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SERIE: Sich einfach mal treiben lassen

Von wegen Speckgürtel: Um Erkner beginnt gleich hinter der Berliner Stadtgrenze ein stilles Idyll aus Wäldern, Seen und Flüssen. Man kann hier über Stunden entlang der Löcknitz wandern oder auf der Spree paddeln, ohne einen Menschen zu treffen.

Heinz Sachau kommt gerade vom Einkaufen für seine Mutter. Sie wohnt wie er in Mönchwinkel, wo die Spree scharf links und dann rechts abknickt und zwischendrin eine mit Löwenzahn dekorierte Wiese zum Ufer hin abfällt. Jeden Mittag überquert Frau Sachau, 87, die Dorfstraße, die zugleich der Spreeradweg ist, und geht über die Wiese zum Steg. Dort liest sie auf der schwarz-gelben Messlatte den Pegel des klaren Wassers ab und meldet ihn dem Landesumweltamt.

Während die aufgestaute Spree in Berlin nur noch den Anschein eines Flusses hat, wird sie hier, keine 20 Kilometer jenseits der Stadtgrenze, immer urwüchsiger. Seine Oma sei noch mit dem Dampfer vom Mönchwinkler Storchennest bis zum Müggelturm getuckert, erzählt Heinz Sachau, der jetzt am Ufer im Nachbardorf Hangelsberg steht, wo er beim Bootshandel hilft. Das Ufer steigt hier steiler an als in Mönchwinkel, was den Überblick verbessert. Sachau deutet auf eine Stufe in den Flussauen gegenüber: die ehemalige Uferlinie. Ganz hinten, wo der Wald beginnt, ist eine weitere Kante: der Südrand des Urstromtals. Wir stehen auf dem Nordrand, sagt Sachau. Als kürzlich eine Gasleitung durchs Tal verlegt worden sei, hätten sie tellergroße Kiesel freigelegt: Gletschergrüße aus Skandinavien.

Sachau liest noch mehr in der Landschaft. Zum Beispiel die nur noch zu erahnenden kleinen Landzungen, die von beiden Seiten in die Spree ragen: Buhnen, immer abwechselnd; Reißverschlussprinzip. Die Spree war hier einst dreimal so breit. Die Buhnen hielten die Strömung und mit ihr die Schiffe in der Flussmitte, die Ufer waren baum- und strauchlos, ein Treidelweg folgte dem Flusslauf.

Als 1891 der schnurgerade Oder- Spree-Kanal für die großen Kähne eröffnet wurde, begann der Niedergang der Spree. Hinter den Buhnen entstanden Sandbänke, wuchs Schilf. Wasser wurde zu Sumpf und Sumpf zu Festland. Dasselbe passierte auf den Innenseiten der Flussbiegungen, während sich das Wasser außen immer weiter ins Ufer grub. Mäander wuchsen – wie im Lehrbuch.

Seit zusätzlich Altarme freigelegt wurden, ist die Spree zwischen Fürstenwalde und dem Dämeritzsee am Berliner Stadtrand mehr als zwei Kilometer länger geworden, erzählt Jörg Grunwald vom Bootshandel. Für die Kunden, die hier ein Paddelboot mieten, ist das eine gute Nachricht, denn mit der Flusslänge wächst das Vergnügen. Man startet am besten in Fürstenwalde, folgt der nur spärlich von großen Pötten befahrenen ausgebaggerten Spree, bis an der Großen Tränke der Urfluss vom Kanal abzweigt. Von hier an ist man mit Bibern, Libellen und Eisvögeln allein, sofern nicht gerade langes Wochenende ist. Und selbst dann ist kein Krach zu befürchten: Neuerdings ist Motorbootverkehr auf diesem Flussabschnitt verboten.

Man kann ernsthaft paddeln auf dieser Tour, aber es genügt auch, sich treiben zu lassen: Die Strömung trägt das Boot sanft voran, ohne sich mit Strudeln oder sonstigen Tücken zu rächen. Höchstens hat ein Biber mal wieder einen Baum gefällt, dessen Geäst unter der Oberfläche lauert. Je nach Wasserstand schaut man entweder ins Ufergrün oder über die Auen. Wer in Hangelsberg übernachtet, hat einen mit 13 Kilometern sehr entspannten Tag hinter sich – und einen ambitionierteren mit der doppelten Strecke bis nach Erkner vor sich. Die Spree schlängelt sich durch weite Wiesen, die Heinz Sachau noch als Felder in Erinnerung hat: Zu DDR-Zeiten sei hier Spargel angebaut worden. Und noch davor sei der via Spreenhagen angelandete Berliner Müll im Gelände verteilt worden, sodass beim Spargelstechen immer mal Glitzerkram zum Vorschein kam, Puttenköpfe beispielsweise.

