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Schulen in Brandenburg: „Jede Schule braucht Breitband“

Bildungsforscher Lutz Goertz spricht im Interview mit PNN.de über Lernen 2.0 und die Digitalisierungsoffensive von Brandenburgs Bildungsministerin Ernst.

Herr Goertz, Sie stellen heute beim Dialogforum Bildung in Potsdam eine Studie des mmb Instituts zur Digitalisierung an Brandenburger Schulen vor. Sie haben dafür 13 Monate lang Lehrpläne sowie andere Studien unter die Lupe genommen und Schulleiter interviewt. Wie ist die Lage?

Laut einer Untersuchung der Telekom- Stiftung war Brandenburg bei der Digitalisierung an Schulen 2016 noch Schlusslicht, ein Jahr später war die Situation schon deutlich besser. Insgesamt kann man sagen: Es tut sich was in Brandenburg.

Was bedeutet denn Digitalisierung im Klassenzimmer eigentlich? Reicht es, wenn die Schüler einmal in der Woche in den Computerraum gehen?

Es geht nicht nur darum, dass eine Schule möglichst viele Prozessoren im Klassenzimmer anbieten kann. Es geht vor allem um Medienbildung, darum, Schülern Möglichkeiten und Grenzen digitaler Medien aufzuzeigen, ihnen ethische und rechtliche Aspekte nahezubringen – damit sie im Alltag und später im Beruf fit sind.

Die meisten Schüler nutzen doch privat längst soziale Medien und das Internet. Was soll die Schule ihnen da beibringen?

Wer glaubt, Kinder kommen heute automatisch digitalmündig auf die Welt, der irrt. Spätestens beim Übergang von der Schule in den Beruf merkt man dann, dass viele doch gar nicht so viel wissen. Sie können vielleicht problemlos eine App herunterladen, aber was passieren kann, wenn sie mit einem aus dem Netz gezogenen Bild einen Werbeflyer ihres Ausbildungsunternehmens garnieren – das wissen viele nicht. Es geht um Fragen wie Urheber- und Nutzungsrechte oder den Umgang mit Hatespeech, also Hasskommentaren im Netz – da ist die Schule gefragt. Sie kann Kompetenzen besser vermitteln als eine Peergroup, sprich andere Jugendliche.

Aber sind denn die Lehrer überhaupt in der Lage, dieses Wissen zu vermitteln? Viele Brandenburger Lehrer haben ja nicht einmal personalisierte E-Mailadressen an den Schulen. Da scheint es mit der Digitalkompetenz im Lehrerzimmer ja nicht so weit her zu sein.

Das ist tatsächlich etwas, was wir in unserem Bericht dringend empfehlen: Alle Lehrer müssen eine einheitliche Mailadresse bekommen. Das ist ein kleiner Schritt, der aber viel Erleichterung bringen würde in der Kommunikation.

Aber die Mailadresse allein macht es ja nicht.

Nein, so wie die Ausstattung generell nur die Basis ist. Es hilft nichts, wenn eine Schule super ausgestattet ist, die neuesten Geräte im Computerraum stehen hat – aber niemand in der Lage ist, das Wissen über die IT und Medien zu vermitteln. Nicht jede Schule benötigt eine Topausstattung, aber jede sollte über Breitbandinternet verfügen und die Möglichkeit, Internet in allen Räumen zu nutzen.

Angenommen, die Technik ist da. Können die Brandenburger Lehrer mit der Technik umgehen? Haben sie überhaupt Lust auf Schule 2.0?

Aus unseren Befragungen ergibt sich ein ganz unterschiedliches Bild. Es gibt Lehrer, die sind durch die private Nutzung digitaler Medien fit, andere nur so leidlich. Dann gibt es auch eine Gruppe, die kaum im Internet unterwegs ist. Das hat übrigens nichts mit dem Alter und auch nicht mit dem Schulfach zu tun, das sie unterrichten. Für fast alle gilt aber: Sie fühlen sich alleingelassen. Sie wollen an die Hand genommen werden, brauchen Ansprechpartner, ein Konzept, wie sie mit den neuen Medien arbeiten sollen.

