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Sebastian Walter beim Parteitag in Schönefeld.

© Fabian Sommer/dpa

Sebastian Walter neuer Linken-Chef in Brandenburg: Rufer in der Wüste

Brandenburgs Linke steckt tief in der Krise. Sebastian Walter will als neuer Co-Parteivorsitzender in einer Doppelspitze Grabenkämpfe beenden und Mitglieder gewinnen.

Schönefeld - Das Dilemma der Partei passt in einen Pappbecher. Auf den Tischen der 125 Delegierten im „Holiday Inn“-Hotel in Schönefeld stehen papierne Blumentöpfchen, in denen nichts blüht. Minikakteen dienen als Parteitagsdeko, auf den roten, recyclingfähigen Kübelchen steht nur ein Wort: „widerständig“. Der Stachel im Fleisch der Regierenden und Mächtigen, das wäre die Linkspartei gerne. Aber nicht nur auf Bundesebene, selbst im einstigen Vorzeigelandesverband Brandenburg läuft es nicht mehr. Spätestens seit die Partei nach zehn Jahren Rot-Rot 2019 in die Opposition gewählt wurde. Bei der Landtagswahl vor zweieinhalb Jahren lag die Linke mit 10,7 Prozent auf Platz fünf hinter SPD, AfD, CDU und Grünen. Zehn Jahre zuvor waren es hinter der SPD noch 27,2 Prozent gewesen. Verheerend auch der Absturz bei der Bundestagswahl 2021: Die Linke hatte mit 8,5 Prozent ihr Ergebnis von 2017 etwa halbiert, stellt statt vorher vier nur noch zwei Abgeordnete im Bundestag. Im Bundestagswahljahr sank die Mitgliederzahl unter die 5000er-Grenze – bei einem Altersdurchschnitt der Genossen von knapp 66 Jahren.  

Kampfabstimmung zwischen Walter und Müller 

Ein Mann Jahrgang 1990, Sebastian Walter, soll es jetzt richten und die Partei retten. Denn davon ist oft die Rede bei diesem zweitägigen Parteitag am Wochenende nahe des Flughafens BER: Wenn die Linke die Wende nicht hinbekommt, wieder Mitglieder und Wählerstimmen gewinnt, dann geht ihr bald das Licht aus, selbst in Brandenburg. Wie ein Rufer in der Wüste steht Walter unter der schummrig-roten Deckenbeleuchtung vor Kakteen-Deko am Sonntagvormittag auf der Bühne des Hotelsaals. „Ich möchte die Kultur in der Partei verändern“, sagt Walter. „Warum sollten denn die Menschen im Land an uns glauben, wenn wir damit beschäftigt sind uns gegenseitig in Grabenkämpfen zu verlieren?“ fragt er. Am Ende bekommt er in einer Kampfabstimmung knapp 69 Prozent der Delegiertenstimmen als neuer Parteichef an der Seite der mit knapp 68 Prozent wiedergewählten Katharina Slanina aus Schorfheide (Barnim). Die 44-jährige Rechtsanwältin – öffentlich bislang kaum in Erscheinung getreten – ist seit zwei Jahren Landesvorsitzende. Die bisherige Co-Chefin Anja Mayer trat nicht mehr an. 

Brandenburgs Linken-Chefin Katharina Slanina.
Brandenburgs Linken-Chefin Katharina Slanina.

© Fabian Sommer/dpa

Der frühere Bundestagsabgeordnete Norbert Müller polarisiert 

Eigentlich wollte ein anderer am Sonntag den Chefposten übernehmen: der frühere Potsdamer Bundestagsabgeordnete Norbert Müller. Bei der Bundestagswahl 2021 im Wahlkreis 61 war er direkt gegen die Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) angetreten und ohne Chance auf das Direktmandat. Auf der Landesliste war er nicht abgesichert. Gerade bei jungen, linken Linken hat der 36-Jährige Anhänger. Aber Müller, Mitglied der vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuften Roten Hilfe, polarisiert zu stark. Bei der Generaldebatte am Samstag macht er deutlich, wofür er steht: „Ich bin ohne Wenn und Aber für einen Nato-Austritt. Ich halte die Nato für ein Kriegsbündnis“, sagt Müller. 

