß an Fürsorge für Kinder eine Frage der sozialen Umstände?

Nein, das Problem zieht sich quer durch alle Schichten. Wie sehr sich die Einstellung gegenüber Kindern verändert hat, zeigt auch die enorm gestiegene Zahl an Anzeigen wegen Kindeswohlgefährdung. In der Uckermark waren es im Vorjahr etwa 300 Fälle, in diesem Jahr bislang 150. Das bedeutet: fast jeden Tag eine Anzeige.

Eine Verpflichtung allein scheint nicht zu helfen, wie der Fall von Lübbenow zeigt. Auch die Schuleignungsprüfungen sind Pflicht. Das Mädchen aber wurde nie untersucht. Warum?

Das recherchieren wir gerade zusammen mit dem staatlichen Schulamt. Noch sind mir nicht alle Details bekannt. Normalerweise benachrichtigt das Einwohnermeldeamt einer Gemeinde ein Kind im schulpflichtigen Alter an das staatliche Schulamt. Dieses wiederum informiert das Gesundheitsamt, das dann zur Untersuchung auffordert. Erscheint ein Kind nicht, wird das Jugendamt verständigt. Eine Kette von vier Behörden ist einfach zu lang. Bei einer ärztlichen Pflichtuntersuchung für Kleinkinder würde direkt das Gesundheitsamt zuständig sein, könnte sofort tätig werden, sollten die Eltern nicht erscheinen. Hätten die Eltern ihre Tochter direkt bei einem Arzt vorstellen müssen, wäre es vielleicht nie soweit gekommen. Der Fall hat gezeigt, dass wir mit dem Datenaustausch nicht klar kommen.

Ist bekannt, ob die Eltern jemals mit ihrer behinderten Tochter bei einem Arzt waren?

Soweit ich weiß, war sie wohl nie bei einem Arzt.

Sie haben im aktuellen Fall mögliche personelle Konsequenzen angekündigt. Wer ist verantwortlich?

Das weiß ich noch nicht. Der Fall muss gründlich untersucht werden, mit jedem Mitarbeiter im Jugendamt muss gesprochen werden. Derzeit sind aber mehr als die Hälfte aller Mitarbeiter im Urlaub. Für den 27. August ist allerdings eine außerordentliche Jugendhilfeausschusssitzung geplant. Bis dahin will ich alle Fakten auf dem Tisch haben.

Klemens Schmitz, 54, parteilos, ist Landrat der Uckermark. Mit ihm sprach Matthias Matern.

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