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 Sylvia Beckers ist eine der sechs festangestellten Parlamentsstenografinnen im Landtag. 

© Varvara Smirnova

Schnellschreiberin aus Potsdam: Die weltbeste Protokollantin arbeitet im Landtag

Sylvia Beckers ist die beste Protokollantin der Welt. Die 31-Jährige arbeitet im Brandenburger Landtag und muss ganz genau hinhören, was die Abgeordneten und Minister im Plenarsaal sagen.

Potsdam - Sylvia Beckers nennt keine Namen. Wer sind denn die größten Nuschler und Grammatiksünder im Landtag? Die 31-Jährige lächelt diskret und schüttelt den Kopf. Kein Kommentar. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) jedenfalls habe einen „getragenen, ruhigen Redestil“. Keine allzu große Schwierigkeit also für Sylvia Beckers, Woidkes Worte korrekt zu Papier zu bringen. Schließlich ist sie die beste Protokollantin der Welt. Bei der Intersteno 2019 im Juli auf Sardinien verteidigte die Potsdamerin, die seit 2015 als Parlamentsstenografin im Brandenburger Landtag arbeitet, ihren Titel in der Disziplin Protokollierung.

Vergangenen Dienstag, bei der zweiten Plenarsitzung in der neuen Legislaturperiode, wurde Beckers von Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke für ihre Leistung geehrt. Wobei diese zweite Sitzung für die Stenografin keine besondere Herausforderung war. Keine Debatten und langen Redebeiträge, nur Abstimmungen und Wahlen. Aber eine gute Gelegenheit, sich die Gesichter, Namen und Stimmen der 88 Abgeordneten einzuprägen. 50 von ihnen sind neu im Parlament. Denn für Beckers kommt es darauf an, die Redebeiträge schnell zuordnen zu können und mit zu stenografieren. Da ist es hilfreich, gleich an der Stimme zu erkennen, wer gerade spricht, sagt die 31-Jährige.

Nach zehn Minuten wird gewechselt 

Für ihre Notizen benutzt Beckers einen Tintenroller und einen linierten DIN-A5-Block. Im Plenarsaal ist ihr Platz in der Reihe vor der Landtagspräsidentin, sie sitzt frontal zu den Abgeordneten. Jeweils zehn Minuten verfolgt einer der Parlamentsstenografen die Sitzung, dann wird gewechselt. Sechs Stenografinnen sind im Landtag fest angestellt. An Plenartagen kommen noch vier bis fünf freie Kollegen dazu, um den Zehn-Minuten-Turnus bewältigen zu können. Pro Plenartag ist Beckers so etwa sechs Mal an der Reihe. 

Fehler werden später korrigiert 

Zehn Minuten – das entspricht der Länge, die sie auch bei den Weltmeisterschaften bewältigen musste. Zehn Minuten lang wurde ihr ein Text diktiert, zunehmend schneller gesprochen. Die Teilnehmer – in ihrer Disziplin 50 Stenografen aus aller Welt – notierten in Kurzschrift, auf einer Computertastatur oder einer Stenografiemaschine mit und wandelten die Notizen anschließend am Computer in ein Protokoll um. 300 Silben pro Minute kann Beckers verschriftlichen. Aber nicht nur auf das Schnellschreiben kommt es an, sondern auch darauf, das Gehörte fehlerfrei wiederzugeben.

Bei Plenarsitzungen sei es ihr durchaus schon einmal passiert, dass sie etwas missverstanden habe, räumt Beckers ein. Einmal ging es um die Abkürzung für ein Schulfach, die sie nicht korrekt ausformuliert habe – weil sie das Fach aus Nordrhein-Westfalen, wo sie herkommt, mit dieser Bezeichnung nicht kannte. Für solche Fälle werden die Protokolle, die sie nach dem Stenografieren am Computer mit Zehn-Finger-Technik zu Papier bringt, genau gegengelesen. Am Tag nach der Sitzung legen die Protokollanten eine Vorabfassung vor. Bis dann das endgültige Protokoll ausgearbeitet ist, können mehrere Wochen vergehen. Auch die Redner haben die Möglichkeit, kleine Änderungen in der Niederschrift vornehmen zu lassen. „Aber nur in Nuancen, etwa wenn sie Rechtschreibfehler entdecken“, betont Beckers. Eine einmal im Plenarsaal getätigte Aussage dürfe nicht nachträglich verändert werden. 

Der NSU-Untersuchungsausschuss war eine besondere Herausforderung 

Besonders exakt geht es in Untersuchungsausschüssen zu. Da müsse jede Aussage wortwörtlich wiedergegeben werden. Schließlich könnten diese Protokolle einmal gerichtlich relevant werden. Der NSU-Untersuchungsausschuss in der vergangenen Legislatur sei eine besondere Herausforderung gewesen, sagt Beckers. Mehr als hundert Zeugen – darunter der frühere V-Mann „Piatto“ – wurden von den Abgeordneten vernommen, teils unter Ausschluss der Öffentlichkeit, in den Katakomben des Landtags. „Die Protokolle unterliegen natürlich auch der Geheimhaltung“, sagt Beckers. Noch in dem Vernehmungszimmer musste sie die Aussagen der Zeugen verschriftlichen.

Kommentierungen oder Interpretationen müssen sich die Protokollanten verkneifen. Um den Verlauf einer Sitzung deutlich zu machen, sind aber Anmerkungen wie „Zwischenruf“, „Unmut“, „Heiterkeit“ oder „Beifall“ erlaubt. Die Wendung „ironischer Beifall“, die ein freiberuflicher Protokollant einmal benutze, sei ihm aber hinterher wieder rausgestrichen worden, erzählt Beckers, die sich schon seit ihrer Kindheit mit Steno beschäftigt. Die Mutter war Schulsekretärin. Beim Stenografenverein lernt die Tochter die Kurzschrift, ab der fünften Klasse in einer Schul-AG. Nach dem Abitur schlägt sie zunächst einen anderen Weg ein, studiert Französisch und Spanisch in Münster und Hildesheim, arbeitet nach dem Master in der Öffentlichkeitsarbeit – bis die Stelle im Landtag Brandenburg ausgeschrieben wird und sie sich bewirbt. 

Namen wie "Redmann" sind leicht 

Seit 2016 wohnt sie nun in der Teltower Vorstadt in Potsdam. Die Arbeit im Landtag habe ihr sehr geholfen, Brandenburg kennenzulernen und zu verstehen. Nun ist sie dabei, für die vielen Neuen im Parlament Abkürzungen zu finden. Marianne Spring-Räumschüssel zum Beispiel, der Name der AfD-Alterspräsidentin – lang und unkonventionell. Relativ einfach in Steno seien Namen wie Redmann, weil sie mit „Mann“ einen gängigen Begriff enthalten.

Und wie schreibt man „Ministerpräsident“ in Steno? Sylvia Beckers nimmt ihren Tintenroller in die Hand und zeichnet einen Kringel auf das Papier, der für Laien ein bisschen aussieht wie eine Wippe mit Schwan. Als nächstes schreibt Beckers ein Zeichen, das an eine kleine Eins erinnert, darunter ein Punkt: „Ich stehe auf dem Standpunkt.“ Und dann eine steil nach rechts oben gehende, gezackte Linie. Diese Abkürzung braucht sie sehr oft, eigentlicher nach jeder Rede: „Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“

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