Müsste man da nicht schon bei der Lehrerausbildung mehr Wert auf das Thema Digitalisierung legen?

Böse Zungen behaupten ja, der Lehrerberuf wäre der letzte, bei dem Computer keine Rolle spielen. Das ist in Brandenburg anders. An der Universität Potsdam, die die Lehrer ausbildet, passiert schon einiges in der Richtung. Viele erfahrene Lehrer haben uns auch erzählt, wie sie davon profitieren, wenn junge Referendare an die Schulen kommen, die aus ihrer Ausbildung schon Wissen über neue Medien mitbringen. Noch mehr Kooperation zwischen Universität und Schulen wäre wünschenswert.

Es geht bei Digitalisierung in der Schule aber sicher nicht nur darum, den Schülern beizubringen, wie sie sich sicher in sozialen Netzwerken bewegen, sondern darum, Lernstoff auf andere Weise zu vermitteln.

Genau, digitale Medien sollen auch dazu dienen, Unterrichtsinhalte zu vermitteln. Deswegen muss Digitalisierung in allen Fächern eine Rolle spielen – dies sieht auch der brandenburgische Rahmenlehrplan für die Klassen eins bis zehn vor. Der Ansatz „wir gehen mal in den Computerraum“ greift da zu kurz. Es geht darum, Computer sinnvoll im Unterricht einzusetzen. Nehmen wir das Beispiel Physik. Anstatt ein Experiment auf dem Pult aufzubauen, kann die Klasse den Versuchsablauf auch selbst als Simulation im Computer durchführen. Da kann dann auch nichts explodieren im Klassenzimmer.

Wie hilfreich ist da die Schulcloud des Hasso-Plattner-Instituts, die auf 300 Schulen ausgedehnt werden soll und Schüler und Lehrern über das Netz Zugriff auf Lern-Apps und -materialien bietet?

Viele Befragte in unserer Studie sehen in einer Schulcloud ein gutes Instrument, das man auf vielfältige Weise nutzen kann, nicht nur, um Lernmaterial anzubieten. Die Cloud könnte auch für die Lehrerbildung genutzt werden. Lehrer derselben Fächer könnten sich zu Gruppen zusammenschließen und sich dann virtuell via Schulcloud fortbilden. Wichtig ist aus unserer Sicht, dass die verschiedenen Systeme kompatibel sind. Es gibt Schulen, beispielsweise im Kreis Barnim, die eine eigene Inhalte-Plattform nutzen. So eine Cloud müsste aber nach Ansicht der Befragten zentral angesiedelt sein, beispielsweise beim Bildungsministerium.

Der Landesschülerrat fordert, dass private Smartphones in der Schule benutzt werden dürfen. Die Berliner CDU hat sich hingegen für ein Handyverbot ausgesprochen. Was befürworten Sie?

Wir empfehlen, das der Autonomie der Schulen zu überlassen. Jede Schule soll selbst entscheiden können, ob sie Handys verbietet oder nicht – und in welchem Umfang. Die Schulen brauchen aber Orientierungshilfen, damit sie diese Entscheidung treffen können. Da sind wir wieder beim An-die-Hand-Nehmen: Die Schulen benötigen fundierte Informationen, Ansprechpartner für solche Fragen.

Dann ist es für die Digitalisierungsoffensive von Ministerin Ernst also höchste Zeit.

Ja, aber sie kommt noch nicht zu spät. Brandenburg hat die Chance, wie andere Bundesländer auch, bei der Frage der Digitalisierung an Schulen ganz nach vorne zu kommen, wenn die Visionen der Verwaltung mit Leben gefüllt werden.

Die Fragen stellte Marion Kaufmann

Lutz Goertz ist promovierter Kommunikationswissenschaftler. Der 55-Jährige leitet seit 15 Jahren die Bildungsforschung beim mmb Institut Essen. Sein Interesse gilt dem digitalen Lernen.

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