Im Duo mit der Medienpädagogin Anja Kreisel aus Frankfurt (Oder) wollte Müller den Landesverband führen. „Die volle Packung Osten“, sei sie. Arbeiterkind, aufgewachsen in der Platte in Eisenhüttenstadt, Leibgericht Jägerschnitzel, sagt die 42-Jährige, die als sogenannte Bewegungslinke für das Einbinden von Initiativen wirbt. 

Walter erklärte erst am Freitag seine Kandidatur 

Doch da Kreisel mit Müller kandidiert, hat sie gegen Slanina keine Chance. Viele, hieß es im Vorfeld, trauten dem Lehramtsstudenten Müller den Parteivorsitz nicht zu. Deswegen habe es intensive Gespräche mit Walter gegeben, gegen ihn anzutreten. Walter, vor vier Wochen Vater geworden und im Parlament in zweimonatiger Elternzeit, zögerte. Wegen der Fülle der Aufgaben, zumal er die Fraktion nach anfänglicher Doppelspitze mittlerweile allein führen muss. Erst am Freitag erklärte er seine Kandidatur. „Ich bin kein Heilsbringer“, warnt er dann auch bei seiner Bewerbungsrede vor übergroßen Erwartungen. Doch der 31-Jährige gilt schon länger als größtes politisches Talent in der Partei. Mit 26 wurde er Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Ostbrandenburg. Pragmatisch, kompromissfähig, vereinend, ein guter Zuhörer und Redner, beschreiben ihn Delegierte, die ihn unterstützen. Obwohl die AfD zahlenmäßig stärker ist, gilt Walter unbestritten als Oppositionsführer im Parlament. 

Die Grünen als Hauptkontrahent 

Bei seiner Rede als Fraktionschef am Samstag arbeitet er sich aber nicht an Rechts ab, sondern an den Grünen, dem derzeitigen Hauptkontrahenten, wenn es darum geht, bei linken Kernthemen wie Daseinsvorsorge und sozialer Gerechtigkeit zu punkten. Die Grüne Ursula Nonnemacher sei „nicht nur eine schlechte Gesundheitsministerin, sondern auch eine verantwortungslose Sozialministerin“. Als Beispiel nennt Walter den Fall der Josephinen-Seniorenwohnanlage in Potsdam. Senioren erhielten vom Betreiber, einer Tochter der Marseille-Kliniken, die Kündigung, damit die Wohnungen, so die Befürchtung in der Landeshauptstadt, gewinnbringend neu vermietet werden können. Die Linke-Fraktion machte sich für eine Enteignung im Sinne des Gemeinwohls stark. Nonnemacher habe die Lösungsvorschläge als Nebelkerzen ab- und selbst nichts getan, das sei „eine bodenlose Frechheit“, sagt Walter. Sein Versuch, die Erfolge seiner Fraktion aufzuzählen, gerät dann allerdings karg bis komisch. Die Schließungsorgie bei den Arbeitsgerichtsstandorten habe man gebremst, sich dafür eingesetzt, dass die Integrationspauschale für Flüchtlinge erhalten bleibe. Und dann lobt er den agrarpolitischen Sprecher Thomas Domres. „Wie der die Regierung treibt beim Thema Bienen!“ 

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Den Hörer in die Hand nehmen und helfen 

Am Sonntag hat Walter dann ein besseres Beispiel parat, wie man linke Mitglieder und Wähler mit praktischem Handeln gewinnen kann. Er erzählt von einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern, die in sein Wahlkreisbüro in Eberswalde gekommen sei, weil sie keinen Kitaplatz gefunden habe. „Da nehme ich den Hörer in die Hand und rufe beim Rathaus an“, sagt er. Inzwischen mache die Frau bei den Linken mit, berichtet Walter, „sie kämpft jetzt mit uns gemeinsam“.  Vielleicht passen die stacheligen Kakteen als Parteitagsdeko am Ende doch gar nicht so schlecht. Sie können lange Durststrecken überstehen.

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