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Ort des Schreckens. Der Fahrfehler einer Berlinerin hat den schweren Unfall verursacht, bei dem 14 Insassen eines polnischen Reisebusses im Jahr 2010 ums Leben kamen.

© dpa

Brandenburg: Schuldspruch, aber keine Entschuldigung

20 Monate nach der Tragödie am Schönefelder Kreuz wurde eine Berlinerin auf Bewährung verurteilt. Sie fand kein Wort der Reue. Laut Gericht konnte der Busfahrer nichts tun. Und einige Fragen bleiben

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Potsdam - „Wie bestraft man einen Menschen, der für den Tod von 14 Menschen verantwortlich ist?“, fragt Ulrike Phieler- Morbach, die Vorsitzende Richterin im Prozess um das Busunglück vom 26. September 2010 am Schönefelder Kreuz: „In diesen Fällen stößt das Strafrecht an seine Grenzen.“

Das Potsdamer Landgericht hat die Berlinerin Beatrice D. als Verursacherin des folgenschweren Unfalls am gestrigen Freitag dennoch verurteilt – wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung. Phieler-Morbach sagte über die 38-jährige Fahrerin: „Ihre größte Last ist nicht das Strafmaß, sondern das Bewusstsein ihrer schrecklichen Verantwortung.“

Nach Auffassung des Gerichts führten überhöhte Geschwindigkeit und ein Fahrfehler der Frau zu dem tragischen Unglück: Statt mit erlaubten 40 Kilometern je Stunde fuhr Beatrice D., die nicht mehr in der Berliner Polizeiverwaltung tätig ist, das Auto eines Bekannten mit Tempo 50 auf der Auffahrt. Der Mercedes mit Heckantrieb geriet ins Schleudern, Beatrice D. versuchte gegenzusteuern. Doch ihr Fahrzeug geriet auf die dreispurige Autobahn und kollidierte dort mit dem polnischen Reisebus. Durch das Ausweichmanöver des Fahrers geriet der Bus an die Mittelleitplanke, bekam Schlagseite und raste gegen den Brückenpfeiler. Wer von den 47 Passieren an der linken Fensterfront im Bus saß, hatte kaum eine Chance.

Am vom Gericht rekonstruierten Unfallhergang und der -ursache gebe es keine „vernünftigen Zweifel“, sagte Phieler-Morbach. Die Befragung von elf Zeugen und zwei Sachverständigen hätten dieses „vollständige Bild“ ergeben. Die Richterin verlas die Namen der 14 Todesopfer aus Polen und erinnerte an die 37 Verletzten. In dem Bus saßen Mitarbeiter des polnischen Forstamtes in Zlocieniec mit Familienangehörigen. Sie kamen gerade von einer Spanienreise und waren auf der Heimfahrt.

Die verurteilte Beatrice D. fand auch am Ende des Prozesses kein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung. Sie selbst war damals verletzt worden und wird seither psychologisch behandelt. Nach Auskunft des Berliner Polizeipräsidiums ist das Angestellten-Arbeitsverhältnis mit ihr Ende März aufgelöst worden. An den Unfall kann sie sich nach eigenen Aussagen nicht mehr erinnern. Die Vorsitzende Richterin zeigte deshalb Verständnis: „Wie kann jemand Reue zeigen, wenn er sich nicht erinnern kann?“

Bei den Anwälten der Opfer, Prozessbeobachtern und vielen, vor allem polnische Journalisten löste diese Frage zumindest Irritationen aus. Radoslaw Niecko, der Anwalt des Busfahrers, sagte dieser Zeitung: „Auch wenn man sich nicht erinnern kann, weiß man doch, dass man daran beteiligt war, dass 14 Menschen zu Tode kamen. Und darüber kann man doch sein Bedauern ausdrücken. Das macht auch keine Verteidigungsstrategie kaputt, wenn es denn eine war.“

Niecko kritisierte auch die „große Milde des Urteils“, zeigte sich aber zufrieden mit der Urteilsbegründung: „Die Richterin hat eindeutig klargestellt, dass den Busfahrer keine Schuld trifft“, sagte er. „Ich habe ihn gleich angerufen, er war sehr, sehr froh darüber.“ Niecko und die Staatsanwaltschaft wollen das Urteil akzeptieren. Ob auch der Anwalt der Verurteilten das Urteil hinnimmt, blieb gestern noch offen. Carsten R. Hoenig hatte im Prozess vergeblich ein Gutachten gefordert, das klären sollte, ob bei Regen auf der Auffahrt eine Ölverschmutzung auftritt. Über dieses Phänomen an dieser Stelle hatte ein Lkw-Fahrer im Prozess berichtet.

Richterin Phieler-Morbach aber sagte, für eine Ölspur auf der Auffahrt gebe es keine Anhaltspunkte, auch Aquaplaning komme nicht in Betracht. „Am Unfallort hat niemand, aber auch wirklich niemand etwas von einer Ölspur gesehen“, sagte sie. Dennoch sei die Stelle auch bei der Polizei als Unfallschwerpunkt bekannt, „der für Fahrer Gefahren barg“.

Deshalb bleiben nicht nur für den Verteidiger einige Fragen offen. So haben sich vor und während des Prozesses auch bei dieser Zeitung mehrere Autofahrer gemeldet, die Schwierigkeiten beim Befahren der Unglücksstrecke hatten. „Die Überleitung von der A 113 in Ost-Richtung auf die A 10 geht direkt in eine scharfe Rechtskurve über, deren Radius immer enger wird“, schreibt ein Autofahrer. „Das erinnert eher an die Grand-Prix- Strecke in Monte Carlo.“

Selbst der Anwalt des polnischen Busfahrers sagt: „Wenn dort – wie vom Gericht festgestellt – ein Unfallschwerpunkt ist, sind die deutschen Behörden doch wohl verpflichtet, darüber nachzudenken, wie man die Streckenführung sicherer machen kann – damit so etwas Furchtbares nie wieder passiert.“

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