Mitten durch die Flussauen mit ihren freundlichen kleinen Siedlungen führt der Spreeradweg, der dem verschlungenen Weg des Flusses allerdings nur ungefähr folgen kann. Immer im Blick ist der Himmel, der sich über dem kilometerbreiten Urstromtal besonders weit zu spannen scheint.

Im Vergleich zur Löcknitz ist die Spree in ihrem grünen Krautbett geradezu exhibitionistisch. Die Löcknitz fließt Luftlinie nur wenige Kilometer nördlich – aber gefühlt in einer anderen Welt. Nahe ihrer Mündung bei Erkner macht sich die Zivilisation noch mit Motorbootverkehr und geschniegelten Wassergrundstücken bemerkbar. Aber spätestens, wenn an der Froschbrücke die Autobahn unterquert wird, die Gatter der Schafweide am Wanderpfad geschlossen sind und die letzten Häuser von Fangschleuse hinter einem liegen, heißt einen die Naturschutzeule willkommen.

Der Wanderpfad folgt dem Lauf des Baches tief in den Wald hinein. Unter den Schuhsohlen wechselt das trockene Knacken der 2017er-Kiefernadeln mit schmiegsamem frühlingsfrischen Gras. Man ist nun weit genug weg von allem, um nur das Rauschen der Kiefernkronen im Wind zu hören. Gut, manchmal mischt es sich mit dem Rauschen der Regionalexpresszüge, die daran erinnern, dass man gar nicht so jwd ist. Im Geäst zwitschert ein Zilpzalp unentwegt seinen Namen, hoch oben meldet sich ein Greifvogel. Am Flussufer entrollen sich Farne unter den Erlen, die mit den Füßen im kalten Wasser stehen und erst im Mai zu grünen belieben. Hier kann man sitzen und die Zacken an den frischen Ahornblättern zählen. Oder darüber sinnieren, warum die Bachstelzen nicht hüpfen wie die meisten Singvögel, sondern laufen. Oder darüber, ob Wasserläufer mit ihren Beinen versinken können und was dann wohl passiert.

An einer Weggabelung steht die knorrige „Fontane-Kiefer“, dem Dichter gewidmet, der schrieb, „keines unter all diesen Wässerchen aber ist vielleicht reizvoller und unbekannter zugleich als die Löcknitz“, an deren Grenzlinie zwischen Wald und Wiese „sich eine Reihe der anmutigsten Landschaftsbilder“ eröffne. Damit ist das Wesentliche gesagt.

Leider vermag der Weg dem sumpfigen Flüsschen nicht immer direkt zu folgen. Aber in Klein Wall ist es wieder da. Man kann sich hier seine Fische selber fangen oder an einem der Tische Platz nehmen auf der schlichten Restaurantterrasse, ein großes Bier für zwei Euro trinken und die gemischte Fischplatte bestellen, die mit 16 Euro das teuerste Gericht auf der Karte ist. Gebraten gibt es gerade Lachs, Heilbutt und Wels. Und geräuchert? „Muss ich die Männer fragen, was gerade fertig ist“, sagt die Kellnerin. Die fragt am Nachbartisch, ob’s geschmeckt habe. „Klar, wie immer“, sagen die Gäste und verabschieden sich: „Bis bald!“ Ja, bis bald, wieder hier, das wäre eine Option.

Hier blitzt es blau, dort schimmert’s grün, manchmal sogar türkis: Seen und Flüsse. In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gibt es so viele Gewässer, dass ein Leben nicht reicht, alle kennenzulernen. Höchste Zeit, Entdeckungsreisen zu starten – im Kanu, Hausboot oder auf dem Floß. Natürlich mit Landgang.

Die nächsten Folgen:

2. Mai

Anklam/Peenetal

5. Mai

Schwerin/Plau am See

9. Mai

Fürstenberg/Havel

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