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Brandenburg: „Sie haben sich selbst blockiert!“

Einbruch ohne Aufbruch: Ministerpräsident Dietmar Woidke setzt nach seinem Reformflop in der Regierungserklärung auf Dialog und Kontinuität. Reicht das?

Es ging hitzig zu wie selten im Brandenburger Parlament. So hitzig, dass Finanzminister Christian Görke (Linke) sogar eine Rüge der Landtagspräsidentin kassierte, weil er von der Regierungsbank lautstark und unflätig CDU-Oppositionsführer Ingo Senftleben vorn am Rednerpult des Plenarsaals beschimpft hatte – mit einem vernehmbaren „Das ist euer Scheiß!“ Da hatte Senftleben gerade, begleitet von rhythmisch auf den Tisch klopfenden CDU-Abgeordneten, die mit Spannung erwartete Regierungserklärung von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zum Kurs nach dem Scheitern der rot-roten Kreisgebietsreform zerpflückt.

Und Woidke? In seiner 42-minütigen Rede vermied der Regierungschef Polemik. Nach dem Scheitern der Reform beschwor er vor allem Gemeinsinn und inneren Zusammenhalt, um die Herausforderungen und Probleme bis zur nächsten Landtagswahl 2019 zu meistern. Das war die zentrale Botschaft der Regierungserklärung unter dem Titel: „Brandenburg: Moderne Heimat für alle“, in der er weitgehend eine Fortsetzung der bisherigen Regierungspolitik ankündigte. Neu war, dass ein „Infrastrukturfonds“ über 200 Millionen Euro gebildet werden soll, um mehr in Schulen und Straßen, in Schienen und Digitalisierung zu investieren. Zwar räumte Woidke erneut Versäumnisse ein, die zur Ablehnung der Reform im Land beigetragen hätten. „Wir, die Landesregierung und auch ich persönlich – haben in der Debatte um die Erneuerung der Verwaltungsstrukturen in unserem Land Fehler gemacht“ Welche das waren, sagte er aber nicht. An die Adresse der CDU, die eine mit 130 000 Unterschriften erfolgreiche außerparlamentarische Volksinitiative zum Stopp der Reform angeführt hatte, sagte Woidke: Wer den Menschen einrede, nichts in ihrem Leben würde nach einer Verwaltungsreform so sein wie davor, zerstöre eine vernünftige Debattenkultur. Er fügte hinzu: „Lassen Sie uns zu Dialog und Vernunft zurückkehren!“ An anderer Stelle betonte er hingegen, dass eine „zentrale Befürchtung vieler Menschen“ darin bestanden habe, sie könnten „abgehängt und vergessen werden“, so der Regierungschef. „Ich nehme diese Sorgen außerordentlich ernst.“

Nach der Absage von Kreisfusionen setzt Woidke nun auf freiwillige Kooperationen, die die Kommunalebene zugesagt hatte. „Dabei nehmen wir sie beim Wort.“ Er kündigte an, die Digitalisierung im Land „energisch voranzutreiben“. Seine Regierung werde 2018 ein E-Government-Gesetz vorlegen. Grundsätzlich stellte er Brandenburg als „Aufstiegsland, ein Land im Vorwärtsgang“ heraus, mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit der Geschichte, soliden Finanzen, einer guten Wirtschaftsentwicklung. „Berlin boomt. Brandenburg profitiert davon. Dieses Wachstum strahlt inzwischen immer weiter in das gesamte Land Brandenburg hinein.“ Das wachsende Brandenburg, so sein Befund, sei aber auch mit wachsenden Erwartungen der Bevölkerung verbunden. Nämlich an eine „funktionierende und moderne Daseinsvorsorge, Busse und Bahnen, schnelles Internet und einer verlässlichen Gesundheitsversorgung überall im Land“, aber auch an einen starken Staat, in dem auf Polizei und Justiz Verlass sein müsse. Die Regierung werde die Verkehrsinfrastruktur weiter ausbauen. „Wir investieren in Schienenausbauprojekte und bringen mehr Züge auf die Schiene: möglichst schon ab 2018“, sagte Woidke. „Ab 2022 werden wir die bestellten Zugkilometer dann um weitere acht Prozent erhöhen“. Also erst in fünf Jahren. Und: „Ja, es soll und darf keine Funklöcher mehr geben, und schnelles Internet muss überall verfügbar sein." Aber dafür brauche Brandenburg den Bund.

Für Herausforderer Senftleben, der 2019 selbst Ministerpräsident werden will, war die Regierungserklärung eine Steilvorlage. „Die Wahrheit ist: Sie haben die Kreisreform nicht gestoppt. Sie sind mit der Kreisreform gescheitert“, sagte er. Es seien die Bürger gewesen, die den Wahnsinn der Kreisreform gestoppt hätten. „Das war ein Beispiel für gelebte Demokratie.“ Die Folgen der schon im Ansatz falschen Kreisreform seien drei verschenkte Jahre, bei denen in Brandenburg vieles liegen geblieben sei, was Woidke nun verspreche. „Dafür sind Sie verantwortlich“, sagte Senftleben. „Sie haben sich selbst blockiert. Ich behaupte: Sie werden zu keinem Zeitpunkt mehr in der Lage sein, dieses Land fit zumachen, weil Sie im Denken zentralisiert und bürokratisch verhaftet sind.“

Gleichwohl ließ Senftleben auch nachdenkliche Töne anklingen. „Wir alle erleben doch einen Vertrauensschwund in Politik. Das müssen wir reparieren. Ich beziehe da meine Fraktion und Partei mit ein.“ Anträge von CDU und AfD für vorgezogene Neuwahlen, die drei Viertel der Brandenburger ablehnen, fielen im Landtag durch. AfD-Fraktionschef Andreas Kalbitz hatte ihn so begründet: „Rot-Rot hat fertig.“ Während SPD-Fraktionschef Mike Bischoff vor allem gegen die CDU polemisierte, forderte Linke-Fraktionschef Ralf Christoffers eine „Abkehr von Destruktivität“. Eine Lehre aus der am Ende nicht durchsetzbaren Reform müsse eine andere Beteiligungskultur sein.

Die Grünen in Brandenburg hatten die Kreisreform unterstützt. Grünen-Fraktionschef Axel Vogel kritisierte, dass niemand die Verantwortung für das Scheitern. „So nicht, Herr Woidke!“ Er vermisse beim Ministerpräsidenten die nötige „Selbstreflexion“, mehr noch aber, dass er sich auf das Naheliegende beschränke, statt entscheidende Herausforderungen richtig anzupacken. Nötig seien ein anderer Politikstil, eine „inhaltliche Neuausrichtung“. Vogel nannte die Energiepolitik, wo Woidke immer noch an der Braunkohle festhalte. „Der Ausstieg kommt so oder so“, sagte Vogel. „Machen Sie den Strukturwandel in der Lausitz zum Markenkern ihrer Politik.“ Tatsächlich sind nach einer Umfrage inzwischen 57 Prozent der Brandenburger für einen Ausstieg aus der Braunkohle. Nach der Kreisreform steht Woidke unmittelbar vor der nächsten Kurs-Korrektur.

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