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Singende Nachtigall.

© BirdLife Intern./dpa

Brandenburg: Scientus interruptus

Dürfen Vögel im Dienste der Wissenschaft Sex haben? Eine Verwaltungsposse in mehreren Aktenordnern

Berlin - Ein Berliner Drama in mehreren Akten, das mit Vögeln zu tun hat: Es geht dabei um Sex, genauer gesagt, um Sex und Politik, und noch genauer: um Gruppensex, den eine Wissenschaftlerin der FU anbahnen möchte, eine Mitarbeiterin der Umweltverwaltung aber zu verhüten trachtet. Zwei Staatssekretäre sind in die Affäre verwickelt, das Lageso mischt auch mit.

Im Mittelpunkt steht Dr. Daniela Vallentin, Emmy-Noether-Stipendiatin an der Freien Universität (FU), Abteilung Verhaltensbiologie (Leitung: Prof. Constance Scharff) und eine der Antragstellerinnen des Clusterantrags „NeuroCure 3“ in der Exzellenzstrategie. Für ein Forschungsprojekt mit Nachtigallen hat die Wissenschaftlerin eine ERC-Förderung von 1,5 Millionen Euro eingeworben, sie ist also gewissermaßen die personalisierte Standort-Hoffnung des Regierenden Wissenschaftssenators Michael Müller. Doch jetzt droht diese Berliner Karriere an grüner Prüdokratie zu scheitern.

Vallentin erhofft sich von der Untersuchung einzelner Nervenzellen der Vögel bei der gesanglichen Kommunikation Erkenntnisse zum besseren Verständnis von Autismus bei Kindern. Die männlichen Vögel treten in einen gesanglichen Wettstreit, um ihr Territorium zu verteidigen. Dabei hören sie sich zunächst den Gesang des Konkurrenten an, bevor sie darauf antworten – ähnlich einer menschlichen Unterhaltung. Wie die Wissenschaftsverwaltung mitteilt, untersucht Vallentin „im Labor über haarfeine Elektroden, die in bestimmten Bereichen des Gehirns implantiert werden, die Aktivitäten von einzelnen Nervenzellen während des Gesangs und kann so Einblick in die Mechanismen des Zusammenspiels der Nervenzellen bekommen, die die gesangliche Interaktion steuern. Für die Tiere ist dieser Eingriff völlig schmerzfrei und beeinträchtigt sie nicht. Andernfalls würden sie auch gar nicht singen.“

Dr. Vallentin hatte am 26. Juli vergangenen Jahres beantragt, maximal zehn Nachtigallen pro Jahr aus Gehegen in Berliner Parks entnehmen und ihnen vorübergehend Elektroden einpflanzen zu dürfen. Am 9. November lehnte die von den Grünen geführte Umweltverwaltung den Antrag ab: Solche Versuche erlaubt das Lageso nur bei Zuchttieren. Um das renommierte Projekt zu retten, forcierte die Wissenschaftlerin nun den Aufbau einer eigenen Zucht: Drei weibliche Vögelchen hatte sie bereits erworben, als sie per Mail darum bat, diese zum Zweck der Fortpflanzung mit freifliegenden männlichen Fliegenschnäppern verkuppeln zu dürfen, doch wieder lehnte die grüne Verwaltung ab: Erst müsse der schriftliche Nachweis erbracht sein, dass es in ganz Deutschland keinen einzigen Züchter gibt, der gerade paarungsbereite Nachtigalleriche verleiht oder verkauft.

Die Forscherin begab sich wieder auf die Suche, vergeblich. Nur ein einziger Händler stellte Tiere in Aussicht, ohne Garantie und erst für den Herbst – zu spät: Ende April beginnt die Brutzeit, es droht der Verlust der EU-Förderung. Am 28. Februar legte Vallentin der Umweltverwaltung darüber einen 80 Seiten starken Bericht vor, verbunden mit der Bitte, jetzt drei Nachtigall-Männchen zur Befruchtung von drei Nachtigall-Weibchen aus der Natur entnehmen und nach dem Akt dorthin wieder entlassen zu dürfen.

Die Antwort: Dafür muss erst ein vollständiger Neuantrag eingereicht werden, weil die Entnahme von drei Tieren zur Zucht vom Erstantrag abweicht. Eine Genehmigung vor Ende der Brutzeit ist somit nicht mehr zu erwarten.

Der Fall des Scientus interruptus zieht sich inzwischen über sieben Monate hin und füllt mehrere Aktenordner. Dutzende Mails wurden deswegen versandt, mehrmals haben die Staatssekretäre Steffen Krach (Wissenschaft) und Stefan Tidow (Umwelt) darüber gesprochen.

Es geht um die Frage, ob drei Nachtigallen mit drei anderen Nachtigallen Sex haben dürfen. Kein Küken aus der Zucht wird gequält, es wird keine Gesichtscreme getestet, sondern der Hintergrund einer menschlichen Erkrankung erforscht. Aber ein grüner Staatssekretär bläst lieber einem Leuchtturmprojekt der Wissenschaftslandschaft von Michael Müller das Licht aus, als drei Vögel vögeln zu lassen (und das in Berlin). Andere Unis freuen sich schon: Die Förderung ist an die Person gebunden, nicht an die Institution. Lorenz Maroldt

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